Positionen zum Wiederaufbau zerstörter Bauten und Räume

Die in der planenden und bauenden Fachwelt ursprünglich eher distanziert geführte Diskussion über die Wiederherstellung von historischen Stadtbildern hat innerhalb der breiten Bevölkerung starkes Interesse erlangt (Beispiele: Braunschweig Schloss / Frankfurt Main ehm. Technisches Rathaus in Planung). Durch bürgerschaftliches und privates Engagement werden städtebaulichen Debatte neue Komponenten hinzugefügt, die eher von harmonischen Vorstellungen geschlossener Stadtbilder mit dem gewünschten Eindruck von Einklang geprägt sind. Dieses oft nicht widerspruchsfreie Meinungsbild in der Öffentlichkeit sollte - von wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauert - in die Fachdebatte eingeführt werden.

Das vorangegangene Projekt „Wieder-Aufbau" sowie die in diesem Rahmen durchgeführte Tagung „Identität durch Rekonstruktion?" haben zahlreiche Forschungsfragen aufgeworfen, die ebenfalls untersucht werden sollten.

Projektlaufzeit: Januar 2009 bis Oktober 2009
Auftraggeber: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (ExWoSt-Foschungsfeld „Baukultur")
Projektmitarbeit: Prof. Dr. Uwe Altrock, Dipl. Kult.-Wiss. Henriette Bertram (ehemals Horni), Dipl.-Ing. Grischa Bertram (Projektkoordination)

Ergebnisse

Die derzeit in vielen Teilen Deutschlands geführten Diskussionen um Wiederaufbauvorhaben zeichnen sich dadurch aus, dass sie in einem großen zeitlichen Abstand von der Zerstörung von Gebäuden – in den allermeisten Fällen im Zweiten Weltkrieg oder gar noch davor – stattfinden. Eine Analyse des baulichen Geschehens in kriegszerstörten deutschen Städten zeigt, dass in ihnen in der Regel etwa in den 1960er Jahren die Phase des Wiederaufbaus als abgeschlossen gelten konnte. Zwar waren zu dieser Zeit nicht überall – insbesondere auch nicht in der DDR – sämtliche kriegsbedingten Lücken wieder baulich gefüllt. Dennoch hatte die Durchsetzung der Nachkriegsmoderne einer an der Gestalt der Vorkriegsbauten orientierten weiteren Rekonstruktion weitgehend Einhalt geboten. Abgelöst von dem Wiederaufbau der Nachkriegszeit kam es später zu Rekonstruktionsbemühungen, die teilweise darauf abzielten, frühere Wiederaufbaubemühungen oder Ergebnisse moderner Leitbilder der Innenstadtentwicklung zu korrigieren oder in Frage zu stellen. Insbesondere seit den frühen 1980er Jahren wurden etwa in Frankfurt/Main oder Hildesheim diesbezügliche Anstrengungen unternommen. Sie unterschieden sich auch dahingehend von der Mehrheit der Wiederaufbauvorhaben der Nachkriegszeit, als sie eine möglichst originalgetreue Rekonstruktion eines Vorkriegszustands zum Ziel hatten, ein Ansatz, der zuvor nur für besonders herausragende Gebäude wie in der Innenstadt von Dresden oder Unter den Linden Berlin gewählt worden war. Vor allem nach der deutschen Vereinigung häuften sich ähnliche Vorhaben, vor allem, aber nicht nur in Ostdeutschland, die teilweise als späte Vollendung des Nachkriegswiederaufbaus gesehen werden können. Teilweise haben die betreffenden Projekte eine längere Vergangenheit und genossen über die Jahre eine stillschweigende Unterstützung in Teilen der Bevölkerung oder Interessengruppen und Vereinen, haben aber erst in den letzten Jahren eine so große Dynamik erreicht, dass sie auch in der öffentlichen und der politischen Debatte breit diskutiert wurden. Inzwischen kann angesichts der größeren Zahl von Vorhaben und deren räumlicher Streuung mitaller Vorsicht von einer Art „Rekonstruktionswelle" gesprochen werden. Zwar handelt es sich bei ihnen nur um einen sehr geringen Anteil am gesamten Baugeschehen, doch oft um Schlüsselbauten, um die sich die lokale Debatte um Stadtidentität entzündet.

Nimmt man zur Kenntnis, dass die genannten Projekte in einer abgerissenen Kontinuität des Wiederaufbaus stehen, der mit der Durchsetzung der städtebaulich- architektonischen Moderne anderen Leitbildern gewichen war, kann man sie aus mehreren Gründen als „postmoderne" oder „nachmoderne" Rekonstruktionswelle begreifen. Dies gilt für die ihnen zugrunde liegende Überwindung des Leitbilds der städtebaulich-architektonischen Moderne. Auf sie kann hier nicht im Detail eingegangen werden; sie muss aber aus verschiedenen Gründen in den 1970er Jahren angesetzt werden, so dass aus pragmatischen Gründen für diese Untersuchung das Denkmalschutzjahr 1975 als Scheidelinie zwischen dem Nachkriegs- Wiederaufbau (der kurz zuvor nur noch eine sehr geringe Rolle gespielt hatte) und der zu untersuchenden, bis heute anhaltenden Welle (die erst allmählich und vor allem ab den 1980er Jahren ein Stück weit, in den 1990er Jahren dann mit größerem Nachdruck in Gang kam) gewählt wurde. Weitere Elemente, die die derzeitige Rekonstruktionswelle als Kind der „Postmoderne" kennzeichnen, werden in den folgenden Kapiteln näher beleuchtet. Dabei geht es u.a. darum, dass historische Stilelemente bewusst neu architektonisch eingesetzt werden, ohne zwangsläufig funktional bedingt zu sein oder als authentisch gelten zu können („Zitat"). Von besonderer Bedeutung ist dabei ein erneuter Bedeutungsgewinn geschmückter oder ornamentierter Fassaden, die stilistisch eine intensive Verbindung zum spezifischen Ort herstellen.

Kontakt


Prof. Dr. Uwe Altrock

+49 561 804-3225
altrock​@​asl.​uni-kassel.​de