Chronik der Hassia-Drogerie
Einzelhandel in der Leipziger Strasse 110 in Kassel-Bettenhausen
Postkarte des Hauses Leipziger Str. 110 um 1905
Im Jahr 1905 ließ der Mehlhändler Heinrich Riede sen. in Bettenhausen an der Leipziger Strasse ein Haus mit einem Ladengeschoß und 3 Wohngeschossen errichten. Das Gebäude hatte eine großstädtisch gestaltete Vorderfront mit 4 Balkonen und ausgeprägter Verzierung.
Das Baujahr 1905 auf der Vorderfront
Nach der Eingemeindung des Dorfes Bettenhausen zur Stadt Kassel am 1.4.1906 bekam das Haus die amtliche Hausnummer Leipziger Str. 110, unter der es auch heute noch zu finden ist.
In dem Ladengeschäft im Erdgeschoss links hat der Erbauer, H. Riede, bis zum Ende des 1. Weltkrieges seine Mehlhandlung betrieben.
Im Ladengeschäft rechts eröffnete im Jahr 1906 der Apotheker Otto Knöpfel die Fortuna-Drogerie. Der Apotheker scheint mit seinem Geschäft offensichtlich nicht viel Glück gehabt zu haben, denn schon ab 1912 ist in den Räumen ein Hausschlachter namens Gerling verzeichnet.
Am
1. April 1920 gründete der
Drogist Alexander Ebert unter dem Namen „Hassia-Drogrie
Alexander Ebert“, Drogenhandlung, im linken
Laden der Leipziger Strasse 110 seine vierte und letzte Drogerie.
A. Ebert war als Drogist sehr geschäftstüchtig und hatte davor schon drei weitere Drogerien in Kassel und den eingemeindeten Vororten eröffnet.
Das rechte Ladenlokal hatte in jener Zeit der Rezession verschiedene andere Mieter. z.B. den Spielwarenhändler Tölke und später die Gebr. Kopschina mit Ihrer Trikot-Fabrikation.
Erst ab 1925, nachdem die Geschäfte sich wieder besser entwickelt hatten, wurden diese Verkaufs- und Lagerflächen zur Hassia-Drogerie hinzugenommen.
Als standesbewusster Drogist hat A. Ebert auch Lehrlinge ausgebildet.
Das Haus Leipziger Str. 110 um 1910
Der spätere Ladeninhaber, Karl-Heinz Franke, begann 1929 in der Hassia-Drogerie seine Ausbildung zum Fachdrogist. Nach Ablegung der Gehilfenprüfung wurde er dort angestellt und schon wenig später als 1. Gehilfe geführt.
A. Ebert verkaufte das Geschäft 1929 an den Drogisten Hermann Peterhänsel, der die Drogerie unter der Bezeichnung „Hassia-Drogerie, A. Ebert Nachfolger“ weiterführte.
Einen Monat vor Ausbruch des 2. Weltkrieges, am 1. August 1939, erwarb Karl-Heinz Franke von seinem Arbeitgeber H. Peterhänsel die Hassia-Drogerie.
Die Drogerie hatte zu dem Zeitpunkt ein aus heutiger Sicht erstaunliches Warensortiment anzubieten.
Neben Drogen und Chemikalien gab es Spirituosen aus eigener Abfüllung, Farben und Fußbodenbeläge, Verbandsstoffe und Fotos aus eigener Dunkelkammer.
Hinzu
kam ein Auslieferungslager der chemischen
Fabrik E. Merck, Darmstadt.
Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass in der Hassia-Drogerie in dieser Zeit auch Pkw-Benzin der Marke „DAPOLIN“ aus Fässern getankt werden konnte.
Am 23. August 1939 bekam der Drogist Karl-Heinz Franke seinen Stellungsbefehl zur Ableistung einer Wehrübung von 6 Stunden in einer Sanitätskompanie. Daraus wurde ein Kriegseinsatz von 6 Jahren bis zum Kriegsende in 1945.
