Hans-Jürgen Müller
Biohof sowie grüne Lokal- und Landespolitik
Internationales Flair und Weltoffenheit
Als zu Beginn des Jahres 1978 die Entscheidung gefallen war, dass ich meine landwirtschaftliche Ausbildung nach der absolvierten Lehre mit einem Hochschulstudium fortsetzen wollte, gab es mehrere Gründe, die für Witzenhausen als Studienort sprachen. Praxisnah sollte das Studium sein, und mir nach den Erfahrungen auf dem elterlichen Hof und im Ausbildungsbetrieb neue Sichtweisen und Erkenntnisse liefern. Ausschlaggebend für die Wahl des Studienortes, war aber auch das Umfeld. Das internationale Flair und die damit verbundene Weltoffenheit haben mich bei meinem ersten Besuch in Witzenhausen sofort fasziniert. Der Ökolandbau war damals noch ein Thema am Rande. Der erste Lehrstuhl für ökologischen Landbau wurde erst eingerichtet, als ich mein Studium beendet hatte. In den Semesterferien habe ich zunächst noch bei einem Lohnunternehmer gearbeitet und Pestizide ausgebracht. Aber die treibenden Kräfte für die Hinwendung zum Ökolandbau waren schon am Werk und ich habe mich ihnen bald angeschlossen. Prägend für mich und viele andere in diese Richtung war der Einfluss von Prof. Engelhard Boehncke. Außerdem wurde mein Interesse für die Agrarpolitik in Witzenhausen befeuert. Daran waren Onno Poppinga und Götz Schmidt vom Kasseler Fachbereich Landschaftsplanung nicht unschuldig. Überhaupt empfand ich es als großen Vorteil, an der damals sehr fortschrittlichen Gesamthochschule Kassel mit ihrem breiten Angebot zu studieren.
Gut Fahrenbach – größter Biobetrieb der Stadt Witzenhausen
Nach einem Intermezzo als Zivildienstleistender beim Studentenwerk Kassel in Witzenhausen, stand der Entschluss fest: Nicht auf dem elterlichen Hof liegt meine berufliche Zukunft, sondern in einem neuen Projekt gespeist aus den Ideen, die ich aus dem Studium in Witzenhausen mitgenommen habe. Zusammen mit zwei weiteren Kommiliton*innen haben wir gemeinsam auf Gut Fahrenbach einen Biobetrieb mit 53ha LF ins Leben gerufen und in 35 Jahren zu einem erfolgreichen Projekt weiterentwickelt. So erfolgreich, dass wir diesen Betrieb, inzwischen auf die vierfache Fläche angewachsen, Ende 2017 wiederum an zwei Witzenhäuser Absolventen, übergeben konnten.
Engagement in Politik und Bioverbänden
In dieser Zeit haben wir gemeinsam nicht nur den Betrieb entwickelt, sondern auch auf vielfältige Weise unser soziales Umfeld mitgestaltet. Ich selbst habe mich dabei ehrenamtlich in der Witzenhäuser Kommunalpolitik, in Stadtverordnetenversammlung und Magistrat engagiert. Später im Bioland Verband, sowohl auf Landes und Bundesebene und noch später war ich Geschäftsführer und Vorsitzender der Vereinigung Ökologischer Landbau in Hessen, dem Dachverband der in Hessen tätigen Ökoanbauverbände. Damit haben wir nicht nur auf dem Hof, sondern auch in der Verbandsarbeit, die Entwicklung des Ökolandbaus begleitet und mitgeprägt.
Kooperation von Hof und Universität
Die Tatsache, dass unser Hof so dicht bei Witzenhausen lag, entpuppte sich als großer Vorteil. Unser Hof war begehrt als Praktikums- und Ausbildungsbetrieb bei den Witzenhäuser Studierenden, weil wir immer eine enge Beziehung zur Uni gepflegt haben. Mit dem ersten Versuchsbetrieb für ökologischen Landbau in Neu-Eichenberg entwickelte sich eine sehr gute Zusammenarbeit und wir haben an zahlreichen Versuchen und Forschungsvorhaben des Fachbereichs Ökologische Agrarwissenschaften mitgewirkt.
Insbesondere bei der Arbeit in und mit den Ökoanbauverbänden habe ich viele in Witzenhausen ausgebildete Agraringenieure kennengelernt und dabei festgestellt, dass sich die Ausbildung in Witzenhausen sehr gut weiterentwickelt hat. Die Entscheidung, sich in Witzenhausen frühzeitig und nachhaltig auf die Ökologischen Agrarwissenschaften in Lehre und Forschung zu fokussieren, war ausgesprochen wichtig für den Standort. Zu diesem Schritt kann man die Verantwortlichen nur beglückwünschen.
Relativ spät, aber ausgestattet mit viel Berufs- und Lebenserfahrung, hat sich mein Berufsleben im Alter von 62 Jahren noch einmal verändert. Nicht zuletzt wegen meines agrarpolitischen Engagements, bin ich für B90/Grüne in den Hessischen Landtag gewählt worden. Dort versuche ich nun an einer weiteren wichtigen Stelle für meine agrarpolitischen Ziele einzutreten. Und in meinem Witzenhäuser Regionalbüro, wie sollte es anders sein, arbeitet jetzt auch eine Absolventin des Fachbereichs Ökologische Agrarwissenschaften aus Witzenhausen.
Kommentare
Saro Gerd Ratter: Danke für diesen interessanten Beitrag und Gratulation zu Deiner tollen Karriere! Seit letztem Jahr bin ich auch ehrenamtlich in der Kommunalpolitik als Stadtrat und Referent für Artenvielfalt. Herzliche Grüße aus Weilheim i.OB.
Christian Röser: Dieser Beitrag ist - wie all die anderen - wirklich sehr inspirierend. Was mich zu diesem Kommentar leitet, ist die Tatsache, dass hier jemand aktiv in der Politik die Ideen und Werte, die wir als Witzenhäuser teilen, vertritt. In diesen für Gesellschaft aber auch Politiker*innen stürmischen Zeiten wirklich ein hoffnungsvolles Zeichen! Wir brauchen mehr davon, um unsere Zukunft nicht nur in unserem Tun in Landwirtschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten sondern auch in unserer Politik. Viele Grüße und gutes Gelingen!