Bernward Geier
Wir haben unser Ding gemacht
Mein Studium in Witzenhausen liegt gut vier Jahrzehnte zurück. Wenn ich daran zurückdenke, sind es weitgehend freudige Gedanken und überwiegend positive Erinnerungen. Das hat vor allem mit dem sozialen Umfeld in einer WG in Oberode, dem hochschulpolitischen Engagement in der „Basisgruppe Landwirtschaft“, dem „Club“ und dem erfreulich entspannten Leben in der ländlichen Region zu tun. Ich hatte auch das Glück, in einer sehr spannenden Zeit zu studieren. Eine Zeit, in der übrigens die damalige Gesamthochschule partout keine Universität sein wollte und das fand auch ich gut so.
Zu meinen Werdegang
Nach zweimal Sitzenbleiben machte ich mit 21 Jahren doch noch das Abitur. Dem folgte statt Militär ein sozialer Friedensdienst im Ghetto der US-Hauptstadt Washington D. C. (während des Vietnamkriegs!). Nach einem zweisemestrigen Studium an der Nationaluniversität Mexico City und zwei Betriebspraktika kam ich im gesetzten Alter von 25 Jahren zum Sommersemester an die Werra, was den Vorteil hatte, dass wir nur 50 Studienanfänger*innen waren. Meiner Passion für Tiere entsprechend studierte ich im Schwerpunkt Tierproduktion, was für einen „Öko“ furchtbar, aber mit dieser Benennung ehrlich war. Wir mussten lernen, wie man Tiere produziert, was z.B. zur schizophrenen Situation führte, dass ich für die Klausur die Hühnerhaltung in Käfigen pauken musste, obwohl ich mich schon damals engagierte, die Hühner aus dieser Perversion zu befreien.
Für mich war klar, dass Landwirtschaft nur eine Zukunft hat, wenn sie sich konsequent ökologisch ausrichtet. Da passte bestens, dass ich mich in der Endphase des zehnjährigen Kampfes für einen Lehrstuhl für Biologischen Landbau engagieren konnte. 1981 wurde dann Prof. Hardy Vogtmann in Witzenhausen der erste „Ökoprofessor“ weltweit und ich hatte die Ehre, sein erster Diplomand zu sein. Als Thema führte ich eine Untersuchung zur Vermarktung und Preisgestaltung biologischer Produkte durch, die auch publiziert wurde.
Eigentlich war der Plan, mit meiner Lebensgefährtin und unserer Tochter nach Irland auszuwandern, um dort biologischen Landbau zu praktizieren. Ein furchtbarer Schicksalsschlag hat dies zunichte gemacht und so war ich dann als alleinerziehender Vater der Offerte von Hardy Vogtmann gefolgt, in seinem neu aufgestellten Team mitzuarbeiten. Es war für mich als Generalist eine willkommene Herausforderung, mich nun einem pflanzenbaulichen Thema zu widmen. Mein Spezialgebiet wurde die „Nicht chemische Beikrautregulierung“. Eine Promotion war naheliegend, aber ich kam zu der Erkenntnis, dass ich nicht für ein Leben als Forscher gemacht bin. Zum einen hatte ich zunehmende Kritik am etablierten Forschungsbetrieb, dem auch wir „Alternativen“ uns zu unterwerfen hatten. Außerdem fehlte mir eine Grundvoraussetzung für Wissenschaftler, nämlich die brennende Neugier „Warum's“ aufzuklären. Mich interessierte schon immer viel mehr das „Wohin“.
Global unterwegs: Aufbau der internationalen Ökolandbaubewegung
Als 1985 der Weltdachverband für biologischen Landbau IFOAM – Organics International, der sein Epizentrum mit Engelhard Boehncke als Präsident in Witzenhausen hatte, die Stelle eines Generalsekretärs ausschrieb, war das meine Chance. Obwohl ich für solch eine Aufgabe mit 32 Jahren vergleichbar jung war, konnte ich mich gegenüber 60 Mitbewerber*innen durchsetzen. Es wurde zu meiner Lebensaufgabe, denn ich trug 18 Jahre die Verantwortung für IFOAM. Dort konnte ich meine auch im Studium (aber nicht im Lehrprogramm) geschulten rhetorischen Fähigkeiten und meine politischen Ambitionen ausleben. Es war eine ideale Aufgabe für einen passionierten Netzwerker wie mich. Jedoch wurde der Gedanke, bis zum Rentenalter Direktor bei IFOAM zu sein trotz aller Faszination und Befriedigung irgendwann erschreckend. So wagte ich mich mit 52 Jahren den Schritt in die Selbständigkeit.
