Die Geschichte der ehemaligen Haferkakaofabrik / Schüle-Hohenlohe in Bettenhausen
Die Firmengründung
Die „Fabrik des Casseler Hafer-Cacaos“ wurde 1892 von dem Kaufmann Walter Alexander Hausen gegründet. Firmensitz war zunächst sein damaliges Haus in der Orleansstraße 26 (heute Erzbergerstraße), vier Jahre später dann die Obere Carlstr. 24. Mit der Umbenennung zur „Casseler Hafer-Cacao Fabrik Hausen & Comp.“ wurde die Firma in die Spohrstraße 2 verlegt.
Dort hatten auch der Generalagent Sigismund Rahmer und der Kaufmann Georg Krüger ihren Geschäfts- und Wohnsitz. Diese Häuser, alle im Zentrum der Stadt Kassel gelegen, wurden im 2.Weltkrieg völlig zerstört.
Der Name der Firma bezog sich auf das damals als Nahrungsmittel hergestellte Getränk, den Hafer-Kakao.
Dieses Getränk war eine Erfindung des 1848 in Kassel geborenen Jean Berlit. Er war eine berühmte Persönlichkeit seiner Zeit, dessen Wirken die Stadt Kassel vor allem im sozialen und politischen Bereich viel zu verdanken hat.
Als einfacher Kaufmann besaß er von 1877 bis 1897 ein Kolonialwaren- und ein
Delikatessengeschäft.
Das besondere an seinem Getränk war zum einen, die Verpackung. Gegenüber herkömmlichen löslichen Kakaoprodukten wurden Würfel gepresst, die in etwa 1 ½ Tassen Kakao ergaben. Die Würfel waren in Stanniol eingeschlagen und zu je 27 Stück in einem blauen Karton verpackt. Zum anderen, die Einzigartigkeit des Produktes selbst. Dem Kakao, Hafer unterzumischen, ließ diesen nahrhafter werden.
Es gab Ärzte die bescheinigten dem Produkt darüber hinaus eine gesundheitsfördernde Wirkung. Aus dem Jahr 1896 ist bekannt, dass die Fabrik in den Besitz der beiden Kaufleute S. Rahmer und G. Krüger gelangte. Diese führten die Geschäfte in der Spohrstraße weiter und planten eine Vergrößerung durch einen Neubau in der Sandershäuser-Landstraße in Bettenhausen.
Umzug nach Bettenhausen
Am 31.10.1898 wurde der Betrieb der „Hafercacao-Fabrik“ in der Sandershäuser-
Landstraße
134 in Bettenhausen eröffnet. Als Aktiengesellschaft hieß
sie ein Jahr später „Kasseler Hafer-Kakaofabrik Hausen
&Co. AG“.
Das ursprüngliche Feld- und Wiesengelände
westlich der Losse war im Urkataster 1884 noch entsprechend der
vorgefundenen Topographie aufgeteilt und unbebaut gewesen. Die
Katasterkarte aus dem Jahr 1899 zeigte eine neue orthogonale
Aufteilung der Grundstücke, aufgrund deren sich eine 4-Teilung
des Geländes ergab.
Auf dem schmalen östlichen Grund, direkt an der Losse, waren 5 Gebäude
entstanden. Die Ordnung der Gebäude zueinander zeigte zum einem die bewusste Schaffung eines Innenhofes, was auf eine geplante Bebauung hinweist.
Zum anderen lässt der Abstand der Gebäude zueinander und zu den Grundstückgrenzen von ca. 6 m Breite auf ein bereits bestehendes Baurecht schließen. Die beiden Gebäude parallel zur Sandershäuser Straße waren baugleiche, repräsentative Bauten und schlossen die Gesamtanlage zur Straße hin ab. Sie waren zweigeschossig mit Mansardendach.
Ein Zwischenbau mit mittig angelegter Toreinfahrt verband sie miteinander. Durch diese gelangte man in den Innenhof, auch die Eisenbahn kam kurze Zeit später hier hindurch.
