WS 2020/21 Fusion Heimatdialoge
Angesichts der sich mit Globalisierung und Digitalisierung vertiefenden alltagsweltlichen Veränderungen und Instabilitäten und des aufkommenden Rechtspopulismus hat der Begriff „Heimat“ eine neue Aufmerksamkeit erhalten.
Bereits die erste Konjunktur des Heimatbegriffs seit Ende des 19. Jahrhunderts war eine Gegenbewegung zur damaligen Industrialisierung. Heimat ist ein schillernder Begriff, der nicht nur eine Wertschätzung für den ländlichen Raum und kulturelle Traditionen zum Ausdruck bringt, sondern nicht selten der Abgrenzung von äußeren Einflüssen und der Abwehr zeitgenössischer Ausdrucksformen dient. Im Rahmen der Ringvorlesung wird zum einen der Heimatbegriff kritisch reflektiert und seine politischen Gefahren adressiert, zum anderen innovative zeitgenössische Praktiken präsentiert, die im ländlichen Raum bestehende kulturelle Potenziale und Eigenheiten nutzen, aber zugleich neue emanzipatorische Potenziale eröffnen.
Im ersten Vortrag wird der Vorschlag gemacht, die Frage nach Heimat mit einer Programmatik der regionalen Selbstbeschreibung zu beantworten, den unfruchtbaren Streit über die Nutzbarkeit des Wortes Heimat also durch Landschaftskommunikation in eine gemeinsame Aktivität zu überführen. Der Heimatbegriff selbst scheint dagegen nur in Verknüpfung mit anderen Begriffen oder Formaten fruchtbar werden zu können.
Kenneth Anders studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie in Leipzig und Berlin und verfasste bis 1999 eine Dissertationsschrift im Fach Kulturgeschichte. 2004 gründete er mit Lars Fischer das Büro für Landschaftskommunikation, das auf die Nutzung kulturwissenschaftlicher und künstlerischer Arbeitsweisen für Regionalentwicklung zielt. Kenneth Anders gründete 2011 den Aufland Verlag für landschaftsbezogene Literatur und ist Programmleiter des Oderbruch Museums Altranft, das als Werkstatt für Ländliche Kultur für die regionale Selbstbeschreibung arbeitet, und Leiter der Provinziale, des Filmfestes Eberswalde.
Im zweiten Teil der Veranstaltung wird das Projekt „Heimatmaschine“ vorgestellt. Das emotional aufgeladene Konzept der „Heimat“ wird mit vermeintlich rein rationaler Technologie konfrontiert. In aktuellen deutschen Parteiprogrammen, Literatur und wissenschaftlichen Texten wird eine künstliche Intelligenz geschult, um unsere kulturellen Daten zu den Themen Heimat und Zugehörigkeit zu interpretieren und uns zu sagen, was diese Begriffe in einer ungewissen Zukunft tatsächlich bedeuten könnten. Das Publikum wird im Rahmen der Präsentation die Möglichkeit haben Fragen an die Künstliche Intelligenz zu stellen.
Paul Wiersbinski studierte bis 2010 als Meisterschüler der Filmklasse von Mark Leckey an der Städelschule in Frankfurt. Er ist Videokünstler, Performer sowie Autor und zeigt seine Werke in der ganzen Welt. Sein erstes Theaterstück gewann den Autorenpreis Text trifft Regie des Staatstheater Mainz. 2019 wurde er dritter Stipendiat des 26. Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie und der Stadt Weimar unter dem Thema Heimat.
Tagtäglich setzen sich in Nordrhein-Westfalen Menschen für die Gestaltung von Heimat ein. Es sind Menschen ganz verschiedener Prägung - verschiedenen Geschlechts, Alters und unterschiedlicher kultureller Prägung. Die Heimat-Förderung Nordrhein-Westfalen will dieses Engagement im Sinne der Gemeinwohlorientierung wertschätzen und unterstützen. Dabei gibt sie keine Definition von Heimat vor. Heimat in Nordrhein-Westfalen findet ihren Ausdruck im gegenseitigen Respekt voreinander.
