Alexander Hissting

Einsatz für eine gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirtschaft

Bei der Wahl meines Studienortes waren zwei Aspekte ausschlaggebend. Die ökologische Ausrichtung und ein hoher Stellenwert der landwirtschaftlichen Praxis. In Witzenhausen sah ich beides vereint. Als Zugangsvoraussetzung für das Studiums 1992 musste ich ein Jahr Praxiserfahrung nachweisen. Und spätestens im Schwerpunkt ökologischer Landbau (SPÖL) hielt der starke Praxisbezug auch ins Studium Einzug.

Alexander Hissting - Diplom Agrarwirtschaft, Schwerpunkt Ökologischer Landbau, Abschluss 1998. Aktuell: Geschäftsführer von VLOG (Verband Lebensmittel ohne Gentechnik) (Foto Mehdi Bahmed).

Politisches Engagement im Studium

Neben der fachlichen Ausbildung an der Uni war für mich rückblickend die Möglichkeit des politischen Engagements während des Studiums absolut zentral für meinen beruflichen Werdegang. Schon früh, in 1993, habe ich mich dem Widerstand gegen den Anbau von gentechnisch veränderten (GV) Pflanzen verschrieben. Auslöser war die erste Freisetzung landwirtschaftlicher GV-Nutzpflanzen (Zuckerrüben) in Deutschland durch die Kleinwanzlebener Saatzucht AG (KWS) etwas südlich von Einbeck. Eine sechswöchige Feldbesetzung vor Ort glich einem Intensivkurs Gentechnik. Die Gespräche mit Gleichgesinnten, die verbalen Auseinandersetzungen mit KWS-Mitarbeiter*innen oder das rege Interesse von Journalist*innen waren eine gute Schule.

In den folgenden Jahren etablierte sich der Gentechnikwiderstand in Witzenhausen und prägte mein gesamtes Studium. Ohne das wohlwollende Umfeld an der Uni und ausreichend Lehrkräfte, die das Engagement würdigten und förderten, wären entweder das Studium oder die Gentechnik-Arbeit auf der Strecke geblieben. Das rechne ich einzelnen Personen auch heute noch sehr hoch an.

Wander- und Orientierungsjahre

Die Jahre nach dem Diplom 1998 pendelte ich zwischen einer Alp in Graubünden, ausgedehnten Reisen und der weiteren gentechnikkritischen Arbeit in Witzenhausen. Sicher war das laut Karrierefibel nicht der gradlinigste Weg zum beruflichen Erfolg. Aber ich hatte auch damals schon die Überzeugung, dass es wichtiger ist mit mir im Reinen zu sein, als den Ratschlägen zu folgen, was man Sinnvolles mit einem abgeschlossenen Studium tun sollte.

Dem Herzensthema treu bleiben

Am Ende war es mein ehrenamtliches Engagement, das mir meine erste dauerhafte Stelle einbrachte. Greenpeace war auf meine Gentechnik-Arbeit aufmerksam geworden, engagierte mich erst für einen Rechercheauftrag und wies mich dann auf eine vakante Stelle als Landwirtschafts-Campaigner in Hamburg hin. Ich war völlig begeistert, als ich 2002 tatsächlich an die Elbmetropole zog. Ich konnte an „meinem“ Thema weiterarbeiten, war aber jetzt von einem ganzen Team aus Kolleg*innen umgeben, mit denen ich zusammen langfristige Strategien, intensive Kampagnen und kreative Aktionsideen aushecken konnte. Im Unterschied zu früher, als Teil einer studentischen Initiative, fand ich nun, mit einer internationalen Organisation im Rücken, deutlich mehr Gehör und hatte die Chance Einfluss auf Wirtschaft und Politik zu nehmen.

Acht Jahre bei Greenpeace waren prägend und lehrreich. Aber 2010 war die Zeit weiterzuziehen. Ich bekam die Möglichkeit in eine kleine Unternehmensberatung einzusteigen, der ökologische Prinzipien ebenso wichtig waren, wie der direkte und vertrauensvolle Zugang zu Unternehmen der Lebensmittelbranche.

Der Wirtschaft eine gentechnikkritische Stimme geben

Ein Kunde der ersten Stunde war der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). Der junge Verein, gegründet in 2010, suchte eine Agentur, die seine Geschäfte führt. Der VLOG vertritt die Interessen der gentechnikfrei wirtschaftenden Futtermittel- und Lebensmittelwirtschaft und vergibt das staatliche "Ohne GenTechnik"-Siegel für entsprechend hergestellte Lebensmittel. Seit 2016 steht der VLOG auf eigenen Beinen und konnte drei Mitarbeitende, inkl. mich als Geschäftsführer engagieren. Seitdem ist aus dem „Startup“ ein veritabler Wirtschaftsverband mit 30 Mitarbeitenden geworden.

Auch wenn ich mittlerweile 28 Jahre an ein und demselben Thema arbeite, ist es mir keine Sekunde langweilig geworden. Ich habe das Glück, mich aus unterschiedlichsten Perspektiven und mit verschiedensten Mitteln für meine Herzenssache einsetzen zu können; als studentischer Aktivist, als Teil einer internationalen Pressure-Group und als Leiter eines Wirtschaftsverbandes.

1993 hatte ein älterer Mitarbeiter der KWS gemeint, mir den väterlichen Rat geben zu müssen, dass mein Engagement gegen die Agro-Gentechnik zwecklos sei. In zehn Jahre wäre sowieso alles Saatgut gentechnisch verändert. Heute wächst keine einzige GV-Pflanze im Freiland in Deutschland. 60 Prozent der Geflügelfleischproduktion und jeweils 70 Prozent der Eier- und Milchproduktion in Deutschland sind nach dem "Ohne Gentechnik"-Standard des VLOG zertifiziert. Über 14.000 Lebensmittel tragen das "Ohne GenTechnik"-Siegel und stehen für jährliche Konsumentenausgaben von ca. 11 Milliarden Euro. Ich bin froh, meinen Anteil zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben und dankbar für die Möglichkeiten und die Unterstützung, die mir in Witzenhausen zuteil wurde.

Kommentar

Mark Spoelstra: Alexander, gut gemacht!!!! Ich habe meine Kinder und Studierende immer mit auf dem Weg gegeben: Mache das, was dich interessiert, was dich beschäftigt. Gucke nicht auf Kariere und Bezahlung. Du mußt glücklich sein mit was du tust und voll dahinter stehen. Dann wird es auch was Gutes.
Selbstwertgefühl ist das höchste Gut, das man ein Heranwachsender mit auf dem weg geben kann. Weiter so!

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