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CAROLA EBERT: Wohnbau auf neuen Wegen? – Typologie, Geschichte und Potential des westdeutschen Bungalows der 1950er/1960er Jahre

1964 erschien in Deutschland das Buch Wohnbau auf neuen Wegen: Musterhäuser und Bungalows – ihre Planung, Konstruktion, Bauausführung und Wirkung1 – auf den ersten Blick ein weiteres der unzähligen, überwiegend an Laien gerichteten Bücher der 1960er Jahre über Bungalows, Einfamilienhäuser, Ferienhäuser, Fertighäuser sowie die Tücken und Freuden des Hausbaus. – Aus heutiger Perspektive überrascht die Einordnung von Esther McCoys Buch über das Case Study House Programm2, weil dessen Häuser einem breiten Publikum als arrivierte Design-Ikonen bekannt sind. Selbstverständlich war der deutsche Titel bereits 1964 nicht – erscheint doch das Wort „Bungalow“ in der Originalausgabe an keiner Stelle. Auch in der bis heute stark angewachsenen englischsprachigen Literatur zum Case Study House Programm3 werden die Gebäude nicht als ‚Bungalows’ bezeichnet. Umgekehrt zeigen die meisten Abbildungen in angloamerikanischen Publikationen4 Bungalows aus Holz und Schindeln, mit großem Schrägdach und breitem Dachüberstand – und widersprechen so den landläufigen Vorstellungen in der Bundesrepublik, wo der Bungalow sich fast ausschließlich über seine Eingeschossigkeit, sein Flachdach und seine Entstehungszeit in der Nachkriegsmoderne bis Anfang der 1980er Jahre definiert. Innerhalb der globalen Bungalow-Typologie fällt der westdeutsche Bungalow also formal durch seinen Modernismus aus dem Rahmen, ohne dass dies seiner Konnotation in Westdeutschland als anglo-amerikanische Bauform Abbruch getan hätte. Das Promotionsvorhaben nimmt diesen Widerspruch zum Anlass, einen ersten Überblick über den westdeutschen Bungalow zusammenzutragen und ihn hinsichtlich seiner Architektur, seiner Geschichte und seines Potentials zu untersuchen. Anhand einer vergleichenden Betrachtung zeitgenössischer Literatur lässt sich die Überlagerung des Bungalow-Begriffs mit der Architektursprache der kalifornischen Wohnhausmoderne, dem Werk von Richard Neutra, dem Case Study House Programms etc. während der 1950er/1960er Jahre in der Bundesrepublik gut nachvollziehen. Die architektonischen Charakteristika des westdeutschen Bungalows beruhen somit genau nicht auf der Tradition der „globalen Bungalowkultur“, sondern auf zwei prägenden Leitlinien der modernen Architektur: den mitteleuropäischen Wohnideen der Zwischenkriegszeit zum „befreiten Wohnen“5 und deren Weiterentwicklung in den Vereinigten Staaten, vor allem in der kalifornischen Wohnhausmoderne. Dabei verweist die simple Verschmelzung der Architektur moderner Wohnformen in ihrer kalifornischen Weiterentwicklung mit der Begriffswelt der Bungalowkultur zugleich auf implizite Verwandtschaften zwischen jenen mitteleuropäischen Ideen der 1920er und 1930er Jahre und den räumlichpsychologischen Zielen und Wunschträumen der globalen Bungalow-Kultur. Anhand der Beispiele vom einfachen Bestell-Fertighaus, wie dem Quelle®-Bungalow von 1963, über den Architektenbungalow in Münster oder im Berliner Hansaviertel bis zum politisch hochsymbolischen Bonner ‘Kanzlerbungalow’, Sep Rufs Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers in Bonn, 1962-64, wird die gesellschaftliche Bandbreite des Phänomens Bungalow deutlich. In verschiedenen Fallstudien untersucht die Arbeit neben den architektonischen Charakteristika die Bedeutung des westdeutschen Bungalows in psycho-politischer und architekturgeschichtlicher Hinsicht vor dem zeitgeschichtlichen Kontext der ersten Jahrzehnte von Westbindung, Suburbanisierung, ‚Amerikanisierung’ und Konsumgesellschaft der Bundesrepublik, in denen der Bungalow zugleich zeitgenössische Bauaufgabe, Symbol und Ware war. Dabei erweitert und ergänzt das Promotionsvorhaben die aktuelle Forschung zur ‚Amerikanisierung’ des westdeutschen Einfamilienhauses in der Nachkriegszeit6, indem es eine seltene, nur durch den transatlantischen Transfer ermöglichte Nähe der Wohnvorstellungen und -architektur in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland genauer beleuchtet.

ANMERKUNGEN
1 Esther McCoy, Wohnbau auf neuen Wegen. Musterhäuser und Bungalows – ihre Planung, Konstruktion, Bauausführung und Wirkung, Ravensburg, 1964.
2 im Original Esther McCoy, Modern California houses; Case study houses 1945 - 1962, New York, 1962
3 z.B. Esther McCoy und Howard Singerman, Blueprints for modern living. History and Legacy of the Case Study Houses, Los Angeles, 1989. Ethel Buisson und Thomas Billard, The presence of the case study houses, Basel; Berlin, 2004.
4 vgl. z.B. das Standardwerk von Anthony D. King, The Bungalow. The Production of a global culture, London u.a., 1984
5 vgl. z.B. Sigfried Giedion, Befreites Wohnen, Zürich, 1929 und Andreas K. Vetter, Die Befreiung des Wohnens. Ein Architekturphänomen der 20er und 30er Jahre, Tübingen, 2000
6 vor allem die Arbeit von Alexandra Staub z.B. Kultureller Wandel und das Ideal des Einfamilienhauses in der Bundesrepublik Deutschland 1950-1989, Cottbus, 2005

CAROLA EBERT Jahrgang 1971. Architekturstudium an der TU Berlin undder Bartlett, London. Diplom 1998. Master in Architekturgeschichtean der Bartlett 2001. Acht Jahre tätig alsselbstständige Architektin für Ein- und Mehrfamilienhäuser.Seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der UniversitätKassel, Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen.Vorträge auf verschiedenen Architekturkonferenzen überdie 1960er Jahre, Collage City und den westdeutschenBungalow. Veröffentlichungen u.a. in 306090, ARCH+, Baunetz, Bauwelt, Thesis und Architecture and Authorship zum Thema: ‘Into the Great Wide Open: The Bungalow in1960s’ West-Germany between Housing Industry andStately Representation‘, in Mart Kalm, Ingrid Ruudi (Hg.), Constructed Happiness – The domestic Environment in the Cold War Era, Tallin: Estnische Kunstakademie, 2005

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