Johannes Mehlitz ist ausgebildeter Journalist und absolvierte sein Studium der Geografie, Politischen Wissenschaft und Neueren/Neusten Geschichte in Bonn. Er war als Redenschreiber von Ministerin Barbara Steffens und Minister Armin Laschet sowie als Redakteur beim Rheinischen Merkur, dem Bonner General-Anzeiger, dem Hilfswerk Kirche in Not und der Zeitschrift Weltbild in Augsburg tätig. Momentan ist Johannes Mehlitz stellvertretender Leiter der Stabsstelle Heimat im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Deutschland hat ein Heimat-Fieber erwischt: 2018 richtete die Große Koalition erstmals ein Heimatministerium auf Bundesebene ein, die Bild-Zeitung verteilte 40 Millionen Sonderausgaben kostenlos an alle Haushalte mit dem Schwerpunkt HEIMAT. Dabei ist „Heimat" für die meisten Menschen ein Ort oder ein Gefühl. Wenn aber Politik Gefühle ministrabel machen will, dann am besten welche, die sich in die Zukunft richten - und nicht zurück.
Ferda Ataman ist Journalistin und Publizistin. Sie hat Politikwissenschaften studiert, war Referatsleiterin in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und hat den Mediendienst Integration geleitet. Sie ist Vorsitzende der Initiative »Neue deutsche Medienmacher«, der größten bundesweiten Vereinigung von Medienschaffenden aus Einwandererfamilien. Und sie ist Mitbegründerin der »neuen deutschen Organisationen«, einem bundesweiten Zusammenschluss von Vereinen und Initiativen, die sich gegen Rassismus und für Vielfalt in der Gesellschaft einsetzen. 2019 hat sie das Buch „Hört auf zu fragen. Ich bin von hier“ veröffentlicht. Bis Februar dieses Jahres schrieb sie die Kolumne „Heimatkunde" bei Spiegel Online.
Andrea Röpke ist Politologin, freie Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin. Sie verfolgt seit Jahren die kaum beachtete Entwicklung: Immer mehr junge Rechtsextreme siedeln sich bewusst in ländlichen Regionen an, um dort generationsübergreifend »nationale Graswurzelarbeit« zu betreiben. Dieser unauffällige Aktionismus ist gegen die moderne und liberale Gesellschaft der Großstädte gerichtet, es herrschen alte Geschlechterbilder und autoritäre Erziehungsmuster vor. Die Aussteiger von rechts betreiben ökologische Landwirtschaft, pflegen altes Handwerk und nationales Brauchtum, organisieren Landkaufgruppen und eigene Wirtschaftsnetzwerke, die bundesweit agieren. Sie bringen sich in örtlichen Vereinen ein und gehen in die lokale Politik, um Umweltschutz mit »Volksschutz« zu verbinden und eine angebliche »Überfremdung « zu verhindern. Die Naturverbundenheit ist aber Ausdruck einer Blut- und Boden-Ideologie, der Kinderreichtum dient dem „Erhalt der weißen Rasse“ und der „Reinhaltung des Blutes“.
Wie hängt das zusammen, was steckt dahinter. Vor allem, was haben die Alteingesessenen Rechten und die Zugezogenen gemein, welche Ziele verfolgen Sie. Und was macht das mit uns in unseren Dörfern, mit unserer Gesellschaft, mit unserer Vorstellung von einer freiheitlichen Demokratie?
Martin Raabe, Diakon und Pastor im Ruhestand sowie freier Unternehmensberater für soziale Einrichtungen ist seit 2019 Sprecher der „Gruppe beherzt“ im niedersächsischen Landkreis Uelzen, die sich kritisch mit den dort aktiven etwa rechtsradikalen 100 Siedlerfamilien befassen.
Es gibt wenig ländliche Gebiete, die so mit dem Gefühl Heimat verbunden werden, als die Alpen. Der alpine Raum wurde sehr früh mit diesem, nun so heiß diskutierten Thema, besetzt. Wöchentlich, wenn nicht täglich, wird das Bild der alpinen Heimat aufs Neue prägt und bestätigt. Eine Bildformung die ausschließlich von der Stadt ausgegangen ist, in der die alpine Landschaft als Gegenbild zur Industrialisierung und der rasanten Verstädterung entworfen wurde. Ein Ort der unversehrten Natur, eine wohlgeordnete Welt.
