Profil der Kasseler Lehrer:innenbildung
1. Präambel
Lehrer:innenbildung ist ein Professionalisierungsprozess, der sich vom Studium über den Vorbereitungsdienst bis in die Berufstätigkeit über das gesamte Berufsleben erstreckt. Das Professionsverständnis an der Universität Kassel orientiert sich an strukturtheoretischen, berufsbiografischen sowie kompetenztheoretischen Ansätzen und zielt darauf ab, diese – wann immer sinnvoll und möglich – auch zusammenzuführen. Professionalisierung begreifen wir dabei als einen Bildungsprozess, der auf Basis dieser drei Ansätze darauf abzielt, professionelles Wissen zu erwerben, berufsbezogene Überzeugungen und Ambivalenzen des Lehrer:innenhandelns zu erkennen, zu analysieren und zu reflektieren sowie stetig die eigenen berufsrelevanten Handlungskompetenzen und Haltungen zu entwickeln und zu erweitern.
Die Qualität von Schulen und Unterricht sowie deren Entwicklung sind zentrale Bezugspunkte der Kasseler Lehrer:innenbildung. Diese basiert auf intensiven Kooperationen mit Schulen, Studienseminaren, (außer-) schulischen Bildungsträgern, NGOs, (außeruniversitären) Forschungseinrichtungen und Unternehmen regional, überregional und international. Dazu gehört auch die langjährige Zusammenarbeit der Universität Kassel mit drei der vier hessischen Versuchsschulen (Offene Schule Waldau, Reformschule Kassel, Steinwaldschule Neukirchen), an denen innovative Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozesse wissenschaftlich begleitet werden.
Im Folgenden stellen wir das Profil der Kasseler Lehrer:innenbildung vor, das aus drei Komponenten besteht, die eng miteinander verzahnt sind: Im Kompetenzprofil wird unser Verständnis des Berufsbildes anforderungsorientiert beschrieben. Das Studienprofil umfasst inhaltliche und strukturelle Spezifika, die sich u.a. in inhaltlichen Schwerpunktsetzungen für (angehende) Lehrkräfte widerspiegeln. Das Forschungsprofil zeigt die Breite der an der Lehrer:innenbildung beteiligten Forschung auf.
2. Kompetenzprofil
Sowohl in den bildungs- und gesellschaftswissenschaftlichen als auch in den fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Professionsbereichen des Studiums knüpft das Curriculum an die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz an. Zudem werden Anforderungen der Fachgesellschaften aus den beteiligten Disziplinen berücksichtigt. Ziel ist es, unsere Absolvent:innen auf die spezifischen Handlungsanforderungen des beruflichen Handelns in Schule und Unterricht vorzubereiten. Dabei stehen für Lehramtsstudierende nicht allein das professionelle Wissen und Können der Fachdidaktiken, Fachwissenschaften und Bildungswissenschaften sowie die Gestaltung von Lernprozessen im Zentrum: Auch die persönliche Weiterentwicklung für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen zur Verständigung über demokratische Werte ist grundlegend.
Ziel ist es, eine angemessen reflektierte, auch kritische Haltung zu sozialem und gesellschaftlichem Geschehen, auch in globaler Perspektive, einnehmen zu können. Mündigkeit von Heranwachsenden verstehen wir dabei als Bildungsauftrag von (angehenden) Lehrkräften.
Dieser kontinuierlich weiterentwickelte Ansatz spiegelt sich sowohl in den Fächern als auch in den am bildungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Kernstudium beteiligten Disziplinen wider. Neben Erziehungswissenschaft, Geschichte, Politikwissenschaft, Psychologie und Soziologie gehört die Psychoanalyse ebenfalls dazu – ein Kasseler Alleinstellungsmerkmal. Zudem haben die Schulstufen und nicht die Schulformen einen besonderen Stellenwert: So gibt es für das Lehramt an allgemeinbildenden Schulen in der Erziehungswissenschaft und in einigen Fachdidaktiken jeweils eine Professur für die Primarstufe, die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II. Für das Lehramt an beruflichen Schulen stehen entsprechend der inhaltlichen Ausrichtung spezifische Professuren für die jeweiligen Fachrichtungen zur Verfügung. Zugleich werden Lehrveranstaltungen schulstufen- und professionsbereichsübergreifend angeboten, wodurch das Spezifische des jeweiligen Lehramts in der Breite des Schulsystems verortet werden kann.
