Projekt: Post-fossile Stadt

Post-fossile Stadt

Prof. Dr. Jürgen Aring, Tristan Lannuzel architecte d.p.l.g. urbaniste

Die Stadtentwicklung im 19.und noch mehr im 20. Jahrhundert fand unter zwei bestimmenden Prämissen statt: Stetiges Wachstum und die relativ preiswerte Verfügbarkeit fossiler Energie (Kohle, Öl). Beide Prämissen zusammen ermöglichten die Entwicklung unserer Stadtregionen mit flächenhafter Besiedlung, hoher Mobilität, breit verteiltem Wohlstand, relativ ausgewogener Sozialstrukturen und einem ökologische Fußabdruck, dessen Fläche das Gebiet der Stadtregion um ein Vielfaches  überschreitet. Stadt- und Regionalplanung haben ihre „Philosophien" und Instrumentarien unter den Prämissen „Wachstum" und „fossile Energie" entwickelt. Störungen bei den Prämissen führten zu Systemkrisen, die es schnell zu überwinden galt.
 
Nachdem nun mit der „Schrumpfung" die Wachstumsprämisse schon seit einiger Zeit vielerorts nicht mehr in der alten Form gilt und Stadtplanung sich daraufhin umorientieren muss, dürfte in näherer Zukunft auch die Zeit preiswert verfügbarer fossiler Energie dem Ende entgegengehen. Jedenfalls deuten sowohl die Debatte über „Peak Oil"  zur zukünftigen Ressourcenverfügbarkeit wie auch die Maßnahmen gegen den Klimawandel darauf hin. Die relativen Preise fossiler Energieträger dürften sich erheblich verteuern, was nicht ohne Rückwirkungen auf raumwirksame Entscheidungen von Haushalten und Unternehmen bleiben kann.
 
Stadt- und Regionalplanung stehen so vor der Herausforderung eines weiteren Umlernprozesses. Klar ist, dass der Weg nicht einfach zu einem Struktur- und Entwicklungsmodus präfossilen Typs zurückführen wird. Ökonomie und Gesellschaft haben sich in den letzten 200 Jahren grundlegend verändert. Die Periode fossiler Energie ist eine Brücke in eine neue Zeit gewesen, aus der der Weg „weiter nach vorn und nicht zurück" führt. Für das postfossile Zeitalter mit 10 und mehr Milliarden Menschen auf der Erde tragen historische Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle, die unter den Bedingungen von einem Zehntel oder einem hundertstel dieser Bevölkerungszahl funktionierten, wenig. Gleichzeitig muss man konstatieren, dass das Interesse groß ist, das Zeitalter preiswerter fossiler Energie noch möglichst lang zu strecken. Insbesondere im traditionellen Vorreiterland von Modernisierungsprozessen - den USA - ist die Mainstreampolitik klar an der Verfügbarkeit preiswerten Öls orientiert. Vermutlich wird die Anpassung an postfossile Kontexte als so herausfordernd und teuer eingeschätzt, dass man sie lieber nachfolgenden Generationen aufzwängt. Vielleicht ist es aber auch sinnvoll, Zeit für das Erlernen der Anpassungsprozesse zu gewinnen.
 
Wie dem auch sei: Das Nachdenken über postfossile Stadtentwicklung muss/darf offen und experimentell sein. Als Ausgangspunkt muss man fragen, welche Energieformen wann und zu welchen Preisen zur Verfügung stehen? Wo wird die Energie produziert, und wie wird sie verteilt? Was bedeuten die Veränderungen der Energieart, der Produktionsorte und der relativen Preise für den Verbrauch bzw. die Verbraucher? Welche technologischen Einsparmöglichkeiten gibt es? Welche individuellen Anpassungen ziehen veränderte relative Preise nach sich? Welche Veränderungen sind bei Wirtschaftskreisläufen und Globalisierung zu erwarten? Zeichnen sich neue Formen „regionaler Energiesparsamkeit" im Sinne regionaler Produktions- und Konsumptionskreisläufe ab? Was bedeutet das für Flächenkonsum, Mobilität, soziale Strukturen, Landwirtschaft, urbanes Design und das gebaute historische Erbe der Stadt? Und letztlich: Welche Lösungen können Stadtplanung, Regionalplanung, Landschaftsplanung und Architektur zur Bewältigung des Wandels beitragen? Und wie muss Planung grundsätzlich  bei den „Philosophien" und Instrumenten für die veränderten Kontexte weiter entwickelt werden?
 
Mit all diesen Fragen und einigem mehr soll/kann sich das Projekt beschäftigen. Sie alle zu beantworten wird unmöglich sein. Doch wenn es im Projekt gelingt, die Komplexität etwas fassbarer zu machen und die Tür zum Verständnis postfossiler Stadtentwicklung ein wenig aufzustoßen, dann ist das ein Erfolg. Eingeladen zum Projekt sind angehende Stadt- und Regionalplaner, Landschaftsplaner und Architekten. Jede unserer asl-Fachrichtungen kann spezifische Sichtweisen, Erfahrungen und Lösungsideen einbringen.  Angesprochen sind Master- und Diplomstudierende, sowie fortgeschrittene Bachelor (mind. 5. Semester), die Lust am Denken haben, und die den für ein Projekt angesetzten Workload von der ersten Woche an wirklich bereitstellen können. Wie die Ergebnisse des Projektes am Ende des Semesters öffentlich präsentiert werden sollen, ist im Verlauf des Projektes zu entscheiden.