Lokal zurück: Öffentlichkeitsarbeit und Landwirtschaft
Jetzt konnte ich auch zur Passion meiner jungen Jahre – dem Filme machen - zurückkehren. Seither habe ich eine ganze Reihe von erfolgreichen Produktionen als Filmemacher und als (Co-) Produzent gestaltet. Auch meine publizistischen Tätigkeiten konnte ich intensivieren: Aktuell bin ich Co-Herausgeber des Buches „Die Preise lügen – Warum uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen“ und Hauptautor des Buches „DAS GIFT und WIR – Wie der Tod über die Äcker kam und wie wir das Leben zurückbringen können“.
Gerade wegen meinem teilweise extremen Jetset-Leben war mir die Verwurzelung zur praktischen Landwirtschaft immer wichtig. Seit 30 Jahren ist deshalb mein Lebensmittelpunkt auf einem Bauernhof. 1987 pachteten einer „meiner“ Diplomanden, meine Frau und ich einen 120 ha Betrieb mit 60 Milchkühen im Saarland, den wir selbstverständlich sofort auf Bio umstellten. Seit nunmehr 18 Jahren leben wir im Bergischen Land auf einem vergleichbar kleinen zertifizierten 20 ha Biohof. Stark von den drei Töchtern beeinflusst widmen wir uns vor allem der Islandpferdezucht. Heute ist das ein von meiner Frau geführter Vollerwerbsbetrieb mit 70 Pferden, bei dem die jüngste Tochter als gelernte Pferdewirtin die tragende Stütze ist. Ich genieße es, für sehr glückliche Hühner der „Chicken Joe“ zu sein, zu gärtnern und mich für den Betrieb zu engagieren.
Was hat mir die Studienzeit in Witzenhausen gebracht ?
Nun, was die eigentliche Ausbildung betrifft, eher wenig. Sicher mehr als 2/3 meines Wissens kommt weder aus der Schule noch von der Uni, sondern aus dem Leben. Aber ich bekam ein Grundgerüst an Fachwissen - und das von inspirierenden Professoren wie Engelhard Boehncke, Reinhold Kickuth, Christian Richter, Bernd Wirthgen und natürlich Hardy Vogtmann. Das glich aus, dass es auch recht unangenehme „old school“ Professoren gab. Damals gab es übrigens in Witzenhausen lediglich eine Professorin unter 30 Männern! Der Studiengang war sehr „kathedral“ bzw. verschult und das Studentenleben als „Öko“ hieß seinerzeit auch viel Erfahrung mit Widerständen. Wir nutzten die Freiräume des Studentenleben, um uns das Wissen zu vermitteln, das für unsere Vorstellung von Landwirtschaft wichtig war. So luden wir nicht nur interessante Referenten ein, sondern gestalteten auch eigene Seminare und Kurse. Ich war auch in der Kommission, den Studiengang Ökologische Landwirtschaft mit zu planen. Der Gedanke, dass einmal „nur“ noch ökologische Landwirtschaft unterrichtet wird, war damals allerdings unvorstellbar. Letztendlich ist dies aus meiner Sicht aber die Rettung des Hochschulstandortes. Außerdem lernte ich am Fachbereich meine Frau kennen, mit der ich seit 38 Jahren verheiratet bin und mit der ich vier Kinder großgezogen habe.
Wunderbare Freundschaften aus dieser Zeit haben mich bis heute geprägt bis hin zur großen Vision, für die ich mich inzwischen engagiere. Nämlich nichts weniger als 100% Biolandbau weltweit. Das schaffen wir und dafür ist und bleibt Witzenhausen als weltweit anerkanntes Epizentrum der Forschung und Lehre im ökologischen Landbau ein wichtiger Ort.
Summa summarum blicke ich gerne an meine Zeit an der Werra zurück. Gerne kam ich für Semestertreffen, Besuche oder Vorträge zur Alma Mater zurück und tue dies auch gerne zu Jubiläumsfeierlichkeiten. Nicht nur weil es gilt meinen Ruf zu verteidigen: „Keine Feier ohne Geier“.
Kommentare
Bernd Kramer: Vielen Dank für den sehr anschaulichen Bericht, den ich (Abschluss 88) in vielen Bereichen nur bestätigen kann. WIZ war für mich ein sehr wichtiger Baustein meiner Entwicklung und auch ich habe zwar nicht jede Vorlesung besucht, dafür aber auf keinem Tropenfest gefehlt.
