Christian Röser
Partizipative und internationale Bildungsarbeit
Kompass für das Berufsleben
„Innovationsfreude, Wissenschaftsanspruch und Wahrhaftigkeit“ - „Ich bin Agraringenieur und habe in Witzenhausen studiert: Ja, diesen Ort gibt es wirklich“. So beginnen alle Gespräche, in denen es um die Vorstellung meines beruflichen Werdegangs geht. Dabei ist mir im Laufe der Zeit bewusst geworden, was es für ein Privileg war, an diesem Ort mit diesen besonderen Menschen studiert zu haben. Denn der Spirit aus Witzenhausen, der sich aus einer Mischung von Rebellentum, Innovationsfreude, Suche nach Wahrhaftigkeit und Idealismus verbunden mit dem Wissenschaftsanspruch einer lehrenden Einrichtung zusammensetzt, steht für das aus meiner Sicht wichtigste Gut, das die Arbeitswelt von heute verlangt: das Ökosystemdenken. Die Fähigkeit, die Welt und ihre Fragestellungen ganzheitlich zu begreifen und sich durch den Ansatz des Ökolandbaus inspirieren zu lassen, hat mich seit meinem Studium in Witzenhausen nachhaltig geprägt.
Diese Prägung habe ich bis heute in alle Bereiche meines beruflichen Lebens überführt. Gestartet im „Internationalen Bildungszentrum Witzenhausen - IBZW“, gegründet von Michael Glamayer, hat es mich bis heute in die Bildungsarbeit gezogen. Damals haben wir auf dem Campus internationale europäische Freiwillige für ihr Freiwilligenjahr in Deutschland geschult. So hat in diesem kleinen nordhessischen Städtchen nicht nur meine Karriere als Bildungsreferent begonnen, die mich über mehrere Stationen bis zur Gründung meines eigenen Bildungszentrums geführt hat, sondern ich habe dort auch die Liebe zur internationalen Zusammenarbeit entdeckt. Nicht umsonst habe ich mich im Hauptstudium für internationale Agrarwirtschaft entschieden.
Bildungsarbeit: Die Themen bestimmen wir
Dreh- und Angelpunkt meiner Entwicklung war die Gründung des Starkmacher e.V. 2006 mit Freunden. Sie fiel zusammen mit dem Erwerb meines Diploms. Wir wollten selbst etwas unternehmen, um junge Menschen durch ihre Fähigkeiten und Talente zu stärken und ihr Potenzial für die gesellschaftliche Entwicklung nutzbar machen. Heute arbeite ich als geschäftsführender Vorstand in einem gewachsenen Ökosystem aus Engagement und Partnerschaften. Das Heft unseres Tuns selbst in der Hand zu halten, ist über die Zielgruppen hinaus für uns selbst zentraler Motivationsgrund geworden. Der Starkmacher ist so etwas wie eine Realisierungsplattform von Visionen. Die Themen bestimmen wir. Kombiniert mit der Expertise Fördermittel vor allem von der EU zu beantragen, ergibt das eine wirksame Mischung. Europaweit besetzen wir immer wieder neue Themen, die uns selbst umtreiben und die wir gestalten möchten. Ich nutze diese Chance, um meine Leidenschaft für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum zu leben. Dies gibt mir gleichzeitig die Chance, mit in der Studienzeit gewonnenen Freunden zusammenzuarbeiten und über Ländergrenzen hinweg verbunden zu bleiben. Kombiniert mit meiner Liebe zu Lateinamerika sind über Europa hinaus z.B. Projekte zur Demokratiestärkung über erneuerbare Energien in Argentinien und Suchtpräventionsprojekte sowie Social Entrepreneurship Projekte durch Kaffee und Kakao in Brasilien und Bolivien entstanden. Der besondere Spirit aus der Zeit meines Studiums hat mich dabei immer geleitet und der Ansatz des Ökolandbaus eine wichtige innere Orientierung gegeben.
Vielfalt der Denkansätze und Meinungen
Als ich begonnen habe in Witzenhausen zu studieren, hat man mich, ehrlich gesagt, unter Gleichaltrigen meiner damaligen sozialen Umgebung nicht ernst genommen. Landwirtschaft, dazu noch Ökolandbau war 1999 noch kein Thema für Wissenschaft und Gesellschaft. Wer sich damit beschäftigte, galt als Außenseiter. Heute sehe ich, dass Lehrende und Studierende damals Vorreiter waren und gesellschaftliche Entwicklungen wie Nachhaltigkeit und Ökologie, die heute das Denken bestimmen, vorausgedacht haben. Darüber hinaus hat mich gerade die Vielfalt der Lebensentwürfe und Meinungen in Witzenhausen positiv geprägt. Wir kamen auf dem Campus alle gut und wertschätzend miteinander aus. Die große Stärke des Studiums war es, aus der Vielfalt der Denkansätze und Meinungen ein Spannungsfeld zu erzeugen, das uns nach vorne gebracht hat.
In Witzenhausen wurde ich zu einem kritisch denkenden, geerdeten Menschen ausgebildet, der weit über das Thema Landwirtschaft hinaus den ganzheitlichen Ansatz des Ökolandbaus im Arbeitsleben einbringen kann. Das hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin und meinen Berufsweg entscheidend und in positiver Weise geprägt. Dafür bin ich den damaligen Professor*innen und meinen Mitstudent*innen bis heute dankbar.