Flachau, den Ort der Betrachtung, mit 2.700 Einwohnern, 11.000 Gästebetten und etwa 5.000 Bediensteten kann man schwer als Dorf bezeichnen. Es ist vielmehr ein dynamischer Industriekomplex. Mit dem Unterschied, dass diese Industrie sehr schön verpackt ist und aus vielen kleinen Einheiten besteht. Die rund 270 Skilifte, 760 km Skipisten und die Autobahn, die das Dorf in seiner gesamten Länge durchschneidet, vervollständigen das Bild der Tourismusmaschine. Zwischen Städten wie Amsterdam, Berlin, Kopenhagen oder Rom und dem Ort Flachau liegt Autobahn – also Autobahn von Haustür zu Haustür bzw. Autobahn von Haustür zu Skilift.
1,4 Millionen Gäste kommen jährlich wegen der guten Erschließung, wegen der schönen Landschaft und wegen der so typischen österreichischen Gemütlichkeit. Für Millionen von Touristen, ist die Welt in Flachau anscheinend noch in Ordnung. Wie schafft man es, dieses Bild zu vermitteln? Wie entwirft man “Eine Woche Heimat”? Wie schafft man es einen Ort zu schaffen der vertraut ist, als ob man ihn aus seiner Kindheit kennt, einen Ort des Wohlfühlens, Zuhausefühlens?
Theo Deutinger führt seit 2005 das Büro TD, mit dem er an praktischen und theoretischen Raummodellen in allen Maßstabsebenen arbeitet. Neben dem Entwerfen von Architekturen und grafischen Essays kuratiert er Ausstellungen und ist mit seinen eigenen Arbeiten Teil internationaler Präsentationen. Theo Deutinger unterrichtete unter anderem am Bauhaus in Dessau, an der Harvard Universität in Cambridge, am Strelka Institut in Moskau und nun an der Universität Kassel.
In Dialog tritt er mit Simone Mooslechner. Sie studierte Verwaltungswissenschaften und beschäftigt sich hauptsächlich mit Marketing & Sales Strategien wie z.B. Hotelkonzepten für familiengeführte Unternehmen. Seit 2008 widmet sie sich ausschließlich dem eigenen Hotel almlust: Eine alpine Ferienanlage in Flachau mit individuellen Wohnmöglichkeiten und neben klassischen Leistungen einem großen Angebot an geführten Bergsportmöglichkeiten.
Immer mehr Dörfer und Städte haben kein Zentrum mehr, sie sehen aus wie ein Donut. Das Leben findet am Stadtrand statt, in peripheren Eigenheimsiedlungen und Einkaufszentren, aufrechterhalten mit einem hohen Mobilitätsaufwand. Öffentliche Begegnungsräume verlieren ihre Bedeutung und Orte ihre Identität und Attraktivität.
Um dem weiteren Verstummen der Stadt- und Dorfzentren etwas entgegenzustellen, braucht es mutige Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die bereit sind, partizipativ mit Bürger*innen Neues zu denken und zu realisieren. Regionalen Schätze und Besonderheiten sind in Wert zu setzen, auch mit starken baulichem Interventionen. Neue Formen des Wohnens, des Arbeitens und der Mobilität sowie Orten der Gemeinschaft können das Leben in die ländlichen Regionen zurückbringen. Technologisch am Puls der Zeit, aber achtsam und entschleunigt. So wird ein deutliches Zeichen für einen sparsamen und intelligenten Umgang mit Grund und Boden gesetzt.
Roland Gruber studierte Architektur an der Kunstuniversität Linz und der ETH Zürich sowie Kultur und Management in Salzburg. 1999 gründete er mit Peter Nageler nonconform – Büro für Architektur und partizipative Raumentwicklung, das sich mit der Transformation von Orten, Unternehmen und Schulen auseinander setzt. Er beschäftigt sich neben der aktiven Projektarbeit mit der Land-Stadt Beziehung und den Zukunftsräumen außerhalb der Ballungszentren. Dazu hat er einige Initiativen gegründet, Forschungsprojekte durchgeführt und Auszeichnungen erhalten.
Armin König studierte Lehramt für Gymnasien in den Fächern Sport und Germanistik und war als Redakteur für die Saarbrücker Zeitung sowie für den Saarländischen Rundfunk tätig. Seit 1996 ist der Bürgermeister der Gemeinde Illingen. 2011 promovierte er zum Doktor der Verwaltungswissenschaften und lehrte an der Fachhochschule für Verwaltung des Saarlandes. Neben zahlreichen Publikationen zum Demografischen Wandel und zur Verwaltungsreform ist Armin König Gründer und Vorsitzender diverser Verbände für Umweltschutz in seiner Region.