Ergänzend zur Schwerpunktsetzung auf die jeweilige Schulstufe basiert das Curriculum in Kassel für alle Lehramtsstudiengänge auf Schwerpunkt- und Querschnittsthemen. Ausgehend von der etablierten Stärken- und Schwächen-Analyse werden diese weiterentwickelt. Neben dem Querschnittsthema Diversität & Inklusion, das auf die soziale Teilhabe fördernde Gestaltung individueller Lernprozesse zielt, ist auch nachhaltige Entwicklung ein Schwerpunkt und wird in all ihren sozialen, kulturellen, naturwissenschaftlich-technischen und bildungsbezogenen Dimensionen reflektiert. Auch die Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen mit digitalen Medien hat einen besonderen Stellenwert inne, um Bildung von (angehenden) Lehrkräften und Schüler:innen adäquat auf die Erfordernisse der digitalen Transformation auszurichten und einen angemessen aufgeklärten Umgang mit den Innovationen sicherzustellen.
Zugleich wird die bereits angelegte Verzahnung von bildungs- und gesellschaftswissenschaftlichen, fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Anteilen im Studium gestärkt, mit dem Ziel, vernetztes Professionswissen zu erwerben und auf die Praxis in ihrem Zusammenspiel der unterschiedlichen Professionsbereiche vorbereitet zu sein. Die im Studium integrierte Schul- und Unterrichtspraxis fordert dazu auf, das erworbene Wissen reflexiv zu transferieren und weiterzuentwickeln. Damit soll auf die beruflichen Handlungsanforderungen vorbereitet werden, u.a. durch die Begleitung von Kompetenzentwicklungsprozessen, die auch auf die Reflexion von Anforderungen im Lehrer:innenberuf zielt sowie durch den breiten Einsatz von text- und videobasierten Unterrichtsszenen und Fällen zur Analyse und Reflexion in den Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken.
3. Studienprofil
Das Modell der Kasseler Lehrer:innenbildung mit dem bildungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Kernstudium sowie den Fachdidaktiken und Fachwissenschaften basiert auf einer genuin angelegten Interdisziplinarität und Vernetzung, zudem ermöglicht es eigene inhaltliche Schwerpunktsetzungen für Studierende aller Lehramtsstudiengänge. Dabei wird das Ziel verfolgt, durch eine forschend-reflexive Ausrichtung wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse mit den Herausforderungen in der Schul- und Unterrichtspraxis zu verbinden, um in enger Verzahnung der drei Professionsbereiche – Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Bildungswissenschaften – auch in Kooperation mit der zweiten Phase die notwendigen Kompetenzen entwickeln zu können. Dies erfordert, die zu erwerbenden Kompetenzen für die jeweiligen Studiengänge und in den unterschiedlichen Fächern domänenspezifisch auszudifferenzieren. Exemplarisches Lernen im Studium soll dazu anregen, methodische und analytische Kompetenzen auszubilden, die zur eigenständigen Diagnose und Intervention befähigen.
Damit werden (angehende) Lehrkräfte in die Lage versetzt, Lernprozesse von Schüler:innen wissenschaftlich begründet zu gestalten, begleiten und auszuwerten. Dazu wird der Kompetenzentwicklungsprozess auch mit Portfolio- und ePortfolio-Arbeit individuell begleitet (Studienportfolio L1, phasenübergreifendes ePortfolio, ePortfolio im Praxissemester).
