Jakob Funkenstein

Kurzexposé zur Promotion von Jakob Funkenstein:

Die Rolle des Luftfrachttransportes in der Entwicklung Lateinamerikas: Ein Globaler Wertschöpfungskettenansatz

  • Trägt der Luftfrachttransport zur Wirtschaftsentwicklung bei? (allgemeine / gesellschaftliche Fragestellung)  Kann eine Korrelation zwischen Luftfrachttransportaufkommen und Wirtschaftswachstum festgestellt werden und was bedeutet diese?  Trifft sie gegebenenfalls auch auf Entwicklungsländer zu?
  • Sind Wertschöpfungsketten eine besser geeignete Methodik um den Zusammenhang zwischen Luftfracht und Wirtschaftsfortschritt zu klären? (wissenschaftliche Fragestellung)
  • Können Industrien mit einer hohen Luftfrachttransportkomponente Aufwertungsmöglichkeiten innerhalb einer Wertschöpfungskette bieten? (Fallstudien)  Spielt die Transportmodalität überhaupt in dieser Hinsicht eine Rolle?

Diese Fragestellung ist zum heutigen Zeitpunkt besonders relevant, da in der öffentlichen Diskussion zunehmende Bewusstheit über den Lufttransport und dessen Auswirkung auf die Umwelt aufweist.  Umweltthemen sind nicht gegenstand dieser Studie, doch die Generelle Fragestellung nach dem Beitrag der Luftfracht zur Wirtschaftsentwicklung spielt in diesem Kontext eine erhebliche Rolle.

Hintergrund 

Die Modernisierungstheorie ist in Transport- und Entwicklungsstudien während der Nachkriegszeit dominant gewesen. Somit wird ein effizienter Transportsektor als allgemeine Vorraussetzung für das Entwicklungspotential einer Nation oder Region gehalten.   Zusammenhänge zwischen einzelnen Komponenten einer Transportinfrastruktur mit generellem Wirtschaftswachstum gemessen an BSP pro Kopf sind im Allgemeinen nachweisbar. Im Luftfrachttransport sind diese Zusammenhänge jedoch nicht unbedingt nachvollziehbar.  Einer der Gründe dafür ist auf das sogenannte „Backhaulproblem“ zurückzuführen:  wertvolle Industrieexporte mit hoher Luftfrachtaffinität führen zu Direktionalitätsherausforderungen im Luftfrachtgeschäft wo wiederum hauptsächlich Agrarprodukte in den Norden fließen.   Diese verhältnismäßig geringwertigen Güter erzielen dementsprechend niedrigere Tarife für die Luftfrachtgesellschaften, da sie hauptsächlich dem Kostendeckungsbeitrag dienen.  Insofern bietet das Rückladefrachtgeschäft und die Industrien die ihnen Liefern nicht unbedingt viele volkswirtschaftliche Wachstumsimpulse im Süden.  Doch mit Hilfe des Wertschöpfungskettenansatzes können gerade solche Ausnahmeindustrien, wo es sich nicht um das typische Rückladefrachtegschäft handelt, näher analysiert werden. 

In der GVC Forschung findet die Rolle des Gütertransportes in der Industrieaufwertung bislang wenig Diskussion.  Dies mag mit der generellen Beobachtung zusammenhängen, dass fallende Transportkosten eine zunehmend bedeutungslose Rolle in der Lokalisierung von Unternehmen spielen, verglichen mit Arbeitskosten. 

Der Luftfrachttransport ist jedoch mit relativ hohen Transportkosten verbunden, da es sich um Güter mit einer hohen „Luftfrachtaffinität“ handelt, d.h. entweder Güter mit einem hohen Wert-Gewichtsverhältnis (value-weight ratio) wie etwa Computerprozessoren oder schnell verderbliche Waren wie hochwertige Landwirtschaftsprodukte.  In beiden Fällen ist der Beitrag zu den jeweiligen Wertschöpfungsketten erheblich und bedarf näherer Analyse.

Operationalisierung: Fallstudien mit hoher Luftfrachtaffinität

Als Ausgangspunkt für Lateinamerika Entwicklungsstudien wird die Schwierigkeit eines Landes, sich vom überwiegenden Primärgüterexport in eine industrialisierte Wirtschaft zu transformieren oft betont.  Die Möglichkeiten der industriellen Aufwertung innerhalb der jeweiligen Wertschöpfungsketten sind Teil dieses Transformierungsprozesses.  Lateinamerikanische Industrien spielen eine bedeutende und zunehmende Rolle in globalen Wertschöpfungsketten, insbesondere mit Schwerpunkt Nord-Südamerika.  Daher werden in diesem Forschungsprojekt drei Lateinamerikanische Fallstudien aus verschiedenen Ländern analysiert.

