Forschung

„Trauma in den Tropen. Globalgeschichte, ‚Modernisierungserfahrungen’ und Psychiatrie im 19. und 20. Jahrhundert“

Auf der Grundlage empirischer historischer Forschungen nimmt das Projekt globale Aushandlungen von Konzepten von 'Modernisierung' in anthropologischen, psychologischen und psychiatrischen Wissenskulturen zwischen Europa und Regionen des 'globalen Südens' in den Blick. Es werden Diskurse und Praktiken über die vermeintliche Traumatisierung sogenannter 'primitiver Menschen' in tropischen und subtropischen Weltregionen analysiert, die um die Annahme kreisten, dass und wie diese durch 'Modernisierungserfahrungen' im Zuge von 'Zivilisierung', 'Missionierung' oder 'Entwicklung' psychisch krank würden. Hierbei wird auch die von vielen Forscherinnen und Forschern seinerzeit vertretene Annahme analysiert, dass man aus den Verhältnissen in Afrika, Lateinamerika oder Südostasien Schlussfolgerungen über europäische Formen psychiatrischer 'Zivilisationskrankheiten' und deren Therapien ziehen könnte.

Das Projekt insgesamt besteht aus drei Teilprojekten: Erstens wird eine Monographie die Verflechtungsgeschichten zu 'Modernisierungserfahrungen' und Psychiatrie zwischen Regionen des tropischen Afrikas und Europa in den Blick nehmen. Zweitens wurde im November 2018 in Groningen ein Workshop abgehalten, der ein Forum zur Debatte aktueller Ansätze zu Globalgeschichten der Psychiatrie bot (siehe hierzu die Ankündigung: Global Histories of Psychiatry, 07.11.2018 - 08.11.2018 Groningen, in: H-Soz-Kult, 11.10.2018, und Tagungsbericht: Global Histories of Psychiatry, 07.11.2018 - 08.11.2018 Groningen, in: H-Soz-Kult, 19.03.2019). Drittens wird zu diesem Workshop ein Sammelband erscheinen.

Insgesamt zielt das Projekt auf einen neuen Beitrag zu Globalgeschichten der Verflechtung psychiatrischer Diskurse und Praktiken ab, mit Bezug zu zeitgenössischen Reflektionen über die Effekte von 'Modernisierung'. Hierbei wird das Projekt versuchen, möglichst umfassend die Perspektive aller Beteiligten in den Blick zu nehmen, somit auch von psychiatrischen Patientinnen und Patienten. Ein Beitrag zur globalen Zirkulation und 'Übersetzung' anthropologischen und psychiatrischen Wissens soll geleistet werden, wobei das Projekt nicht nur zu zeigen versucht, wie normative Definitionen von 'Modernisierung' in lokalen ebenso wie globalen Verflechtungen ausgehandelt, untermauert, verworfen und in Frage gestellt wurden. Gezielt wird hier auch nach Stereotypen, rassistischem 'Othering', sozialer Exklusion und Inklusion und nicht zuletzt physischer und psychischer Gewalt in Prozessen psychiatrischer Wissensverhandlungen gefragt. So wird das Projekt auch danach fragen, inwiefern, wie und wie folgenreich europäische 'Modernisierung' als ein elitäres Konzept angelegt war, das man Menschen mit dem Argument vorenthielt, dass sie durch Effekte von 'Modernisierung' psychisch krank würden.

Globalgeschichte in der Praxis – Historische Anthropologie als Globalgeschichte

Unter diesem Arbeitstitel sind vier Teilvorhaben vorgesehen: Erstens wird im Rahmen einer Monographie der Ansatz der Historischen Anthropologie einer kritischen Sichtung unterzogen; hierdurch soll eine postkoloniale Neubestimmung und eine Öffnung dieses Ansatzes für globalhistorische Konzepte und Themenfelder erzielt werden. Zweitens soll ein interdisziplinärer und internationaler Workshop stattfinden, im Rahmen dessen sich entsprechend ausgewiesene Historiker/innen mit Ethnologen/innen und Soziologen/innen über ihre Forschungserfahrungen, vornehmlich in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern, austauschen können. Hierzu soll drittens ein Aufsatzband vorbereitet werden. Viertens wird eine Internetplattform entstehen, die Orientierung geben soll bei der Planung und Durchführung globalhistorischer Forschungen - besonders in Regionen des sogenannten globalen Südens. Insgesamt soll damit Nachwuchswissenschaftlern/innen mehr Orientierung und Unterstützung für praktische globalhistorische Forschungen geboten werden, als dies bislang der Fall ist.