Im Adressverzeichnis von 1903 wurden hier u. a. ein Chemiker Dr. Wattenberg und
Direktor Lauber benannt.
Um die Produkte der Firma bekannt zu machen, wurde seit 1900 mit Werbung gearbeitet. Diese bezog sich überwiegend auf den Hafer-Kakao und erschien in Zeitungen mit landesweiter Verbreitung.
Auch mit dem Verlegen von „Hausens Sammelmappe für Naturwissenschaftliche Bilder“ versuchte man die Umsätze zu steigern. Inhaltlich überwogen die Hinweise auf den guten Geschmack und die besondere Nahrhaftigkeit. Adressaten waren neben Kindern und Sportlern auch die geistig hart arbeitende Bevölkerung.
Aber auch die Heimatverbundenheit der Kasseler wendete man an. Ärzte und Professoren bescheinigtem dem Getränk darüber hinaus auch eine heilende Wirkung. Es soll sogar eine Heilung von Unterleibstyphus aufgrund der Verabreichung von Hafer-Kakao gegeben haben.
Verkauft wurde der Hafer-Kakao sowohl in Deutschland als auch in Österreich-Ungarn und in der Schweiz. Weitere Produkte der Fabrik waren 1902 die Hafer-Schokolade, Speise-Schokolade, entölter Kakao. Haushalts-Schokolade und Haushalts-Kakao.
Ein Brief vom 14.05.1902 an das Bürgermeisteramt Bettenhausen verriet, das auch Kinder unter 14 Jahren im Betrieb beschäftigt waren. Sie schlugen die Haferkakaowürfel in Stanniol ein.
Der Zusammenschluss
Eine Gemeinschaftsverwaltung der Casseler Hafer-Kakao-Fabrik Hausen und Co. mit der Hohenloheschen Nährmittelfabrik AG in Kassel bestand seit 1903.
In der Generalversammlung vom 29.01.1916 wurde die Verschmelzung der beiden Unternehmen beantragt. Zweck war die Vergrößerung des Unternehmens in Kassel mit Produktionsstätten der Firma Hohenlohe in Gerabronn.
Am 23.05.1918 wurde ein Antrag des Architekten Hölk für das alte Mühlengebäude geprüft. Es betraf einen Anbau mit elektrischer Luftanlage und Staubkammer.
Am 27.05.1916 gab es eine weitere Stellungsnahme der städtischen Baupolizei zu einer neu geplanten Fabrik für Dörrgemüse.
Ein „Hafersuppengebäude“ mit mehreren Geschossen sollte im November 1916 in der Sandershäuser Straße errichtet werden.
Die Kasseler Hafer-Kakao-Fabrik Hausen & Co. AG änderte ihre Gesellschaftsform am 26.02.1917 auf eine GmbH .Es galten fortan Direktor Carl Lauber und Benno Claus, Major a. D., Christian Schrak und Adolf Stielen als Geschäftsführungsmitglieder.
Am 05.11.1923 erschien erstmals auch die J. F. Schüle Eierteigwarenfabrik aus Plüderhausen in Württemberg auf dem Briefkopf der Firma.
Schon seit 1922 arbeitete sie in einer Verkaufsgemeinschaft mit der Hohenloheschen Nährmittelfabrik in Kassel zusammen. Zu einer Verschmelzung kam es dann 1923.
Die Firma Jakob Friedrich Schüle begann 1854 mit einer Bäckerei.1863 wurde eine kleine Teigmaschine angeschafft, womit der Grundstein für die Teigmaschinenfabrik gesetzt war. Sie wurde mit 700 Arbeitern zu der größten Teigwarenfabrik in Deutschland. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es im Ein- und Verkauf Schwierigkeiten, so dass eine Verschmelzung des Unternehmens mit Hohenlohe beschlossen wurde. Die Verbindung der Firmen wirkte sich auf die Entwicklung des Unternehmens trotz Inflation bis 1929 sehr positiv aus. Es gab jetzt eine erweiterte Produktionspalette des Unternehmens mit Sitz in Kassel-Bettenhausen, Gerabronn und Plüderhausen.
