Exkursion „Wendland“ 15.-17.6.2022
Das „Wendland“ liegt idyllisch am nordöstlichen Rand von Niedersachsen an der Elbe und ist von Landwirtschaft geprägt. Und: Von der jahrzehntelangen Auseinandersetzung um die zivile Nutzung der Atomkraft in Deutschland, die sich mit dem Namen des ehemals geplanten Endlagers im kleinen Ort Gorleben verbindet. Seit Mitte der 1990er sorgten die sogenannten Castorproteste (auch als „Tag X“ bekannt) fast jährlich für heftige Auseinandersetzungen mit Schienen- und Gleisblockaden und Präsenz von tausendköpfigen Polizeikräften. 2011 rollte der letzte „Castor“ mit hochradioaktivem Atommüll in das Zwischenlager Gorleben. Seitdem ist der Landkreis zwar ruhiger geworden, aber die mittlerweile historischen Proteste haben Spuren hinterlassen, die es bei der Exkursion zu erkunden galt. Jedes Jahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten (also auch 2022, kurz vor unser Reise) zelebriert das Wendland etwa die „Kulturelle Landpartie“, die bis heute die Szene vor Ort zu einer politisch-kulturellen Veranstaltungsreihe versammelt.
An zweieinhalb Tagen besuchten wir also diese für die deutsche Anti-Atomkraftbewegung, und damit für die Umweltbewegung, höchst symbolische Region und unternahmen auch einen Abstecher in den Kern der Biosphärenregion Niedersächsische Elbtalaue. Gespräche mit Aktivist*innen, Landwirt*innen, einer Landtagsabgeordneten und der Besuch des atomaren Zwischenlagers gaben inhaltliche Anstöße und Anlass für viele intensive Gespräche. Der Gasthof Meuchefitz, in dem die Exkursionsgruppe untergekommen ist, ist selbst ein Projekt, dass aus der Anti-AKW-Bewegung entstanden ist.
Hier haben Teilnehmende des Masterkurses ein paar ihrer Eindrücke von verschiedenen Stationen aufgeschrieben.
S. Köpke
Treffen mit Wolfgang Ehmke, BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg
Auftakt zu unserer Exkursion ins Wendland lieferte ein Gespräch mit Wolfgang Ehmke, Pressesprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg am Beluga-Dreieck, nahe dem Versuchsbergwerk Gorleben. Pointiert und anschaulich schilderte Herr Ehmke die Ereignisse der letzten 45 Jahre rund um die Antiatomkraftbewegung aus seiner Sicht. Er berichtete über verschiedene Begebenheiten während der Demonstrationen, die Siege, aber auch Niederlagen der Antiatomkraftbewegung, Herausforderungen, mit denen sich diese konfrontiert sah und sieht, begünstigende Faktoren für die Bewegung und die Bedeutung von breiten Netzwerken bei Bürgerinitiativen im Allgemeinen.
Anschließend sind wir zum eigentlichen Versuchsbergwerk Gorleben gegangen und haben uns dies von außen angeschaut. Während des kurzen Spaziergangs hatten wir die Möglichkeit, ganz privat das Gespräch mit Herrn Ehmke zu suchen und ihm auch einmal einige persönlichere Fragen zu stellen. Gesamt betrachtet lieferten die Gespräche mit Herrn Ehmke einen stimmungsvollen und sehr persönlichen Einstieg für unsere Exkursion zu dem Thema Soziale Bewegungen und kollektives Handeln.
M. Plodowski
Biohof Heike und Jürgen Lehmberg (Mitglieder „Bäuerliche Notgemeinschaft“)
Bei Biohof Heike und Jürgen Lehmberg handelt es sich um einen reinen Milchviehbetreib mit einer Herde von 150 Holstein Friesian auf einer Fläche von 150ha. Der Hof ist 1965 entstanden und wurde trotz Widerstand der älteren Generation im Zuge der Demonstrationen gegen das Atom-Endlager in Gorleben auf Bioland umgestellt.
Im Gespräch mit parallelem Hofbesuch haben Heike und Jürgen Lehmberg ihre Erfahrungen des Widerstands, als Teil der „Bäuerlichen Notgemeinschaft“ – eines informellen Zusammenschlusses gegen atomindustrielle Anlagen im Landkreis –, mit uns geteilt. Zu Anfangszeiten wurde der Protest beim wöchentlichen Stammtisch in der Kneipe koordiniert. Man sah sich in seiner Existenz bedroht, wollte sich nicht mit Bürokratie abgeben und fand sich durch die politischen Parteien schlecht bis nicht repräsentiert.
Sie erzählten von einer sehr bewegten und spannenden Zeit, in der Protest und Widerstand zum Alltag gehörten. Die Anekdote vom heimlichen Entführen des Traktors der Eltern, um an Aktionen der Notgemeinschaft mitzuwirken, ist sehr bezeichnend. Laut Lehmbergs stand die ältere Generation zu einem Großteil noch lange hinter der Atomkraft. Erst nach einiger Zeit und vielen Auseinandersetzungen konnten Teile vom Widerstand überzeugt werden.