Die Auswahl der Länder erweist eine Mannigfaltigkeit der verschiedenen Wirtschaftsstrukturen.  Relativ erfolgreiche Länder (Chile, Costa Rica), gemessen am BSP werden mit einem der ärmsten Länder Lateinamerikas (Bolivien) verglichen.  Ein weiteres Kriterium ist die hohe wirtschaftliche Bedeutung des Luftfrachttransportes in den Beispielländern.  Somit wurden folgende Länder und Industrien gewählt:          

Costa Rica : Mit der Direktinvestition von Intel ende der 90er bestehen etwa die Hälfte aller Computerchips Exporte Costa Ricas aus Computerchips.   Diese werden zu 99,9% per Luft befördert.  Intel ist ein Beispiel einer herstellergetriebenen (producer-driven) Wertschöpfungs-kette innerhalb eines globalen Unternehmens, dass Costa Rica binnen drei Jahre von einer Exportwirtschaft mit Schwerpunkt Kaffee und Bananen in einen Hochtechnologieexporteur umgewandelt hat. 

Bolivien: Als größtes vom Land eingeschlossenes Beispiel Lateinamerikas, ist eine hohe Goldverarbeitung Bedeutung dem Luftfrachttransport zuzuschreiben.   Hauptluftfrachtexport gemessen am Wert ist Goldschmuck (Goldketten), welche gänzlich mit Luftfracht in andere Teile einer käufergetriebenen Wertschöpfungskette transportiert werden.

Chile: Rund 40% des Umsatzes der Nationalfluglinie LAN besteht aus Luftfracht (der Zuchtlachs: weltweite Branchendurchschnitt liegt etwa bei 10%).  Dies spiegelt die hohe Bedeutung des Agrarexportes für Chile, das als Beispielmodell Lateinamerikas für wirtschaftlichen Erfolg seit den 70er Jahren gilt, wider.    Die überwiegende Mehrheit dieses Luftfrachtaufkommens besteht aus Zuchtlachs, eine relativ neue Industrie in Chile, die den Amerikanischen Markt mit frischem Lachs versorgt.  

Kolombien und  Ecuador, Schnittblumenindustrie:  Eines der meist bekannten Luftfrachttransportketten ist die Schnittblumenindustrie, die sich in Kolombien und Ecuador in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat.  Die soziale und volkswirtschaftliche Bedeutung sowie die darausfolgende Exportabhängigkeit werden in diesem Fallbeispiel untersucht.

In diesen Fallstudien soll untersucht werden, was diese luftfrachtintensiven Wertschöpfungsketten zur Wirtschaftsentwicklung in den jeweiligen Ländern beigetragen haben. Dies wird untersucht anhand von folgenden Faktoren:

Betriebswirtschaftliche Indikatoren:

  • Betriebsergebnisse
  • Kapitalrenditen
  • Gewinnmargen 

Volkswirtschaftliche Indikatoren:

  • Lohnniveau innerhalb der Unternehmungskette
  • Beitrag der Wertschöpfungskette zum Arbeitsmarkt
  • Beitrag der Wertschöpfungskette zum Export bzw. Bruttosozialprodukt 

Indikatoren spezifisch zum Luftfrachttransport

  • Luftfrachtaffinität der Produktion
  • Wert-Gewichtsverhältnisse der Produktion
  • Entwicklung der Luftfahrt- und Luftfrachtindustrie bedingt durch Aktivitäten der Wertschöpfungskette in der jeweiligen Fallstudie

 Indikatoren spezifisch zur Wertschöpfungskettenanalyse:

  • Funktionsaufwertung in- und außerhalb der Kette
  • Wertschöpfung in der Herstellung (Manufacturing Value Added Begriff der UNIDO – United Nations Industrial Development Organization)
  • Abhängigkeit von Führungsunternehmen (Governance Begriff der GVC Analyse) 

Anhand von diesen Indikatoren sowie Handelsdaten zwischen den USA und Lateinamerika soll die Bedeutung dieser drei Luftfrachtabhängigen Fallstudien für den Entwicklungsprozess ermittelt werden.