Eine strukturelle Besonderheit stellen die 20 Studienwerkstätten dar, von denen derzeit etwa ein Drittel zu Lehr-Lern-Laboren weiterentwickelt werden. Dies ermöglicht Studierenden aller Lehramtsstudiengänge, mit Lehr-Lern-Materialien und digitalen Tools fach- bzw. stufenspezifische Lernumgebungen zu gestalten und diese im komplexitätsreduzierten Rahmen mit Schüler:innengruppen zu erproben. Außerdem werden in einigen Studienwerkstätten regelmäßig fachliche und fachdidaktische Studientage angeboten, die sich an angehende und berufstätige Lehrkräfte richten.
Die Internationalisierung des Lehramtsstudiums umfasst neben Auslandssemestern und Auslandspraktika, Kooperationen in Forschung und Lehre mit Schulen, Colleges und Universitäten innerhalb und außerhalb der EU beispielsweise in die Schweiz, nach Israel, Schweden, Finnland, Russland bis nach Thailand oder Südamerika. Die verschiedenen Formen zur Stärkung der internationalen Ausrichtung der Kasseler Lehrer:innenbildung befinden sich in einem stetigen Entwicklungsprozess und sind systematisch weiterzuentwickeln, um noch mehr Studierenden die Lehr- und Lernerfahrung in vergleichender Perspektive zu ermöglichen.
Zur Vertiefung fachlicher Kompetenzen in Verbindung mit gesellschaftlichem Engagement werden an der Universität Kassel zahlreiche Lehrveranstaltungen auch im Bereich des Service Learning angeboten. Zudem wird über sieben studienbegleitende lehramtsspezifische Programme ermöglicht, inhaltliche Schwerpunkte zur Vertiefung zu setzen. Dazu gehören beispielsweise die „Studienelemente inklusiver Bildung“, „Internationalization and Education for Sustainable Development (InterESD)” und „Kulturelle Praxis an Schulen (KuPra)". Diese Programme werden spezifisch für Lehramtsstudierende angeboten. Die Besonderheit liegt darin, dass jeweils mehrere Fachbereiche über alle drei Professionsbereiche hinweg beteiligt sind. Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten zur Schwerpunktsetzung, an denen auch Studierende der grundständigen Studiengänge teilnehmen. Zu nennen sind hier das „Interdisziplinäre Studienprogramm Frauen- und Geschlechterforschung", das „Weiterbildende Studienprogramm Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (WBSP DaFZ)“ oder das Spezialisierungsmodul zum „Bilingualen Lehren und Lernen (BIKA)". Alle Programme bescheinigen bzw. zertifizieren die erfolgreiche Teilnahme. Des Weiteren können die in Lehrveranstaltungen der drei Professionsbereiche erworbenen Kompetenzen im Bereich Medienbildung mit Abschluss des Studiums zertifiziert werden.
4. Forschungsprofil
Die Forschungsschwerpunkte innerhalb der Kasseler Lehrer:innenbildung beziehen sich auf die Professionalisierung von (angehenden) Lehrkräften in allen drei Phasen sowie auf die Schul- und Unterrichts- & Lehr-Lern-Forschung, Lehrer:innenbildungsforschung und fachwissenschaftliche Forschung. Dabei wird an die jeweiligen Forschungstraditionen in den Fächergruppen angeknüpft und es werden deren Begrenzungen durch die enge Kooperation unter den Wissenschaftler:innen aufgebrochen, wie zum Beispiel im Zentrum für Lehr-/Lernforschung (ZELL). Ein Spezifikum der Kasseler Forschung ist die Verzahnung der drei Professionsbereiche, durch die in unterschiedlichem Ausmaß bildungs- und gesellschaftswissenschaftliche, fachdidaktische und fachwissenschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Darüber hinaus gibt es Forschungsprojekte, in denen die professionstheoretischen Ansätze ins Zusammenspiel gebracht werden. Damit werden auch unterschiedliche Forschungsparadigmen bedient und miteinander verzahnt.
