Raumpraktiken der documenta

Dissertationsprojekt von Samuel Korn.

Die fortwährend veränderte räumliche Verfasstheit der Ausstellungsformate der documenta und die Verortung der Ausstellungssituationen an unterschiedlichen Punkten im Stadtraum Kassels ist ein auffälliges wie auch beständiges Gestaltungselement der Ausstellungsreihe. Die Verortung eines Ausstellungsereignisses erfolgt dabei durchaus auch unabhängig von dezidiert in situ orientierten künstlerischen Praxen, vielmehr führen kuratorische Entscheidung zu einem spezifisch lokalisierten Ausstellungsereignis, wie die Beispiele der urbanen Parcours der documenta X oder die als gleichwertig konzipierten Ausstellungen der documenta 14 in Athen und Kassel eindrucksvoll zeigen. Die immer wieder neu erfolgende Rekonfiguration von bekannten und neuen Orten erscheint somit zunehmend als ein bedeutender Teil der kuratorischen Arbeit der künstlerischen LeiterInnen der documenta, die durch neue Situierungen von Kunst nicht zuletzt auch die Möglichkeiten des Ausstellungsformats neu verhandeln.

Mit der Analyse der Gestaltungsprozesse und der Untersuchung der Wechselwirkungen von Ausstellung und Stadt soll an der Schnittstelle zwischen Ausstellungsstudien und Architekturtheorie eine Untersuchung durchgeführt werden, die an kunstwissenschaftliche, städtebauliche, soziologische, kulturtheoretische und wissenschaftsgeschichtliche Fragestellungen anschließt. Das Medium Ausstellung soll hierbei als eine primär räumliche Praxis aus der Perspektive der Architekturtheorie betrachtet werden, um die Bedeutung der stadträumlichen und medialen Vorstellungen und Mittel, Instrumente und Formprozesse der Raumpraxis von Ausstellungsproduktion im urbanen Geflecht herauszuarbeiten. Hierbei soll eine methodologische Lücke in der Beforschung des Mediums Ausstellung geschlossen werden, die aufgrund des relationalen Charakters des beforschten ‚Objekts‘ existiert. Gleich einer archäologischen Vorgehensweise wird es dabei darum gehen einerseits anhand der Untersuchung von Artefakten und andererseits anhand der Analyse fotografisch dokumentierter wie diagrammatisch rekonstruierter Manifestationen der historisch entwickelten Ausstellungsreihe documenta den nonverbalen Diskurs des Ausstellens anhand der Gestaltungsprozesse der Ausstellung und ihrer Strukturgebung freizulegen. Die durch die documenta-Ausstellungen temporär hervorgebrachten relationalen Formen dienen dabei zugleich als Untersuchungsmaterial wie auch als Modell, um die Interdependenz von Kunst und kuratorischer Rahmung, Architektur und Stadt zu untersuchen; d.h. die Entwicklungsgeschichte der documenta soll in einer Untersuchung der Formfindungsprozesse dargelegt und für eine Methode zur Untersuchung von analog operierenden Ausstellungsformaten nutzbar gemacht werden.

Ziel des Forschungsvorhabens ist es die Gestaltungsprozesse zu erhellen, die die unterschiedlichen Lokalisierungen und Materialisierungen der documenta in der Stadt hervorbringen und dabei das Ausstellungsformat und die Konfiguration urbaner Elemente regelmäßig neu formen. Das Projekt soll die Kenntnisse zu den Raumpraktiken der documenta als strategisches Instrument der Ausstellungskonzeption vertiefen. Mit der Untersuchung soll sichtbar gemacht werden wie die Ausstellungsreihe in Form von Einschreibungen in die Stadt weiterentwickelt wurde und wie die Verortung der documenta hierbei zu einem bedeutenden Vehikel der konzeptuell-inhaltlichen Entwicklung werden konnte. Zudem sollen die kuratorische Rahmung auf Kontinuitäten und Verschiebungen analysiert werden und so dargestellt werden inwieweit documenta an kuratorische Praktiken außerhalb Kassels anknüpft und inwiefern auch an anderen Orten analog zu den Raumpraktiken der documenta Elemente der Stadt als inszenatorisches Moment produktiv werden. Erwartet werden darüber hinaus wichtige neue Einsichten zu den Formfindungsprozessen der Ausstellung innerhalb der Realität des städtischen Bestands sowie Erkenntnisse zu der historisch herausgebildeten kuratorische Methode der Verhandlung von Geschichte und Gegenwart durch die Präsentation von Kunst in vorgefundenen Räumen, die dabei zu gestalteten Räumen werden.