Saro Gerd Ratter: In der WG von Bernward durfte ich übernachten als ich das erste Mal nach Witzenhausen kam um mich über das Studium zu informieren. Für diese Gastfreundschaft und die tolle des Zeit des Studiums werde ich immer dankbar sein. Ich freue mich jedes Mal Bernward (meist auf der BioFach) wieder zu treffen. Sein Buch "Biologisches Saatgut aus dem eigenen Garten" hatte ich erst vor ein paar Tagen wieder in den Händen und warme Erinnerungen im Herzen.
Joachim Milz: Nun mir ging es ähnlich was das Studienangebot und spätere berufliche Realität angeht, allerdings im FB Internationale Agrarwirtschaft. Leider habe ich das Gefühl, dass sich diesbezüglich nicht so viel geändert hat. Ist zwar heute öko aber viel für die Praxis gibt die Lehre dort auch nicht her (mein Sohn hat in WIZ studiert). Trotz allem, auch ich verbinde eine wunderbare Studienzeit, mehr der Kontext, Club etc. als das was inhaltlich geboten wurde.
Berthold Märkle-Huß: Witzenhausen–GhK-FB 20-Basisgruppe Landwirtschaft BGL-Boehncke. Auch ein halbes Jahrhundert später sind dies magische Begriffe und Assoziationen.
In der Universitätsstadt Tübingen geboren und aufgewachsen, kam eine klassische Hochschulausbildung nicht in Frage. Ich kannte zu Genüge die ewigen, brotlosen Studenten, die „Gammler“. Also kurz und knackig. Die Fachhochschule Nürtingen frustrierte dann aber mit einem kaum erträglichen Schulunterricht. Zudem schaffte 1977 das CDU-Land Baden-Württemberg mit einem Hochschulgesetz und dem Verbot der verfassten Studentenschaft AStA vollendete Tatsachen: Studentische Mitverwaltung war im Ländle weder wünschenswert noch möglich. Die bayrische (CSU-) FH kam als Alternative nicht in Frage. Vielleicht das dortmalige rote (SPD-) Hessen?
Wir fuhren in einem vollbesetzten VW-Käfer durch die Winternacht. Mangelnde Heizung, zugefrorene Scheiben. Fast orientierungslos ging es durch das Hessische Bergland. Ein einsames Licht leuchtete in der Dunkelheit. Es war der Klub in Witzenhausen, wo uns Wärme und Aufgeschlossenheit in die Arme nahm… Und wir blieben alle.
Was ist heute noch vom Studium in Erinnerung? Anekdoten wie die deutschlandweit einzige Demo gegen den Nato-Doppelbeschluss 1979. An der nahen „Zonengrenze“ ließen wir freundliche Luftballons nach drüben steigen. Dann der schon vorhandene „Computer“, welcher seine Ergebnisse auf einen Papierstreifen, ähnlich heutiger Kassenzettel ausdruckte. Für den Schwaben natürlich das perfekte Tagesschau-Deutsch der Bauern ein paar Kilometer weiter nördlich… Leider bekam ich in meinen letzten Studienwochen nur noch Vogtmanns Probevorlesung mit. Ich konnte (musste) gehen, doch WIZ war ja in besten Händen.
Vorbei war es aber mit der heimeligen WG, der politischen Heimat in der BGL, dem Studium. Das Loch war da. Es dauerte, bis mit der „Projektgruppe Hamburg“, der Planung eines linken Ökodorfes mit 100 Leute und 100 ha wieder ein Lebensziel auftauchte. Was leider genauso floppte wie anschließend ähnliches mit dem anthroposophischen NEUE WEGE im Taubertal. Zwischenlösungen waren Pflanzenzüchtung in Stuttgart-Hohenheim und dem Landwirtschaftsamt in Simmern. Dann halfen überraschend die guten Geister die Welt in Deutschland mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz zu verbessern. Umweltstudiengänge gab es noch nicht, so dass viele herumsitzende Förster, Biologen, Lehrer und Landwirtschaftsingenieure eine gute Arbeit bekamen. Meine war in Böblingen die Biotonne einzuführen. Gleiches anschließend in Konstanz. Da gab es dann, wer hätte es gedacht, noch eine Querversetzung im Landratsamt, „weil ich ja Landwirtschaft studiert hatte“. So wurde der Obstbau am Bodensee mein letztes Tätigkeitsfeld. Obwohl ich in der Kirschenstadt den Begriff „Baum“ nie im Studium gehört habe. (Auch Boehncke erwähnte die Schweine-Eichelmast im Walde nicht)
So war fast alles nie geplant oder vorhersehbar, doch es war recht so und ich bin‘s zufrieden.