Dies zeigt sich beispielsweise an den Forschungsschwerpunkten in den Bereichen der Schul- und Unterrichtsforschung zur Interaktion und Kommunikation im Unterricht, Partizipation von Kindern, Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen, Nachhaltigkeit, Mehrsprachigkeit und Inklusion, die sowohl in den Bildungs- und Gesellschaftswissenschaften als auch in den Fachdidaktiken angesiedelt sind.
Die Entwicklung digitaler Kompetenzen und der Einsatz digitaler Medien sowie das Feld der Unterrichtsqualität stehen sowohl in der Lehrer:innenbildungsforschung als auch bei der Schulentwicklungs- und Unterrichtsforschung im Fokus. Im Bereich der – auch längsschnittlich angelegten – Professionalisierungsforschung angehender Lehrkräfte werden Reflexion und Reflexivität sowie professionelles Wissen, fachspezifisches Denken, Überzeugungen, Selbstwirksamkeit und diagnostische Kompetenzen in allen drei Professionsbereichen untersucht. Darüber hinaus liegen Forschungsschwerpunkte in der politischen Bildungsforschung, in den bilingualen Kompetenzen im Sinne von Mehrsprachigkeit und Sprachbewusstheit, dem ethischen Handeln im Kontext von Inklusion, multiprofessioneller Kooperation, der sexualisierten Gewaltforschung, der Migrations- und Transnationalitätsforschung, der Begleitung der Praxisphasen sowie in der phasenübergreifenden Lehrer:innenbildung. Zudem bezieht sich die Forschung der an der Lehrer:innenbildung beteiligten Disziplinen auf fachwissenschaftliche Themen. Diese Arbeiten tragen dazu bei, dass Lehrinhalte dem aktuellen Kenntnisstand entsprechen und sie erweitern das Verständnis des Handelns von Lehrkräften in all seinen Facetten und Abhängigkeiten.
Mit diesem Forschungsprofil einher geht die Evaluation von (verzahnten) Lernumgebungen zur Schaffung kohärenter Lehrveranstaltungen für die Professionalisierung angehender Lehrkräfte in hochschuldidaktischen Forschungsprojekten (u.a. PRONET2, PRONET-D, KoVeLa). Die Forschung zur Lehrer:innenbildung sowie zu Schule und Unterricht umfasst auch die wissenschaftliche Weiterqualifizierung. So wird am Zentrum für Lehrerbildung eine Graduiertenförderung aufgebaut, die sich an Promovierende richtet, auch in Zusammenarbeit mit den bestehenden Promotionskollegs der Fachbereiche 02 und 05. Außerdem ist das erste grundschulspezifische DFG-Graduiertenkolleg Deutschlands, INTERFACH, an den Universitäten Halle und Kassel angesiedelt.
5. Postambel
Kennzeichnend für das Profil der Kasseler Lehrer:innenbildung sind die fortgeschrittene Verzahnung professionstheoretischer Ansätze und die begonnene systematische Vernetzung der drei Professionsbereiche. Das vorliegende Profil versteht sich als Grundlage für einen fortlaufenden Austauschprozess über die Weiterentwicklung der Kasseler Lehrer:innenbildung unter allen Beteiligten. Entsprechend gehören die Auseinandersetzung über die Kompetenzen und Schwerpunkte, unser gemeinsames Professionsverständnis und die fortlaufende Evaluation der Qualität der Kasseler Lehrer:innenbildung dazu. Insofern gilt es, unsere Lehrer:innenbildung beständig im Zuge gesellschaftlicher und globaler Veränderungen kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.
Das vorliegende Profil fasst nicht nur unser Selbstverständnis zusammen, sondern soll uns in einem stetigen Prozess ermutigen, (angehende) Lehrkräfte bestmöglich auf die Begleitung von Bildungsprozessen vorzubereiten und durch Fort- und Weiterbildungen zu unterstützen. Dazu gehört auch, unsere Absolvent:innen in einem Alumni–Netzwerk auf ihrem beruflichen Weg künftig zu begleiten.