Studentischer Wettbewerb an der Universität Kassel entschieden!
Die HGON (Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz) lobte im Sommersemester 2024 einen studentischen Wettbewerb am Institut für Architektur der Universität Kassel für das Aueninformationszentrum Bingenheimer Ried aus, das sich zwischen den Hessischen Ortschaften Bingenheim und Reichelsheim erstreckt. Das 85 Hektar große Niedermoor (Ried) ist Bestandteil des Fauna-Flora-Habitats des Auenverbundes Wetterau.
Aufgabe und Anforderungen
Für ein konkretes Grundstück westlich von Bingenheim der Gemeinde Echzell sollten Studierende des Fachbereichs ein Aueninformationszentrum konzipieren.
Dieses beinhaltet ein übersichtliches Raumprogramm, wie Vortragssaal, Ausstellung, Büroarbeitsplatz, sanitäre Einrichtungen, Nebenraum und Technikfläche. Das Haus ist Bildungs- und Informationszentrum sowie Treffpunkt in einem. Von hier aus starten geführte Touren zum Bingenheimer Ried.
An die Planung werden höchste Anforderungen an eine naturverträgliche Bauweise mit Vorbildfunktion gestellt. Diese reichen von der Wahl der Baustoffe bis zum haustechnischen Konzept inklusive Ver- und Entsorgung: Es soll ein Projekt entstehen, das durch die Bauweise und den Betrieb eine deutlich CO2-mindernde Bilanz aufweist, emissionsfrei ist und weitgehend unabhängig betrieben werden kann. Dies gilt für Wärme, Strom und Wasserkreislauf gleichermaßen. Dafür ist die Aktivierung und Renaturierung des etwa 6.000 Quadratmeter großen Grundstücks integrativer Bestandteil.
Das Grundstück soll einladend gestaltet sein und neben einem großzügigen Feuchtbiotop ebenfalls Rückzugsorte für Tiere und Menschen, Treffpunkte für alle Altersklassen, Erstinformation sowie Fahrrad- und Autostellplätze aufnehmen.
Fachkundige Betreuung und Jurierung
Das Projekt wurde von den Fachgebieten Entwerfen und Baukonstruktion von Vertretungsprofessor Christoph Palmen und dem Fachgebiet Entwerfen und Nachhaltiges Bauen von Prof. Frank Kasprusch im Sommersemester 2024 herausgegeben und betreut.
Insgesamt wurden elf Arbeiten aus den beiden Fachgebieten für das Wettbewerbsverfahren eingereicht. Unter Vorsitz von Frau Prof. Andrea Wandel wurden in den Wertungsrunden insgesamt drei Preise und drei Anerkennungen durch die Jury ermittelt. Die drei Preise wurden gleichrangig als erste Preise vergeben worden.
Preis 1: Aueninformationszentrum - Alles unter einem Dach
Die Arbeit von Michelle Gartung und Yasmin Kirsch mit dem Titel Aueninformationszentrum – Alles unter einem Dach überzeugte die Jury im Zusammenspiel von Außenanlage und Gebäude. Das Gebäude erhält seine Prägung durch das allseits präsente, ausladende Dach. Dieses verbindet schwellenarm die große Ausstellungsterrasse mit dem höchst funktionalen und komprimierten Innenraum des Gebäudes. Als besonders positiv wurde der Dachaustritt bewertet, der den Besucher:innen die Möglichkeit gibt, das Gelände des Aueninformationszentrums aus einer erhöhten Position zu erleben und einen Blick zum Kerngelände des Bingenheimer Rieds zu ermöglichen.
Die Dachkonstruktion, bestehend aus einer Steckkonstruktion aus Holzbrettern und Aluprofilen, soll – so die Empfehlung der Jury – auf Materialersparnis optimiert werden. Vorteilig werden die kleinen und modularen Bauteile gewertet, die einen sehr wirtschaftlichen Transport und eine kurze Aufbauzeit vermuten lassen.
Die großzügige Vernässung der Außenanlagen zu einem Feuchtbiotop wird als positiv bewertet. Das vorgeschlagene energetische Konzept ist schlüssig und bedient sich der Wechselwirkung von Außenanlagen- und Gebäudegestaltung. Das großzügige Dach begründet seine Größe aus der Installation einer großzügig ausgelegten PV-Anlage, die das Gebäude zu einem emissionsarmen Plusenergiegebäude qualifizieren kann. Der überschüssige Strom kann in diesem Falle in die angrenzende Kommune eingespeist werden.