Die J.F Schüle produzierte Eiernudeln, Makkaroni und Suppeneinlagen.
Die Hohenlohe hatte Haferflocken, Mehl, Grütze und Suppe, Paniermehl, Maismehl, Tapioka, Suppenwürfel und Kakao in ihrem Sortiment.
Im Werk Kassel wurden Hafer-Kakao, Haferflocken, Suppen und Kindernährmittel hergestellt.
Die Firma hatte im Jahr 1927 insgesamt 1000 Beschäftigte.1929 gab es einen Büroneubau an der Sandershäuser Straße. Noch im selben Jahr machte sich ein Konjunkturrückgang auf dem Weltmark bemerkbar Die zunehmende Arbeitslosigkeit verringerte die Kaufkraft der Bevölkerung und wirkte sich negativ auf die Firma aus.
Erst 1934 besserte sich die Geschäftslage wieder. Es entstanden noch zwei weitere Werke in Topiau (Ostpreußen) und in Straßburg (Elsass), die allerdings nach Ausgang des Krieges, 1945, verloren gingen.
Die Schüle-Hohenlohe vergrößerte ihr Sortiment nochmals und stellte in Kassel Haferflocken, Erbswurst, Suppenwürfel, Grünkernerzeugnisse, Tapioka und andere Suppeneinlagen, Kasseler Hafer-Kakao, Schokolade und Kakao her.
Die Kriegsjahre1939 - 1945 brachten dann, wie auch im Ersten Weltkrieg, erhöhte Produktionsaufträge auf behördliche Initiative. Zwecks Versorgung der Zivilbevölkerung gab es eine vorgeschriebene Anfertigung von Hafernährmitteln. Es wurde im Auftrag der Armee bedeutende Mengen an Wehrmachtssuppenkonserven hergestellt. Das Unternehmen zählte „470 Köpfe“ allein in Kassel.
Das Werk Kassel wurde im zweiten Weltkrieg erheblich zerstört. Die Häuser an der Sandershäuser Straße, in denen sich die Verwaltung und Wohnungen befanden, brannten bis auf den jüngsten Anbau aus. Aus diesem Grund wurde 1944 die Hauptverwaltung von Kassel nach Plüderhausen verlegt. Ebenso brannte das alte Mühlengebäude aus. Teile des Werkstattgebäudes, das Hühnerhaus und die Schlosserei und die Schreinerei wurden zerstört.
Wenn auch schon am 25.02.1946 die Wiederaufnahme des Betriebes beim Amt für Wiederaufbau angemeldet wurde, so schnell und reibungslos waren die Schäden nicht zu reparieren, zumal das benötigte Baumaterial knapp war. Die Hauszeitung der Schüle-Hohenlohe berichtete von schweren Zeiten in Kassel. Es sollte noch bis Juni 1949 dauern, bis die aufwendigen Reparaturen erledigt waren. Insgesamt wurden später die Kriegsschäden mit 5 bis 6 Millionen DM angegeben.
Am 24.07.1945 hatte das Unternehmen in Kassel noch 40 Beschäftigte. Die ungenutzten Gebäude und das Firmengelände wurden deshalb von verschiedenen weiteren Firmen mitgenutzt.
Im Jahre 1949 waren die Zerstörungen im Kasseler Werk nahezu beseitigt und das Werk besaß die modernste Mühlenanlage der Republik. Das Gesamtunternehmen beschäftigte wieder 1000 Arbeitskräfte.