Across the world, urbanisation processes are extending into new territories, transforming contexts and creating unique spatial characteristics. Joshua Bolchover focuses on sites in the hinterlands and peripheral areas where the effects of urbanisation are beginning to take hold. His presentation will unpack the use of Frameworks as a methodology to bring the scale of the building and the scale of the territory together by describing three research agendas: The first explores the transformation of China’s countryside since economic reform and the contradictory forces of infrastructural development and bottom-up opportunism. The second, Border Ecologies, investigates the future of Hong Kong’s border with Mainland China by proposing an urban strategy for the Frontier Closed Area, a buffer zone created by the British in 1951. The third framework, Settling the Nomads, is located in the ger districts of Ulaanbaatar, Mongolia, which are extensive settlements of felt tents or gers, resulting from migration of rural nomads moving to the city.
The aim of each investigation is to allow us to view our urban world differently. Even though the speed and extent of urbanisation is accelerated in Asia, Europe is beset with its own issues: from shrinking cities; to contested borders; polarisation; and immigration. As these dynamics between our urban and rural world unfold, The Framework describes a method to engage these emerging challenges through design.
Joshua Bolchover is an Associate Professor at The University of Hong Kong. His current research focuses on sites that are in the process of becoming urban. He set up Rural Urban Framework with John Lin in 2005 with the emit to create a not-for-profit agency as a platform for design and research.
Badruun Gardi graduated in Psychology and Communication from Stanford University, is a Chairman of Smart Air Mongolia, to reduce air pollution, and Co-founder of GerHub, a nonprofit social enterprise that seeks to find innovative and creative solutions to some of the most pressing issues in the ger areas (a form of residential district) of Ulaanbaatar in Mongolia.
Das deutsche Wort “Heimat” lässt sich nicht klar definieren und scheint in keiner anderen Sprache eine Entsprechung zu finden. In einem Dialog aus zwei Kulturen versuchen Martin Fröhlich und Florian Busch, sich über Architektur dem Begriff “Heimat” zu nähern.
Martin Fröhlich wurde 1968 in Magdeburg geboren. Er studierte von 1984 bis 1994 an der Bauhaus-Universität Weimar Architektur und war dort bis 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Bauformenlehre tätig. 1999 gründete er mit Sven Fröhlich das Architekturbüro AFF in Berlin. Er leitet seit 2013 als Professor an der ETH Lausanne mit Anja Fröhlich den Lehrstuhl Laboratory of Elementary Architecture and Studies of Type.
Florian Busch wurde 1973 in München geboren und lebt seit 2004 in Tokio. Nach dem Studium an der Bauhaus-Universität Weimar und der Architectural Association in London arbeitete er von 2004 bis 2008 bei Toyo Ito & Associates. 2009 gründete er Florian Busch Architects. Das in Tokio ansässige Büro arbeitet weltweit an Architektur- und Forschungsprojekten.
Seit einigen Jahren wird vermehrt auch unter sozialen, ökologischen und identitätspolitischen Gesichtspunkten über die Zukunft und das Potential vernachlässigter ruraler Räume diskutiert. Der Diskurs beschränkt sich jedoch zumeist auf europäische, nordamerikanische und bisweilen chinesische Beispiele. Für das von Rem Koolhaas organisierte Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Countryside, the Future“, das zur Zeit im New Yorker Guggenheim-Museum zu sehen ist, hat Niklas Maak zusammen mit seinen Studierenden an der Harvard-Universität und Studierenden der Architekturfakultät der Universität von Nairobi, Kenia, ein Forschungsprojekt zur Zukunft ruraler Räume in Ostafrika initiiert. Die dreijährige Kooperation zeigt, dass jenseits gängiger Klischeevorstellungen eines „Continent in need“ in den vergangenen Jahren in Afrika gerade jenseits der Metropolen weitreichende und erfolgreiche Experimente zur Wiederbelebung, Stabilisierung ruraler Räume und zu nichtxenophoben, inklusiven Formen von Identitätsstiftung stattgefunden haben, die auch für Europa und Nordamerika Vorbildcharakter haben können.
Niklas Maak studierte in Hamburg und Paris Kunstgeschichte, Philosophie und Architektur. Er leitet das Kunst- und Architekturessort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und lehrt Architekturgeschichte und -theorie in Harvard.