Bei einigen der anderen Stationen, die wir besucht haben, wurde uns die Wirkmächtigkeit der bäuerlichen Beteiligung an den Protesten bestätigt. Durch die Teilhabe der Bäuer*innen war klar, dass die Widerständigkeit der Region sich quer durch die Gesellschaft zieht. Bilder von teilweise über 100 Traktoren prägten ab dann die Protestbilder um Gorleben.
T. Schneider
Besuch des Zwischenlagers Gorleben
Am Donnerstagvormittag haben wir das Zwischenlager für radioaktiven Müll in Gorleben besucht, das von der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) betrieben wird. Vor der eigentlichen Besichtigung des Zwischenlagers gab es im Informationshaus in Gorleben eine ausführliche Einführung und Diskussion mit Herrn Zielinski, dem Pressesprecher der BGZ. Der Fokus der Präsentation lag auf der Funktionsweise und Sicherheit von Castorbehältern und war trotz gelegentlicher Bezüge zu den Protesten und der Bürgerinitiative insgesamt recht technisch gehalten. Es wurde betont, dass die BGZ als ausführende Behörde lediglich den Willen des Gesetzgebers umsetzt und keine Bewertung politischer Entscheidungen vornimmt.
Das Zwischenlager selbst liegt etwas außerhalb des Ortes Gorleben und gliedert sich in zwei Bereiche, in denen hochradioaktive Abfälle wie Brennelemente bzw. schwach- und mittelradioaktive Abfälle gelagert werden. Aufgrund von Wartungsarbeiten konnten wir nur das Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle besichtigen. Hierbei handelte es sich um eine große Lagerhalle, in der in mehreren Buchten große Container und Rundbehälter übereinandergestapelt waren. Vor dem Betreten mussten wir durch eine Sicherheitsschleuse und wurden auch während des Besuchs von einem Wachmann begleitet. Gleichzeitig mit unserem Besuch fand auch ein Besuch des Zwischenlagers durch Kontrolleure der Internationalen Atomenergieorganisation statt, die regelmäßig unangekündigte Kontrollen durchführen.
Der Besuch des Zwischenlagers in Gorleben hat uns einerseits einen Eindruck davon gegeben, wie die Lagerung des radioaktiven Mülls vor Ort abläuft und andererseits die Abläufe aus der Innenperspektive einer Behörde aufgezeigt, die sich als Verwaltungseinheit versteht und nicht als Teil der politischen Sphäre.
T. Heckmann
Treffen mit Miriam Staudte, MdL (B‘90/GRÜNE im Niedersächsischen Landtag)
Nach einem kurzen Aufenthalt in Dannenberg inklusive Falafel-Teller und Toffee- Eistüte ging es für uns wieder zurück nach Meuchefitz. Im Gasthof trafen wir uns am Nachmittag mit der Politikerin Miriam Staudte, die seit 2008 Grünen-Abgeordnete im niedersächsischen Landtages ist. Dort ist sie stellv. Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Landwirtschaft und Atompolitik.
Zu Beginn des Gesprächs berichtete Frau Staudte über ihre Anfänge in der Kommunalpolitik. Die ersten Jahre bringt sie mit viel Frustration in Verbindung: „Wir konnten nur kritisieren und kontern, aber keine eigenen Entscheidungen einbringen. Das hat sich zum Glück geändert“. Im Anschluss ging es um die Anti-Atomkraft- Bewegung im Wendland und die Zusammenarbeit zwischen der Bürgerinitiative und der lokalen Politik. Laut Staudte gab es immer eine enge Zusammenarbeit zwischen den Bürgerinitiativen und der Politik: „Ohne die BI´s könnte man die politische Arbeit in dem Bereich nicht wirklich machen – Die BI´s wissen gut Bescheid, sind gut vernetzt und geben wertvolle Anregungen, um Themen in das Parlament mit einzubringen“.
Staudte berichtete, dass sie damals als parlamentarische Begleitung auf den Demos war. Die Castoreinsätze seien immer wieder von bürgerrechtswidrigen Eingriffen geprägt gewesen.
Anschließend ging es um landwirtschaftliche Themen wie die Reduktion der Tierzahlen in der Schweinehaltung oder das Spannungsfeld zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft. Insgesamt empfanden wir, als Kurs, das Gespräch mit Frau Staudte sehr ehrlich und bereichernd.
A. John
Niederhoff Hofstelle 38
Die Niederhoff Hofstelle 38 ist ein Teil des Biosphärenreservates Niedersächsische Elbtalaue und der Arche-Region Flusslandschaft Elbe. Da gibt es eine Landschaft, wie sie heute die Leute in Mitteleuropa kaum mehr kennen. Es gibt Konik-Pferde und Heckrinder, die in den weiten Weidelandschaften der Sudeniederung leben. Die Tiere bewegen sich frei zwischen Wald und Offenland. Außerdem gibt es wertvolle Nahrungsflächen für den Weißstorch und Wiesenbrüter.
C. Meeder