Das Ende
Ab 1950 wurde der Absatzmarkt für Produkte des Unternehmens immer kleiner. Die Kapazitäten der Betriebe, die in der Zeit von 1939 - 1949 auf behördliche Initiative erheblich erweitert worden waren, konnten nicht mehr ausgenutzt werden. Auch erwiesen sich viele Produkte, wie z. B. Suppen, als unverkäuflich. In den Jahren 1950 - 1953 entstanden der Firma große Verluste. Im Werk Kassel gab es eine noch 120 Mitarbeiter starke Belegschaft.
In einer außerordentlichen Hauptversammlung, am 27. Januar 1954, wurde schließlich die Liquidation des Gesamtunternehmens beschlossen.
Noch im Jahr 1954 fanden sich mehrere Kaufinteressenten für die verbliebenen Bauten. Die Raiffeisen Warenzentrale „ Hessenland GmbH Kassel“ erwarb das Silo, die ehemalige Gemüsedarre und die ehemalige „Würzfabrik“.
Die „Rhenania“, Allgemeine Speditions- AG Duisburg, erwarb den westlich gelegenen Gebäudekomplex.
Am 15.04.1957 wurde die Schlussrechnung für die Firma Schüle-Hohenlohe erstellt.
Die letzte Eintragung im Handelsregister in Kassel verriet jedoch, dass die Kasseler-Hafer Kakaofabrik Hausen & Co. GmbH ihren Sitz nach Hildesheim verlegt hatte.
Nach mehreren Umbenennungen und Beteiligungen wurde auch sie am 13.12.1972 gelöscht.
Firmengelände Schüle Hohenlohe in 2004
Anhang 1
Die Geschichte von Kakao und Schokolade
Im 16. Jahrhundert wurde die Kakaobohne von den Spaniern bei der Eroberung in Amerika entdeckt und nach Europa gebracht. Erst mit Zucker und anderen Gewürzen wie Vanille, Gewürznelken, Koriander und Muskatnuss versetzt und heiß serviert, wurde das Getränk zur luxuriösen Köstlichkeit, die lediglich dem Hofadel und der Geistlichkeit vorbehalten war.
Nach Deutschland kam die Schokolade erst nach dem 30-jährigen Krieg und wurde dort Ende des 18.jahrhunderts zum beliebten Frühstücksgetränk für die Wohlhabenden.
Der Bevölkerung wurde das Getränk vorenthalten, da sie davon leben sollte, was das eigene Land hervorbrachte. So wollten die absolutistischen Herrscher sicher
stellen, dass das Geld im Land verbliebe.
Die bedeutendsten Erfindungen waren die Herstellung der Trinkschokolade durch den niederländischen Schokoladenfabrikanten Conrad van Houten 1815 und der Entwicklung der Essschokolade durch den die englische Firma Fry & Sons 1830.
Die Massenproduktion setzte in Deutschland erst 1870 ein, so dass sich die Schokolade erst zu dieser Zeit zu einem Produkt für die Bevölkerung entwickelte.
Traditionsreiche Betriebe aus dieser Zeit wie z. B. Nestle, Ritter und Stollwerk bestehen z. T. heute noch.
Anhang 2
Die Portionswürfel des Haferkakaos der Firma Hausen wurden in soliden und handwerklich sauber verarbeiteten Holzkisten mit den Maßen 40x27x14 cm vertrieben. Sie fanden speziell bei den dort Beschäftigten Bettenhäusern großen Anklang und vielfältige Verwendung zur Aufbewahrung der Dinge des täglichen Lebens.
Wegen der farbigen Abbildungen im Innern des Deckels mit wechselnden Motiven sind sie bei Sammlern inzwischen Kult und werden zu stolzen Preisen auf Flohmärkten und im Internet angeboten.
Text:
Helmut Schagrün, Niestetalstrasse 9A, 34266 Niestetal- H., August 2007
Quellennachweis
Industriedenkmal Haferkakaofabrik, Denkmalbuch der St. Kassel, 1999, Herausgeber Mag. der St. Kassel
Privatarchiv Helmut Schargrün
Bildnachweis
Klaus-Peter Wieddekind (3), Bernd Schaeffer (2)