Interview mit Stefanie Kron

1. Frau Kron, bitte erzählen Sie uns etwas über Ihr Forschungsgebiet und aktuelle Projekte.

a) Eines meiner Forschungsgebiete sind transnationale Migrationsprozesse, deren Auswirkungen auf die Orte der Herkunft, die Ankunftsgesellschaft sowie die Herausbildung transnationaler „Zwischen“räume. Insbesondere habe ich hier bisher zu Zentralamerika und Mexiko gearbeitet. Mich interessieren die Bedeutung transnationaler Migrationsprozesse für Geschlechterverhältnisse, interethnische Beziehungen und Fragen der sozialen und politischen Mobilisierung bzw. soziale Bewegungen.

b) Ein damit zusammenhängendes Forschungsgebiet sind regionale und globale neue Formen der Migrationssteuerung und der Grenzpolitiken. Ich sehe Migrationsprozesse und die Fragen ihrer politischen Steuerung als einander bedingend an. Hierfür verwende ich den Begriff der Migrationsregime.

c) Ein drittes ebenfalls damit zusammenhängendes Forschungsgebiet sind Grenzen. Grenzen und ihren aktuellen Form- und Funktionswandel sehe ich als zentrales Konfliktfeld der Globalisierung sowie als zentrale Orte der Aushandlung von sozialen Konflikten, Identitäten und Ungleichheiten in Globalisierungsprozessen.

d) In diesem Kontext (Migrations- und Grenzregime) habe ich auch begonnen, ausgehend von Zentralamerika/Mexiko, vergleichend zu arbeiten und dabei vor allem Länder an den europäischen Außengrenzen in den Blick zu nehmen (Türkei und Nordafrika).

e) Ein neueres Forschungsgebiet sind die kritischen refugee studies. Hier interessieren mich die Proteste von Geflüchteten in europäischen Großstädten für das Recht auf Rechte und ihre Bedeutung für die wachsenden urbanen Proteste gegen städtische Verdrängung, Privatisierung und Versicherheitlichung. Zweitens nehme ich die Proteste von Angehörigen der auf ihrem Weg von Afrika oder Asien nach Europa oder aus Zentralamerika durch Mexiko in die USA „verschwundenen MigrantInnen“ in den Blick und frage nach der Herausbildung neuer Formen politischer Subjektivitäten in so genannte „border struggles“.

2. In unserem Seminar geht es um den Zusammenhang zwischen Globalisierung und Geschlechterverhältnissen. Welche Erkenntnisse ergeben sich aus Ihrer Arbeit für das Zusammenspiel der beiden?

a) Globalisierungsprozesse wirken auf Geschlechterverhältnisse auf sehr plurale und teils widersprüchliche Art und Weise, aber in jedem Fall verändern sie Geschlechterverhältnisse. Ich sehe transnationale Migration als eine wichtige Form der Globalisierung „von unten“ und fokussiere mich deshalb vor allem darauf.

b) Migrationsprozesse und global zirkulierende Diskurse über Frauenrechte beispielsweise können ein emanzipatorisches Potenzial auf restriktive Geschlechterbeziehungen und geschlechtsspezifische Ungleichheiten haben. Diese sind aber immer auch abhängig vom regionalen, kulturellen und religiösen Kontext.

c) Migrationsprozesse und beispielsweise global zirkulierende religiös-fundamentalistische Diskurse können aber auch regional/lokal zu restriktiveren Geschlechterverhältnissen führen, wie wir es derzeit am Beispiel des erstarkenden politischen Islam beobachten.

d) Globale migrationspolitische Diskurse, wie etwa jener über Menschenhandel/Menschenschmuggel, können dazu führen, dass Migrationsbewegungen junger, allein reisender Frauen pauschal als mit organisierter Kriminalität verbunden geframed (Frauenhandel) und die Frauen viktimisiert werden.

e) Wie das Beispiel der Angehörigenbewegungen bzw. der so genannten Mütterbewegungen verschwundener MigrantInnen in Mexiko zeigt, können Globalisierungsprozesse aber auch zur Politisierung bzw. politischen Mobilisierung von Frauen führen.

3. Welche Herausforderungen und Möglichkeiten in Bezug auf das Thema „Globalisierung und Geschlechterpolitik“ sehen Sie für die Zukunft?

a) Wenn wir Migrations- und Fluchtbewegungen als Globalisierungsprozesse sehen, dann sehe ich die größten Herausforderungen darin, eine systematische Genderperspektive auf diese Bewegungen und Prozesse einzunehmen.

b) Dies würde auch die Frage von Rechten/citizenship betreffen. Eine systematische methodologische Perspektive auf die Frage von geschlechtsspezifischen Formen von citizenship/Kämpfen um Rechte und gegen geschlechtsspezifische Ungleichheiten in Migrationsprozessen fehlt bislang noch.

c) Konkret sollten mehr auch Flüchtlingsfrauen und ihre Organisationen und Formen der politischen Artikulation in die kritischen refugee studies als Forschungsgegenstand aufgenommen werden.