Der Agathof und die Firma Diemar und Heller


Zwischen dem ehemalig selbstständigen Dorf Bettenhausen und der Stadt Kassel lag an dem Mühlenkanal der Losse, der “Neuen Losse“, ein Industriewerk, das den Namen Agathof trug.

Folgt man der Darstellung des Chronisten Bruno Jacob in der „Festschrift zur Feier des 800 jährigen Bestehens des Dorfes Bettenhausen“ von 1926, so muss davon ausgegangen werden, dass es sich dabei sogar um zwei Anlagen gehandelt hat, die auf beiden Seiten der „Neuen Losse“ dicht beieinander lagen. Es ist aber davon auszugehen, dass nur das stattliche, landesherrliche Fabrikgebäude den Namen Agathof trug, während die ältere Anlage eher als Agatmühle, hervorgegangen aus einer Kupfermühle, zu bezeichnen ist.

Jacob schreibt: „Der Name Agathof soll daher stammen, dass Landgraf Karl hier eine Schleifmaschine zur Verarbeitung von Agat(Achat)-Steinen und anderen Halbedelsteinen einrichtete. .... Sicher hat die Anlage an der Losse nicht lange ihrem Zwecke, zu dem sie geschaffen war, gedient“.


Nach der Zerstörung des Agathofes durch die Franzosen im siebenjährigen Krieg, wurde er in den Jahren 1763-1765 durch den Landesfürsten wieder instand gesetzt.

Es folgte eine Nutzung als Mahlmühle (1765-1768) und Branntweinbrennerei (1768-1774).

Im September 1774 wurde der Betrieb der Mühle eingestellt und der Schweizer Kaufmann Benedikt Nieggeler (auch: Niggeler) erhielt das Privilegium zur Anlage einer Kattun-, Leinen- und Zitzfabrik. Doch trotz mehrer staatlicher Vorschüsse in beträchtlicher Höhe und der Aussicht auf die Vergabe einer Erbleihe war der Schweizer ein glückloser Kaufmann, sodass am Ende die Landesherrschaft als Hauptgläubiger den Betrieb in unbedeutendem Umfange bis 1785 fortführte.

B. Nieggeler starb am 21 Juni 1783 im Alter von 42 Jahren. Nach dem Eintrag im Bettenhäuser Kirchenbuch soll er aus versehen Gift getrunken haben.

Mehr Erfolg hatten die Gebrüder Ahnesorge aus Altona die den Agathof auf Grund einer „Punctation“ am 20. April 1785 übernahmen. Sie brachten aus ihrer Heimat mehr Erfahrungen und Geschäftsverbindungen mit und fanden in dem späteren Finanzrat Johann Christoph Ludwig Spindler einen Teilhaber und Geschäftsführer, dem es gelang die Kattun- und Zitzfabrik zu einer der größten frühindustriellen Betriebe der damaligen Zeit in Hessen mit mehr als 200 Beschäftigten zu entwickeln.

Als die Brüder Ahnesorge 1801 in Kassel verstarben hinterließen sie ein Vermögen von zusammen mehr als 200.000 Reichstalern.


Doch schon am 21. Dezember 1793 hatte J. C. L. Spindler die Firma auf Ersuchen der Brüder Ahnesorge unter Beibehaltung des Firmennamens durch Erbleihbrief, erteilt von Landgraf Wilhelm IX., übernommen.

Im Jahre 1811 überließ Spindler den Agathof und die Kattun- und Zitzfabrik „Ahnesorge Gebrüder“ seinem aus Flensburg stammenden Schwager Jacob Christian Nerong. Unter den damaligen widrigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen (Besetzung durch die Franzosen und Herrschaft durch Napoleons I. Bruder, Jerome) konnte er den Niedergang der Fabrikation nicht aufhalten.

1832 übergab er die Fabrik an seinen Sohn Heinrich Gottfried Nerong, dem es gelang durch die Einführung technischer Verbesserungen (Installation einer Dampfmaschine) und einer beachtlichen Hypothek der Landeskreditkasse die Ertragsfähigkeit erheblich zu verbessern und international konkurrenzfähig zu werden.