Die Universität von Nairobi ist eine forschungsintensive Universität mit einem Ruf für Exzellenz und einer starken und lebendigen Forschungskultur. Der Fachbereich Architektur ist einer der ältesten in der Region und verfügt über eine starke Anlehnung an kritisches Denken und Forschung. Die Studierenden sind Teil eines jährlichen "Rural studies"-Studios, das im dritten Jahr des Studiums durchgeführt wird und das sich mit der sich ständig verändernden und dynamischen Landschaft als einen wichtigen Motor für zukünftiges Wachstum und Entwicklung beschäftigt:
Linda Nkatha Gichuyia hat einen Master in Environmental Design und einen Doktor in Architektur von der University of Cambridge. Sie ist Dozentin an der Fakultät für Architektur und Bauwesen der Universität von Nairobi. In ihren verschiedenen Funktionen als praktizierende Architektin, Teilzeitbeamtin der kenianischen Regierung und als Forscherin und Beraterin für Stadtentwicklung ist sie auch an der Ausarbeitung von politischen Rahmenwerken und Strategien für die kenianische Regierung sowie internationalen Organisationen beteiligt.
Etta Madete ist Architektin bei Buildx Studio, Dozentin an der Universität von Nairobi und Aspen 2020 Fellow. Sie praktiziert, lehrt und forscht zu architektonischen Designinnovationen, um eine nachhaltige wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung in Kenia und darüber hinaus zu erreichen.
Heimat und Tradition sind Begriffe, die in unserer heutigen globalisierten Gesellschaft als Werte verwendet werden: Heimat und Tradition werden vor Allem auch im Architekturdiskurs als positive und erstrebenswerte Parameter beim sensiblen und kontextuellen Bauen von heute angewandt – mal als wörtliches Zitat, mal abstrahiert als Manifest der Aufarbeitung und Reflektion und Anerkenntnis unserer Vergangenheit. Verwendet man diesen Begriff jedoch selektiv wertend, wird schnell aus einer formalistischen Würdigung eine exklusive Legitimationsodyssee. Wie kann sich die Architekturpraxis hier positionieren und müssen wir das überhaupt? Wessen Heimat dürfen/können/müssen wir als Architekten bauen und welche Rolle spielen unsere eigenen Heimaten und dazugehörigen Privilegien dabei? Um diese Fragen im Kontext der Architektur zu auszuloten, sollen die Begriffe der intellektuellen, gelebten und baulichen Heimat aus verschiedenen Standpunkten betrachtet werden: Einerseits an Projekten von Partner und Partner in seinem Gründungsort im Schwarzwald, andererseits an Bauprojekten der norwegischen Bau-NGO GyawGyaw an der thailändisch-myanmarischen Grenze.
Jörg Finkbeiner absolvierte eine Ausbildung zum Schreiner und anschließend ein Architekturstudium an der TU Berlin, wo er später als Lehrbeauftragter tätig war. Er gründete 2006 mit Klaus Günter Partner und Partner Architekten in Berlin und unterrichtete bis 2017 im Rahmen einer Professur unter anderem Nachhaltiges Konstruieren an der Hochschule Detmold. Seit 2011 ist Jörg Finkbeiner Cradle-to-Cradle Consultant und gehört damit zu den Pionieren des zirkulären Bauens in Deutschland.
Jae-Young Lee wurde 1989 in Süd-Korea geboren und studierte Architektur an der Bauhaus-Universität in Weimar und École Spéciale d’architecture in Paris. Seit 2016 arbeitet sie an der thailändisch-myanmarischen Grenze für die Bau-NGO GyawGyaw, seit 2018 auch für Partner und Partner Architekten in Berlin.
Die Rural School of Economics beginnt 2020 und 2021 in Europa. Wir werden von einer a-nationalen und trans-lokalen Identifikation lernen: Dem Ruralen. Mit Bauernfamilien, Künstlern, Akademikern, Dorfbewohnern und Migranten lernen wir von Selbstbestimmungsstrategien, die im gelebten ländlichen Raum existieren und die Ökonomie als einen alltäglichen Akt zurückzunehmen.
Die Schule begreift "Ökonomie" als die tägliche Grundlage dafür, wie wir Raum geben (oder bekommen), um zu unseren Bedingungen zu handeln. Die Rural School of Economics richtet ihre nomadischen Klassenzimmer in Scheunen, auf Feldern und in Dorfsälen ein. Der Schlüssel zum Lernen liegt darin, ländlichen Gemeinschaften zuzuhören und solidarisch zu handeln, die vor großen Herausforderungen in ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Überleben stehen (und standen). Wir werden 2021 mit europäischen ruralen Orten beginnen; in Russland, Schottland, Italien, Weißrussland, Deutschland und den Niederlanden. Gemeinsam bauen wir auf eine starke Kultur auch in der Peripherie.