Preis 2: Low Footprint
Der Wettbewerbsbeitrag LOW FOOTPRINT von Marco Niemeier und Mark Winnefeld hat sich konsequent der Minimierung des Materialeinsatzes und des Eingriffs in den Boden verschrieben. Die Arbeit nutzt dabei ein einfaches statische System: eine gestaltprägende etwa neun Meter hohe Baumstütze übernimmt die gesamten Druckkräfte des angehängten Gebäudes. Alle anderen Bauteile werden daher nur noch auf Zug belastet und können extrem materialminimiert konzipiert werden. Die Baumstütze ist gelenkig auf einem im Boden eingelassenen Findling aufgestellt und wird durch 16 Millimeter starke Carbon-Seile wie bei einem Zelt abgespannt. Diese Abspannungen nehmen auch die Decken- und Fußbodenplatte des Gebäudes auf, die ebenfalls durch Seile verwindungssteif miteinander verbunden werden. Die Seile werden im Untergrund punktweise zugfest fixiert. Da keine weiteren statischen Elemente wie Stützen oder tragende Wände gebraucht werden können beispielsweise die Verglasungen nur eingespannt und untereinander acryliert werden. Die Bauweise lässt eine sehr kurze Aufbauphase vor Ort bei hoher Vorfertigung im Werk vermuten. Wenige Einbauten definieren einen höchst funktionalen und flexiblen Grundriss. Die schwellenarme Interaktion zwischen Innen und Außen wird – bei hoher Kompaktheit - als positiv gesehen. Die Materialminimierung und die Kompaktheit lässt eine wirtschaftliche Bauweise vermuten.
Eine auf allen Seiten angebaute Pergola überdacht eine umlaufende Terrasse, bietet Sonnenschutz und nimmt auf der Oberseite drehbare PV-Elemente auf. Weitere PV findet sich auf der extensiv begrünten Dachfläche.
Die Qualität der Zuwegung, der allseits gleich dimensionierten Terrasse und der Außenanlagen sollten im Zuge der Überarbeitung mit der Bauherrnschaft genauer abgestimmt werden.
Preis 3: Besucherzentrum im Bingenheimer Ried
Die Arbeit Besucherzentrum im Bingenheimer Riedvon Benjamin Hennig Omicevic und Marie Scheiber spannt zwischen zwei Gebäudeteilen eine alles verbindende Terrasse auf, die über eine Membran wettergeschützt überspannt wird. In dem unabhängig zugänglichen kleinen Gebäudeteil wird eine dreidimensionale Übertragung der sogenannte Kiebitz-Cam vorgeschlagen. Gewürdigt wird, dass durch die Anordnung der gekrümmten beiden Baukörper eine sehr nutzungsflexible und wettergeschützte Terrasse für die Außenausstellung und Veranstaltungen entsteht. Diese ist über eine kreisbogenförmige Glasschiebewand mit dem südlichen Gebäudeteil schwellenarm verbunden – wodurch eine hohe Nutzungsvariabilität erzielt wird. Die differenzierten Außenanlagen werden positiv gewertet. Das integrale Energiekonzept scheint belastbar und sinnvoll.
Die Aufhängungspunkte der Membran sind für die zu erwartenden Lasten zu filigran dargestellt - bei der Konfektionierung der Membran ist auf eine dreidimensionale und wasserabführende Einspannung zu achten. Es ist zu prüfen, ob die Membran ganzjährig aufgehängt bleiben kann.
Es soll eine Außenzugänglichkeit mindestens einer Toilette ermöglicht werden. Die doppelgekrümmte Holzdachkonstruktion des großen, südlichen Baukörpers sollte konstruktiv vereinfacht werden.
Realisierung bis Ende 2026
In Folge werden nun die drei ersten Preise auf Vereinfachungen untersucht, kosten- und bautechnisch bewertet und den Nutzer:innen und der Gemeinde Echzell vorgestellt. Ziel ist es, eine Arbeit aus diesen drei höchst interessanten Ansätzen zu identifizieren, die bis Ende 2026 gebaut werden soll.
Ab Januar 2025 werden dazu die notwendigen Planungsschritte in einem Zeitplan fixiert und zwischen der HGON als Bauherrnschaft und der Universität Kassel, Fachgebiet Entwerfen und Nachhaltiges Bauen, beschlossen.