Der Agathof um 1910


Mit Aufhebung der Erbleihe ging der Agathof im Jahre 1848 in das Eigentum der Familie Nerong über.


Als H. G. Nerong am 7. Januar 1850 in noch jungen Jahren verstarb, hinterließ er zwei unmündige Söhne. Seine Frau Helene Nerong, geb. Möller, führte mit fremder Hilfe die Geschäfte fort, bis am 30. April 1872 Gustav und Heinrich Nerong als alleinige Inhaber die Firma „Ahnesorge Gebrüder“ durch Vertrag übernahmen.


Nach dem Tod von Gustav Nerong im Mai 1875 betrieb Heinrich Nerong noch die Kattunfabrik bis 1883. Die Fabrik, deren Produkte sich zum Teil überlebt hatten, ging nach über hundertjährigem Bestehen in Konkurs.


Ein anderes Kasseler Traditionsunternehmen, die Seifenfabrik Diemar und Heller, zog mit seiner Produktion aus der Kasseler Innenstadt in den Agathof.


Die Seifenfabrik wurde schon am 1. Mai 1809 von dem aus Göttingen stammenden Heinrich Friedrich Schepeler in Kassel Am Pferdemarkt 26 ins Leben gerufen.

1935 übernahm Schepelers Schwiegersohn, Johann Heinrich Diemar, die Firma und verlegte das Unternehmen in seine Häuser am Martinsplatz und in die Mittelgasse 60.

1859 wurde der Firmennamen in Diemar & Heller geändert, weil J. H. Diemars Sohn, Friedrich Heinrich Diemar, mit seinem Schwager Wilhelm Heller die Geschäfte gemeinsam führte.


Die Firma entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten zu einem Großbetrieb, und im Jahre 1883 musste, wie oben erwähnt, aus Platzgründen die Produktion in den Agathof in Bettenhausen an der Hannoverschen Straße (heute Sandershäuser Straße) verlegt werden. Der Verkauf erfolgte bis zur Ausbombung im 2. Weltkrieg in der Mittelgasse in Kassel.

Auch die Fabrikationsräume an der Hannoverschen Straße und mit ihnen der größte Teil des prächtigen Agathofes ging im Bombenhagel des 2. Weltkrieges unter.

Das trotz allem gerettete Unternehmen existierte noch bis 1964, dann musste Werner Diemar, Fabrikbesitzer in der 5. Generation, die Firma Diemar & Heller, Seifen-, Soda- und Glyzerinfabrik, nach 155jährigem Bestehen aufgeben.


Heute (2006) nutzen verschiedene Gewerbebetriebe das große Areal des einstigen Agathofes. Von den Gebäuden ist kaum etwas übrig geblieben, der Lossekanal ist verfüllt und die Wasserrechte daran wurden aufgegeben.


Die Agathofstraße, welche von der Sandershäuser Straße bis in den alten Ortskern von Bettenhausen zur Ringhofstraße führt, soll an den Agathof erinnern.

In einem ehemaligen Schulgebäude an der Agathofstraße Nr. 48 befindet sich heute das Stadtteilzentrum Agathof (www.Agathof.de), das mit seinen vielfältigen Angeboten dazu beitragen möchte, dass die Bettenhäuser Geschichte lebendig bleibt.



Text:

Bernd Schaeffer, Unterer Käseweg 1, 34123 Kassel, Januar 2007


Quellennachweis

Diemar, Julius, Fabrikant in Bettenhausen,„Hessenland“, Bd. 13, 1909, S. 183-238

Feldner, Claus, u. Wieden, Peter „Bettenhausen“, Wartbergverlag, 1989

Hermsdorff, Wolfgang, „Blick zurück(1045)“, HNA vom 26.05.1986

Jacob, Bruno (1881-1954), Kasseler Heimatforscher, „Geschichte des Dorfes Bettenhausen, 1126-1926“, Hrsg. Bürgerverein Kassel Bettenhausen, 1927

Arbeitskreis Bettenhausen früher und heute. „Mühlen in Bettenhausen“ Stadtteilzentr. Agathof e. V., 2006


Bildnachweis

Klaus-Peter Wieddekind, HNA 26.05.1984