Es ist dringend notwendig, von der Anpassung an einen Ort und der Fähigkeit zu lernen, sich mit dem Nicht-Menschlichen zu verbinden. Mit der Rural School of Economics will Myvillages Trans-Lokalität als neue Geographie und Identität praktizieren (versus erzwungenen Nationalismus); das Ländliche als Ort kultureller und wirtschaftlicher Wissensproduktion und Innovation anerkennen (versus städtische Dominanz und zentralistisches Denken) und Solidarität und Kollektivität durch die gelebte Erfahrung von Interdependenz stärken (versus weitere Individualisierung und Abkopplung von der Natur).
Myvillages wurde 2003 gemeinsam mit Antje Schiffers (DE) gegründet, um sich für ein neues Verständnis des Ländlichen als Ort der und für kulturelle Produktion einzusetzen.
Das Kollektiv arbeitet innerhalb ländlicher und städtischer Gemeinschaften, um Möglichkeiten (wieder) zu verbinden, die durch städtisches Denken ausgelöscht oder vernachlässigt oder in den bisherigen kulturellen Darstellungen übersehen wurden. Myvillages ist an kooperativen Projekten in verschiedenen Dörfern und Landschaften auf der ganzen Welt beteiligt. Sie initiieren translokale und internationale Projekte, die von informellen Präsentationen bis zu langfristigen Kooperationen reichen, von der Arbeit in privaten spm-Ausstellungen, von persönlichen Fragen bis zu multidisziplinären Forschungen und Publikationen sowie dem Aufbau dauerhafter Infrastrukturen.
‚Heimat‘ und Naturschutz haben gemeinsame historische Wurzeln in der ‚Heimatschutzbewegung‘ und sie sind jeweils konservativ ausgerichtet, insofern sie Bestehendes (‚Heimat‘ oder ‚Natur‘) bewahren wollen. Jeweils liegt diesem Konservatismus eine Höhergewichtung und Höherbewertung von Stabilität gegenüber Wandel zugrunde. Diese Favorisierung von Stabilität gegenüber Wandel führt in einer sich beschleunigt verändernden Welt unweigerlich zu sozialen Konflikten. Das betrifft auch die strategische ‚Allianz‘ von Heimat- und Naturschutzargumentationen. Der Vortrag wird auf diese Hintergründe, auf mögliche Konfliktfelder und auf mögliche Umgangsweisen mit solchen Konflikten eingehen.
Karsten Berr studierte Landespflege an der Fachhochschule Osnabrück sowie Philosophie und Soziologie an der FernUniversität in Hagen, wo er 2008 in Philosophie promovierte. Nach Tätigkeiten in Oldenburg, Hagen und Vechta forschte er von 2012-2017 in einem von ihm geleiteten DFG-Projekt zur Theorie der Landschaft und Landschaftsarchitektur sowie zur Architektur- und Planungsethik an der TU Dresden, BTU Cottbus und Universität Vechta. Seit Mai 2018 ist er an der Eberhard Karls Universität Tübingen tätig.
Guido Puhlmann studierte Meliorationsingenieurwesen an der Universität Rostock. Er wechselte 1993 von der Unteren Naturschutzbehörde in die staatliche Wasserwirtschaftsverwaltung nach Dessau bzw. nach Wittenberg als Dezernatsleiter für Hochwasserschutz und der Deichunterhaltung an Elbe, Mulde, Saale und Schwarzer Elster. 1998 wurde er Leiter der Biosphärenreservatsverwaltung Mittelelbe im Geschäftsbereich des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft und Energie des Landes Sachsen-Anhalt. Seit 1997 vertritt er Sachsen-Anhalt der Bund-Länder AG Erstellung/ Umsetzung Sohlstabilisierungskonzept Elbe und seit 2013 den Naturschutzbereich der Bundesländer in den Gremien des Gesamtkonzeptes Elbe.