Inhaltsverzeichnis

1.             Einführung
1.1           Fragestellung
1.2           Research Design
2.             Gütertransport und Entwicklung zwischen Modernisierungs- und Weltsystemtheorie
2.1           Transportinfrastruktur und Wirtschaftsentwicklung
2.2           Modernisierungstheorie
2.3           Kritik an die Modernisierungstheorie
2.4           Entwicklungsindikatoren und empirische Studien
2.5           Luftfrachttransport und Wirtschaftsentwicklung
3.0           Der Globale Wertschöpfungskettendiskurs
3.1           Globale Wertschöpfungsketten und Industrieaufwertung
3.2           Parallelbegriffe zu Wertschöpfungsketten
3.3           Industrieaufwertung und Indikatoren der Wertschöpfungskettenanalyse
3.4           Theorieansätze in der globalen Wertschöpfungskettenanalyse
3.5           Globale Wertschöpfungsketten und Luftfrachttransport
4.0           Wertschöpfungsketten mit hoher Luftfrachtaffinität
4.1           Die Wertschöpfungskette der Semikonduktorenproduktion in Costa Rica
4.2           Edelmetallverarbeitung in Bolivien und Peru
4.3           Die Chilenische Zuchtlachskette
4.4           Die Schnittblumenketten in Kolombien und Ecuador
5.0           Zusammenfassung und Ausblick

Zusammenfassung

Der Beitrag des Luftfrachttransportes zum Globasierungsprozess ist in mehreren Hinsichten bedeutend.  Inwieweit der Luftfrachttransport zur wirtschaftlichen Entwicklung, besonders in Entwicklungsländern beiträgt, ist jedoch eine kontroverse Fragestellung.  TIACA (The International Air Cargo Association) ging dieser Frage in einer Studie (Kasarda/Green 2004) nach, und kam zu dem Schluss, dass eine Korrelation zwischen Luftfrachtverkehr von und nach Entwicklungsländern, und deren Wirtschaftswachstum besteht.  Korrelationsverhältnisse sind jedoch auch oft kontrovers und deren Aussagefähigkeit begrenzt.  Gerade bei umfassenden Indikatoren wie dem Bruttosozialprodukt (Hauptgegenstand der TIACA Studie) entsteht die Frage der Aussagefähigkeit.  Hier bietet sich ein anderer Diskurs, um der Fragestellung nachzugehen, inwieweit Industrien mit hoher Luftfrachtaffinität zu wirtschaftlichen und sozialen Verbesserungsmöglichkeiten führen: nämlich der globale Wertschöpfungskettenansatz.

Der Studienschwerpunkt „Global Value Chains“ (globale Wertschöpfungsketten – hierin auch GVC Forschung genannt) hat sich im letzten Jahrzehnt zu einem Modell für die Beurteilung von Fortschrittsmöglichkeiten individueller Industrien und Organisationen unter dem Begriff „Industrial Upgrading“ (Industrieaufwertungen) ausgedehnt.  Die Hauptfragestellung in diesem Zusammenhang lautet, ob die Möglichkeiten für progressive Erhöhungen der Wertschöpfung im Umfang einer Industrie gegeben sind, und wenn ja, ob und wie sie realisiert werden können.  Diese Aufwertungsmöglichkeiten sind wiederum von „Governance“ (Machtstrukturen) der jeweiligen Wertschöpfungsketten abhängig.  Die gegenwärtige GVC Forschung wird hauptsächlich auf Fallstudienbasis betrieben, um die wesentlichen binnen und insbesondere die globalen Industriestrukturen zu beschreiben, wie und warum diese entstehen, und wie sie möglicherweise zu Industrieaufwertungen führen können. 

Der Luftfrachttransport spielt in der Weltwirtschaft eine erhebliche Rolle: obwohl etwa 1% des gesamten Welthandels gemessen an Gewicht per Luft transportiert wird, beträgt dieser kleine Anteil etwa 40% des Welthandelswertes.  Für die GVC Forschung sollte dies von besonderer Bedeutung sein, da es sich überwiegend bei der Luftfrachtförderung um solche Güter handelt, die hohe Gewinnmargen und somit großes Potential zur Wertschöpfung aufweisen.  Gerade der Güterhandel mit geringwertigen Gütern im Verhältnis zum Gewicht beschäftigt jedoch überwiegend die GVC Forschung, da sich Entwicklungsländer hauptsächlich in diesen Industriesphären bewegen.

Fragestellung

Die hiermit vorgeschlagene Studie  des Luftfrachttransportes in Lateinamerika soll folgende wesentliche Fragestellungen für die GVC Forschung erläutern: