<< Zurück zur
Übersicht laufende
Einzelprojekte
Projektverantwortliche: PD Dr. Anne-Charlott Trepp
Aufgrund der teilweise langen Aufenthalte der Missionare lassen sich die
Missionsstationen als Räume besonderer Verdichtung kulturell
grenzüberschreitender Transferprozesse beschreiben. Die Identitätsbildung durch
die eigenen und gegenüber den fremden Kulturräumen und deren wiederholte
Konstruktionen scheinen unvermeidlich, gleichzeitig jedoch fragil und dauernd im
Fluss. Das anvisierte Projekt untersucht vorrangig zwei Dimensionen, die der
Konstruktion von Kulturräumen in der bzw. durch die Mission eigen sind.
1) Kulturtransfer und interkulturelle Lernprozesse
Hier geht es primär um das Zusammenwirken zwischen europäischer Kultur und
Religion/Religiosität und indigener Kultur und Religion/Religiosität und
„exotischer Natur“. Welches Wissen wurde durch die Dynamiken des Transfers
überhaupt erst wie generiert und wie verhielt es sich zu den vorhandenen
Glaubens- und Wissenstableaus? Wurden die traditionalen Glaubens- und
Wissenskulturen durch den Transfer fortentwickelt oder einfach verdrängt? Wie
sahen die Prozesse der Aushandlung und kulturellen Amalgamierung aus? Zu
untersuchen ist dabei, inwieweit die Missionare die verbreitete Übernahme
europäischer Begriffe von Wissenschaft und Rationalität lanciert haben, aber
auch, ob sich Mischformen oder Widerständigkeiten gegen europäische
Sinnbildungen und Kategorien gebildet haben.
2) Konstruktion kultureller Unterschiede bzw. die Formierung eines besonderen
europäischen Zivilisationsmodell
In diesem Fragekomplex soll die Wahrnehmung und Konstruktion kultureller
Unterschiede zwischen den europäischen Missionaren und den Indigenen untersucht
werden, die generell erst zur Annahme einer Diversität und auch zur
Hierarchisierung bestimmter Zivilisationen bzw. Kulturräume geführt haben. Wie
fremd ist der jeweils andere und nach welchen Kriterien wird dessen
Andersartigkeit bestimmt? Worin wurde die Besonderheit und in wachsendem Maße
die Überlegenheit des europäischen Kulturraums gesehen? Verändern sich im Laufe
der Zeit die Parameter der Bewertung? Dazu gehört auch die Untersuchung nach den
semantischen Bestimmungen und Transformationen von „Zivilisation“ und
„Barbarei“, von „Orient“ und „Okzident“. Unter welchen Bedingungen werden sie
überhaupt erst zu asymmetrischen Gegen- und Raumbegriffen?
Gegenstand dieses Forschungsprogramms soll die Dänisch-Hallesche Mission sein,
die zwischen dem beginnenden 18. Jahrhundert und der Mitte des 19. Jahrhunderts
in Tranquebar (Südostindien) angesiedelt war. Die Mission ist durch zahlreiche
gedruckte und ungedruckte Quellen gut dokumentiert; das Material wurde kürzlich
vollständig digitalisiert. Neben Briefen, Dienst-, Reise- und Privatdiarien sind
die halbjährlich erschienenen Halleschen Berichte von besonderem Interesse. In
diesen wurden wiederum Briefe, Tagebücher und Abhandlungen der Missionare zwecks
Legitimationsnachweis und Spendenwerbung durch den Halleschen Waisenhausverlag
ediert. Die Missionsberichte gelangten von Halle aus u.a. nach Kopenhagen,
London, Stettin, Amsterdam, Rotterdam, Riga, Venedig, Wien, Reval und Moskau.
Durch die Herausgabe und Versendung der Missionsberichte trugen die Franckeschen
Stiftungen nicht nur zur Festigung des Missionsgedanken, sondern auch zur
spezifischen Konstruktion eines orientalisch-asiatischen Kulturraums bei.
Stand: 24. August 2008