Landnutzungsstopps als Herausforderung für Mittelmeerländer
Brüchige, von Pflanzen überwucherte Steinruinen, Überreste von Wohngebäuden und landwirtschaftlicher Infrastruktur, unkultivierte Terrassenlandschaften – im südlichen Spanien wie in anderen Mittelmeerländern ist das Gefälle zwischen dicht besiedelten, lebendigen städtischen Räumen und ländlicheren Gegenden, in denen mehr und mehr Land verödet und brachliegt, sehr offensichtlich. Der allmähliche Stopp der Landnutzung („land abandonment“) in ländlichen, bergigen und weniger ökonomisch entwickelten Gegenden ist eine von vielen Landnutzungsveränderungen, die aktuell am Mittelmeer – ebenso wie in anderen Teilen der Welt – vor sich gehen. Allein in Europa waren seit den 1990er Jahren fast 120 Megahektar Land von diesem Prozess betroffen.
Sozio-kulturelle und ökologische Folgen der Landaufgabe
Doch was passiert eigentlich, wenn landwirtschaftliche Flächen aufgegeben werden? Welche sozialen und ökologischen Auswirkungen hat dieser Vorgang? Ein Team aus ehemaligen und aktuellen Forschenden am Lehrstuhl Sozial-ökologische Interaktionen in Agrarsystemen, angesiedelt an den Universitäten Kassel und Göttingen, hat in einer umfassenden Literaturstudie erforscht, mit welchen Auswirkungen die Landnutzungsaufgabe auf sozial-ökologischer Ebene einhergeht – ihre Folgen für soziale und kulturelle Aspekte, aber auch für das Wohlergehen lokaler Gemeinschaften.
„Landnutzungsaufgabe wird in der Literatur vor allem als Stopp der Nutzung von Agrarflächen und traditioneller Praktiken in Olivenhainen, Mandelplantagen und Hutewäldern (der sogenannten ‚Dehesa‘) beschrieben, und insbesondere auf ihre ökologischen Folgen hin erforscht“, so Cristina Quintas-Soriano, ehemalige Post-Doc-Forscherin an der Universität Kassel. „Darunter fallen die Auswirkungen auf Biodiversität, Humusbildung und Habitatqualität, jedoch nur selten die sozio-kulturellen Folgen.“ Die meisten der 90 Studien im Sample konzentrierten sich außerdem auf den nördlichen Rand des Mittelmeerraums (Spanien, Portugal, Italien, Griechenland), während die Situation in den südlichen Mittelmeeranrainern – wie Marokko, Algerien, Tunesien – in der untersuchten englisch- und spanischsprachigen Literatur völlig außer Acht blieb.
„Insgesamt überwiegen die negativen Auswirkungen der Landnutzungsaufgabe, sowohl in Bezug auf Indikatoren der ‚Nature’s Contributions to the People‘ als auch der ‚Good Quality of Life‘“, berichtet Fachgebietsleiter Prof. Tobias Plieninger. Insbesondere im Bereich der kulturellen und immateriellen Werte seien fast ausschließlich gemischte oder negative Effekte festgestellt worden: „Für lokale Gemeinschaften bedeutet die Landnutzungsaufgabe einen Verlust der lokalen Identitäten und des sogenannten ‚Sense of Place‘, ihres kulturellen Erbes und lokalen ökologischen Wissens.“ Selbst vereinzelte Hinweise auf ein erhöhtes Einkommen durch naturnahen Tourismus schienen sich nicht zu verstetigen.
Darüber hinaus deuten viele Studien auf gemischte und positive Auswirkungen hin, insbesondere in Bezug auf Bodenbildung und Bodenschutz. „Die Ergebnisse weisen nicht nur in einer Richtung: Bei der Aufgabe von Landnutzung sind viele Faktoren – soziokulturelle wie ökologische – zu berücksichtigen, die nicht isoliert wirken“, erklärt Quintas-Soriano.
Zukünftige Anforderungen an Politik und Wissenschaft
„Die Landnutzungsaufgabe ist eine politische Herausforderung: Der Umgang mit ihr wird heftig diskutiert, sei es aufgrund der Sorge um den Verlust traditioneller landwirtschaftlicher und kultureller Landschaften, oder wegen möglicher Auswirkungen auf biologische Vielfalt und menschliches Wohlbefinden“, schließt Prof. Tobias Plieninger. In den meisten Studien und politischen Maßnahmen wird sie jedoch nach wie vor als rein landwirtschaftliches Problem behandelt.
Auch weil der Prozess der Landnutzungsaufgabe je nach soziokulturellem Kontext variiere, sei ein besseres Verständnis der Triebkräfte, Folgen und Spannungsfelder, aber auch von Ausmaß, Geschwindigkeit, verschiedenen Typen und Kontexten von ‚land abandonment‘ unerlässlich. Insbesondere eine Berücksichtigung der sozialen Dimension könne darüber hinaus zu einem besseren Verständnis seiner Auswirkungen auf künftige Generationen beitragen.
Vollständiges Paper:
Quintas-Soriano, C., Buerkert, A., Plieninger, T. 2022. “Effects of land abandonment on nature contributions to people and good quality of life components in the Mediterranean region: A review.” Land Use Policy, 116, 106053.
Kontakt:
Marie Curie Researcher, SocioECOS Lab
Universitad de Almería
cristina.quintas[at]ual[dot]es
Leiter des Fachgebiets Sozial-Ökologische Interaktionen in Agrarsystemen
Georg-August Universität Göttingen / Universität Kassel
plieninger[at]uni-goettingen[dot]de
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