06.12.2021 | Empfehlung

Kacke ist Gold: Mitstreiter*innen für interdisziplinäre Projektgruppe gesucht

Für die gemeinsame Durchführung von Bildungs- und Praxisprojekten zum Thema nachhaltige Sanitäsysteme und Schließung von Nährstoffkreisläufen hat sich vor kurzem eine Gruppe aus Studierenden am FB11 und ehemaligen Studierenden gegründet. Da die Projekte thematisch nicht nur die Agrarwissenschaften, sondern auch zahlreiche andere Wissenschaftsdisziplinen betreffen, sind Studierende und Lehrende anderer Fachbereich zur Mitarbeit in der Gruppe und zur Teilnahme an künftigen Bildungsangeboten eingeladen.

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Unsere neu gegründete Projektgruppe beschäftigt sich mit dem Thema, welches viele lieber unangetastet in der Kloschüssel belassen würden. Ein Thema welches mit Scham und Angst behaftet ist, aber gleichzeitig das Potenzial hat, Aufmerksamkeit zu erzeugen und mit Humor ausgeschmückt zu werden. Unsere am Fachbereich für Ökologische Landwirtschaft gegründete studentische Gruppe hinterfragt den derzeitigen Umgang mit Exkrementen, da das liebgewonnene System der Schwemmkanalisation in der jetzigen Form einige ökologische Probleme mit sich bringt. Darum stellen wir uns die Frage, wie die Gesellschaft den Umgang mit Exkrementen ändern könnte, unter anderem um sie wieder als Dünger nutzbar zu machen.

Diese Frage kann nicht allein aus agrarwissenschaftlicher Sicht beantwortet werden. Denn ebenso wie die Ernährungswende, ist die Sanitärwende kein rein technisches oder agrarwissenschaftliches Problem. Rechtliche Rahmenbedingungen, Kultur, Scham, Stadt-Land-Gegensätze, Hygiene, Gesundheit, Stigmatisierung, Geschlechterunterschiede - das Sanitärdilemma lässt sich nur verstehen, wenn wir durch die historische, psychologische, ingenierwissenschaftliche und kulturelle Brille auf das Thema blicken (Beispiele für vielseitige Zugänge zum Thema finden sich z.B. unter https://thepoopproject.org/, welches zeigt, dass z.B. auch eine künstlerische Aufarbeitung lohnt) . Wir brauchen Perspektiven aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. 

Darum laden wir Studierende und Lehrende aller Fachbereiche, die gerne den Blick über den Tellerrand hinaus bis auf die Toilette werfen möchten, ein, Teil unserer Sanitärwende-Gruppe zu werden und uns mit Inspirationen und Ideen zu unterstützen. Wir möchten die Arbeit der Gruppe mit der Planung einer Vorlesungsreihe starten und sind offen für weitere Ideen für Bildungs- und Praxisprojekte. Je nach Umfang der Mitarbeit lassen sich für Studierende ggf. im Rahmen von Projektarbeiten auch  Credits erwerben. Meldet Euch bei Theresa: uk063713[at]student.uni-kassel[dot]de

Ihr müsst noch mehr wissen, bevor Ihr Euch auf ein solches Unterfangen einlassen könnt?

Warum wir uns für Fäkalien und Urin interessieren...

Weil sie einen so großen Nutzen für Bodengesundheit, Düngung und Kreislaufwirtschaft hat, ist Kacke am Fachbereich für Ökologische Landwirtschaft ein großes Thema. In der Regel geht es dabei aber nur um die Ausscheidungen von Tieren. Solange wir uns nicht auch um unsere eigenen Ausscheidungen kümmern, kann von einer Schließung von Nährstoffkreisläufen jedoch ehrlicherweise keine Rede sein.