Der erste Vortrag konzentriert sich auf die Gestaltung der palästinensischen Museumsgärten, die eine Erkundung der Landschaft als Ausdruck von Identität an der Schnittstelle von Natur und Kultur darstellen. Die Gärten repräsentieren die dominante Rolle der natürlichen Landschaft im Leben der Palästinenser und erzählen die Geschichte der verschiedenen Pflanzen, die sie sowohl physisch als auch kulturell erhalten. Zweiundsiebzig Pflanzenarten wurden in einer Reihe von kaskadenförmigen Terrassen gepflanzt, die mit traditionellen Trockenmauern angelegt wurden - eine Landform, die von palästinensischen Bauern seit der Antike perfektioniert wurde. Die Terrassen sind mit typischen aromatischen einheimischen Pflanzen, Sträuchern und Blumen sowie traditionellen Grundnahrungsmitteln bepflanzt, die ein wesentlicher Bestandteil der palästinensischen Kulturlandschaft sind.
Die zweite Präsentation beschreibt Teil einer fortlaufenden Design-Forschung um alternative Möglichkeiten zu erforschen, die palästinensische Landschaft aus einer lokalen Perspektive zu erzählen und neu zu gestalten. Spekulative und Live-Projekte beschäftigen sich mit der Politik des Ortes, um alternative räumliche Praktiken anzubieten, die die koloniale Auslöschung des palästinensischen Narrativs herausfordern und einen Gegenraum für die Vorstellungskraft bieten. Der Begriff des "Gartens" wird als ein Mittel zur Rückgewinnung der fragmentierten ländlichen Landschaft hinterfragt. Die palästinensische rurale Landschaft hat sich in eine Reihe von Leerstellen verwandelt, die jedoch mit räumlichen Potentialen verbunden sind. Weit davon entfernt, leer zu sein, ist die ländliche Leere alles, was nicht besetzt ist, sie ist der Raum für Reproduktion und die Konfrontation mit dem "Anderssein".
Lara Zureikat ist eine der führenden Designerinnen auf dem Gebiet der Landschaftsarchitektur im Nahen Osten und ist stellvertretende Direktorin des Center for the Study of the Built Environment (CSBE) in Amman. Ihre Arbeit am CSBE konzentriert sich auf die Gestaltung von einheimischen, wassersparenden Landschaften und wurzelt in der Verbindung zum Ort und in der Integration natürlicher Prozesse, um relevante und nachhaltige Landschaften zu schaffen.
Dr. Yara Sharif ist Dozentin und Praktikerin mit einem Interesse an Design als Mittel zur Erleichterung und Befähigung "vergessener" Gemeinschaften, während sie auch die Beziehung zwischen Politik und Architektur hinterfragt. Sie kombiniert Forschung mit Design, arbeitet parallel zu ihrem Architekturbüro Golzari-NG Architects an der University of Westminster und hat das Palestine Regeneration Team (PART) mitbegründet: Eine designgeleitete Forschungsgruppe, die nach kreativen und reaktionsfähigen räumlichen Möglichkeiten sucht, um die zerrüttete Landschaft zu heilen.
Im ersten Teil des Abends wird Mo Asumang ihr Projekt (Buch und Film) „Mo und die Arier“ in Form von Text- und Filmauszügen vorstellen und anschließend mit dem Publikum diskutieren. Dabei geht es um eine kritische Analyse rechtsradikaler Rassisten: ‚Was ist germanisch? Was ist deutsch? Wer ist arisch?‘ Hiervon ausgehend, wird Mo Asumang während des zweiten Teil des Abends im Gespräch auf das Thema der Ringvorlesung eingehen und als gebürtige Kasselerin ihr Verständnis von Heimat skizzieren, einen Begriff, den sie nicht den Rechtsradikalen überlassen will.
Mo Asumang ist Filmregisseurin, Fernsehmoderatorin, Bestsellerautorin, Schauspielerin, Sängerin, Synchronsprecherin, Künstlerin und Filmproduzentin. Von 1985 bis 1990 studierte sie Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Bildende Künste Kassel und von 1992 bis 1994 Klassischen Gesang an der Universität der Künste Berlin. 2004 gründete sie die MA Motion Filmproduktion und führte Regie bei Dokumentarfilmen. Sie ist vielseitig tätig und mit ihren Filmen hält sie weltweit Vorträge an Schulen und Universitäten zum Thema Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie wurde 2014 zu einer ehrenamtlichen Botschafterin gegen Rassismus für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ernannt und erhielt 2016 den Verdienstorden des Landes Berlin und 2019 das Bundesverdienstkreuz am Bande.