Während seiner Abwesenheit vom gerade eröffneten eigenen Geschäft haben seine Frau Berta Franke, die Eltern und Schwiegereltern unter schwierigen Bedingungen den Betrieb aufrechterhalten.
Erst 1941 wurde, aus dem Saarland kommend, der Drogist Erich Burger als Geschäftsführer eingesetzt. Mit dem Kollegen aus schwerer Zeit pflegte Karl-Heinz Franke später eine lebenslange Freundschaft.
Nach dem 2. Weltkrieg entwickelte sich die Hassia-Drogerie rasch zu einer gut gehenden Fachdrogerie mit einem Warensortiment von über 30 000 Artikeln.
Daneben betrieb Herr Franke eine Verbandsmaterialien-Großhandlung und das Auslieferungslager für die Chemikalien und Reagenzien der Firma E. Merck in Darmstadt.
Die Hassia-Drogerie um 1960
Als die Erbengemeinschaft Riede nach dem Konkurs ihrer Seifenfabrik zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten geriet, hat Karl-Heinz Franke im September 1962, zur Sicherung seiner Existenzgrundlage, das Haus Leipziger Strasse 110, in dem sich die Hassia-Drogerie befand, erworben. Auch das Nachbargebäude, Leipziger Str. 112, hat er von der Erbengemeinschaft Riede erstanden.
Im selben Jahr gründete er in Kassel-Forstfeld an der Payerstrasse in angemieteten Räumen die Erlen-Drogerie und setzte seinen Sohn Reinhard Franke als Geschäftsführer ein.
Die Erlen-Drogerie befand sich ab 1971 in einem Neubau an der Ecke Haus-mannstrasse / Lindenbergstrasse.
Die Geschäfte der Hassia-Drogerie führte ab dieser Zeit sein Sohn Wolfgang Franke.
Auch der 3. und jüngste Sohn von K.-H. Franke, Karl-Heinz Franke jun., erlernte den Beruf eines Drogisten und hat sich mit der Stern-Drogerie in Niederzwehren, 1981, selbstständig gemacht.
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Wolfgang Franke |
1977 zog sich K.-H. Franke sen. aus Altersgründen aus dem aktiven Geschäft zurück, und seine Söhne haben als selbstständige Drogisten die Läden übernommen.
Bei
den im Jahre 1978 notwendigen Modernisierungs- und
Renovierungs-Maßnahmen
wurde das Ladenlokal der Hassia-Drogerie in ein zeitgemäßes
Selbstbedienungsgeschäft umgewan-delt.
1995 ging das Eigentum an den Liegenschaften im Wege einer vorweg genommenen Erbfolge an Herrn Wolfgang Franke über.
Was schon in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts begonnen hatte, setzte sich in der Folgezeit verstärkt fort.
Supermärkte und insbesondere Drogerieketten entzogen den althergebrachten Fachdrogerien zunehmend die Existenzgrundlage.
Trotz aller Bemühungen, wie die Hinzunahme einer Foto-Quelle-Agentur und andere Maßnahmen konnte der Umsatzverfall der Hassia-Drogerie nicht aufgehalten werden.
Hassia-Drogerie um 1980
So sah sich Herr Wolfgang Franke am 30. Juni 1996 gezwungen, die Hassia-Drogerie nach 76 Betriebsjahren zu schließen.
In die Ladenlokale zogen das Sanitätshaus Zuber und eine Versicherungsagentur der HUK Coburg ein.
Auch die Liegenschaften an der Leipziger Strasse 110 fanden nur wenig später einen neuen Eigentümer.
Zeitungsannonce von 1956
Die Leipziger Strasse 110 im Jahre 2007
Text:
Bernd Schaeffer, April 2007
Quellennachweis
Geschäftschronik der Hassia-Drogerie K.-H. Franke Kassel Bettenhausen, aufgestellt von Herrn Reinhard Franke
Amtliche Adressbücher der Stadt Kassel von 1905 bis 1997
Bildnachweis
Privatarchiv Bernd Schaeffer