An inconvenient poop...
Denn spätestens seit der weiten Verbreitung der Schwemmkanalisation wurden menschliche Exkremente in den Industrienationen vom wertvollen Rohstoff zu Abfall umgedeutet. Neben einer bequemen Lösung für die Sicherung hygienischer Bedingungen in den Städten brachte die Schwemmkanalisation leider auch allerlei unerwünschte Nebenwirkungen mit sich: die Verunreinigung  und der Verlust von Nährstoffen (und Kohlenstoff), Einträge in die Umwelt und ein hoher Wasserverbrauch sind nur einige davon. Darum hat sich am Fachbereich für Ökologische Landwirtschaft vor kurzem eine studentische Sanitärwendegruppe gegründet. Wir fragen uns: Wie sieht eine zukunftsfähige Sanitärversorgung aus? Reicht die geplante Phosphor-Rückgewinnung aus Klärschlamm oder müssen wir verstärkt auf Trocken-Trenn-Toiletten umrüsten? Und was braucht es für eine Sanitärwende?

Wir sind nicht die Ersten und Einzigen...
Trotz rechtlicher und kultureller Hürden, bemühen sich mittlerweile auch in Deutschland Projekte und Wissenschaftler*innen um das Aufzeigen von Lösungen für nachhaltige Sanitärsysteme. Zum Beispiel finizio aus Eberswalde mit dem ersten (zumindest seit Mitte des 20. Jhrt.) Feldversuch kompostierter menschlicher Fäkalien in Dtl. und der Forschung am Leibnitz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau um Dr. Ariane Krause. Aus historischer und kulturwissenschaftlicher Sicht hat sich im deutschsprachigen Raum z.B. Florian Werner intensiv mit dem Thema befasst: https://literaturkritik.de/id/15524.

 

Fragen um zukunftsfähige Sanitärsysteme an der Uni ins Bewusstsein zu rücken
Im 19. und 20. Jahrhundert war die Verbreitung der Schwemmkanalisation eine große Errungenschaft für die Verhütung von Krankheiten und würdevolle Lösungen für Sanitärsysteme. Gleichzeitig hat sie uns in eine knifflige Lock-in-Situation geführt: Die aufwändige Infrastruktur für die Schwemmkanalisation lässt sich nicht so leicht durch nachhaltige Trocken- und Trennsysteme ersetzen und die zunehmende Bequemlichkeit und Fäkophobisierung erschwert es, einen kritischen Diskurs über liebgewonnene Fäkalienbeseitigungssysteme anzustoßen.

Wir finden: eine Agrar- und Ernährungswende geht nicht ohne Sanitärwende. Auch an der Uni Kassel sollten spannende und unbequeme Fragen rund um einen verantwortungsvollen Umgang mit unseren Hinterlassenschaften intensiver diskutiert werden. Ebenso wie die Ernährungswende ist die Sanitärwende kein rein technisches oder agrarwissenschaftliches Problem. Rechtliche Rahmenbedingungen, Kultur, Scham, Stadt-Land-Gegensätze, Hygiene, Gesundheit, Stigmatisierung, Geschlechterunterschiede - unser Sanitärdilemma lässt sich nur verstehen, wenn wir durch die historische, psychologische und kulturelle Brille auf die Menschheit blicken. Für tragfähige Lösungen braucht es Schnittstellen zwischen Agrar-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften.
   

Hier findet Ihr weitere Inspirationsquellen:
   
Forschung in Dtl. zum Hören für Faule:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/projekt-sanitaerwende-wenn-kot-zu-kompost-auf-dem-acker-wird-100.html   
https://www.ardaudiothek.de/episode/wissen/hygiene-auf-kosten-der-umwelt/swr2/91935246/
    
Diskussionspapier "Ressourcen aus der Schüssel sind der Schlüssel"
https://www.naehrstoffwende.org/diskussionspapier-naehrstoff-und-sanitaerwende/
    
künstlerische Aufarbeitung von Sanitärwende über Scham, Gesundheit und Humor rund ums Kacken:   
https://thepoopproject.org/
    
Startups:
https://www.goldeimer.de/blog/ und https://finizio.de/
    
Rechtliche Rahmenbedingungen zur Düngung mit Fäkalien:
https://www.igzev.de/wp-content/uploads/2019/04/MA-Korduan_DGSVO-gecheckt.pdf
    
Für den großen Überblick: Buch zur Kultur rund um Hygiene und Ausscheidungen und zu Hintergründen der Schwemmkanalisation sowie Lösungsansätze