Erdmute Schimpf

Europäische Kampagnenarbeit in einer NGO

Obwohl ich meine landwirtschaftliche Lehre auf einem Ökohof machte, zog mich nach Witzenhausen vor allem die Aussicht, dass dort neben Klausuren und mündlichen Prüfungen die Studienleistungen auch als Projektarbeiten absolviert werden konnten. Andere Agrarstudiengänge boten das nicht. Die Entscheidung für das Studium in Witzenhausen wurzelte damals vor allem in meiner Langweile über das Auswendiglernen für die Schule.

 

Mute Schimpf - Diplom Agrarwirtschaft, Schwerpunkt Ökologischer Landbau, Abschluss 1998.

Aktuell: Food Campaigner, Friends of the Earth Europe Brüssel, Belgien

Mehr als Klausuren und Präsentationen

Der damaligen Projektstudiengang Ökolandbau mit den vielfältigen Lern- und Leistungsformen hat mein Lernen und meine Haltung in Arbeitstreffen nachhaltig geprägt. Im Rückblick sehe ich den Projektstudiengang als eine wunderbare Vorbereitung für das Arbeitsleben, um gemeinsam die Ergebnisse einer Projektgruppe zu verantworten und sich direkt mit der jeweiligen Fragestellung zu befassen. Dasselbe gilt für die nicht immer reibungsfreien Diskussionen über Modulgestaltungen oder das zähe Ringen, wie ein Feedback zu selten lieblos präsentierten Inhalten, formuliert werden kann. Dass auch zurückhaltende Menschen vor großem Publikum Ergebnisse vorstellen und Redefreudige mal schweigend Protokolle schreiben können, waren noch die einfacheren Lernerfahrungen.

Auch bei meinem heutigen Arbeitsalltag in Brüssel für einen europäischen Umweltdachverband wende ich viele Moderations- und Lernmethoden aus meiner Witzenhäuser Zeit noch an. Friends of the Earth Europe hatte ein mehrjähriges Projekt zu Schule der Nachhaltigkeit, das sich vor allem mit Lernen von Umweltaktiven befasste. Wie schon in den 1990er Jahren in Witzenhausen, streben wir eine partizipative Methodik für unsere Workshops und Konferenzen an.

Partizipative Lehr- und Lernmethoden

Im Jahr 2020 mit den endlosen Videokonferenzen braucht es etwas Kreativität, wie zum Beispiel ein Strategietreffen mit 40 Teilnehmenden so gestaltet werden kann, dass Ergebnisse und Analysen möglichst partizipativ entwickelt werden. Wie kann eine Vorstellungsrunde gestaltet werden, dass Menschen tatsächlich miteinander ins Gespräch kommen? Statt langer Präsentationen nutzen wir digitale Post-Its, um Antworten zu gruppieren und zu erfassen. Um den direkten Austausch zu ermöglichen, gibt es digitale Kaffeepausen in kleiner Runde.

Und in bester Witzenhäuser Tradition darf bei der Evaluation auch etwas Hand und Herz nicht fehlen, wenn Freiwillige für eine digitale Obstkorb-Ernte gesucht werden und nach all dem Digitalen dann mal eine Antwort auf ein Stück Papier schreiben sollen. Eine Mitveranstalterin kommentierte während der Vorbereitungszeit, dass Friends of the Earth Europe sehr hohe Ansprüche an die Methoden für das gesamte Treffen habe.

Die Überzeugung, dass alle etwas zu dem Ergebnis beitragen können und sollen, habe ich im Studium gelernt. Ebenso die Freude an der kritischen Auseinandersetzung mit neuen Trends und das Selbstvertrauen, dass aus vielfältigen Sichtweisen und Argumenten ein guter Prozess entsteht. Schlüsselqualifikationen und Handwerkszeug für die agrarpolitischen Debatten in Brüssel hingegen habe ich außerhalb und nach dem Studium erworben.

Auf Exkursion nach Brüssel?

Wenn nun heutige Studierende aus Witzenhausen eine agrarpolitische Exkursion nach Brüssel machen, freue ich mich stets von ihren Eindrücken zu hören und einen winzigen Einblick in meine Erfahrungen aus der Hauptstadt der EU zu teilen.

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