12.06.2024 | Studium

Agrar-Umwelt-Governance zwischen Kooperation und Konflikt

Exkursion in die Niederlande

Die diesjährige Exkursion des Moduls „Agrar- und Umweltgovernance“ im Bachelorstudiengang Ökologische Landwirtschaft ging in die Niederlande. Unsere westlichen Nachbarn sind bekannt für ihren intensiven und hochproduktiven exportorientierten Landwirtschaftssektor; aus dem negative ökologische und soziale Konsequenzen resultieren, die  auch für die Einhaltung von EU-Auflagen im Umweltbereich ein Problem darstellen. Thema der Exkursion war, wie Governance von Agrarbiodiversität gelingen kann, da die Niederlande – anders als in Deutschland – einem besonderen Modell folgen: Etwa 40 Agrarkollektive, die das gesamte Gebiet der Niederlande unter sich aufgeteilt haben, organisieren die Agrarumwelt- und klimamaßnahmen, die aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU finanziert werden. Die Agrarkollektive, selbst Eigentum der landwirtschaftlichen Betriebe, fungieren als Mittler zwischen einzelnen Betrieben und den Provinzregierungen, die die Finanzmittel bereitstellen.

Unsere Exkursionsgruppe bestand aus 10 Studierenden, einer Doktorandin des Fachgebiets Internationale Agrarpolitik und Umweltgovernance und dem Exkursionsleiter. Mit zwei Kleinbussen des Fachbereichs Ökologische Agrarwissenschaften starteten wir am Morgen des 27. Mai 2024 gen Westen.

Erstes Ziel war der Mutterschafbetrieb „Landerije De Bunte“ in der Nähe von Hengelo (Provinz Overijssel). Hier empfing uns Corney Niemeyer, der Vorsitzende des Agrarkollektives Mittlere Overijssel, und gab eine Einführung in das System des kollektiven Agrarumweltmanagements (Agrarisch Natuur- en Landschapsbeheer, ANLb) und erläuterte, wie er auf seinem Pachthof extensive Weidehaltung betreibt. Er betonte die gesellschaftliche Verantwortung der Landwirtschaft – nicht nur für die Lebensmittelproduktion, sondern auch für die Bewahrung der Natur. Da ökologische Landwirtschaft in den Niederlanden noch viel stärker ein Nischenmarkt als in Deutschland ist, versucht man über das spezifisch niederländisches Konzept der „naturinklusive Landwirtschaft“ konventionelle und ökologisch wirtschaftende Landwirte in den Agrarkollektiven zu integrieren.  Naturinklusiv ist keine Zertifizierung, sondern beschreibt eine Agrarwirtschaft, die „die Grenzen der Natur respektiert“ – ein Konzept, dass es aus unserer Sicht gegenüber der ökologischen Landwirtschaft an Schärfe vermissen lässt.

Nach dem gelungenen Auftakt fuhr die Gruppe weiter in die Jugendherberge Nahe Deventer am Rande der Provinz Gelderland. Hier ging mit einem kurzen Dokumentarfilm zum Thema „Saatgut“ der Tag zu Ende.

Am zweiten Tag der Exkursion stand als erstes die Universität Wageningen auf dem Programm. Die große agrarwissenschaftliche Hochschule beeindruckt durch einen ausgedehnten, modernen Campus. Hier gab uns Judith Westerink, eine renommierte Forscherin mit Schwerpunkt Agrarbiodiversitätsgovernance, eine vertiefende Vorlesung zum Thema. Sie beschrieb anschaulich die Notwendigkeit für koordiniertes Handeln – aufgrund des Rückgangs von u.a. Insekten- und Wiesenvögelpopulationen in den Niederlanden, die mit der intensiven Landwirtschaft ursächlich zusammenhängen. Ihre Forschung befasst sich auch mit den soziologischen Aspekten der Agrarumweltgovernance und nimmt die Rolle von Vermittlern und von sozialem Kapital dabei in den Fokus.

Nächster Anlaufpunkt war ein ökologischer Gartenbaubetrieb am Rande Wageningens. Auf lediglich einem Hektar betreibt „De Ommuurde Tuin“ Gemüsebau für eine solidarische Landwirtschaft und einen kleinen Laden. Zudem ist der Garten auch ein idyllischer Ort der Begegnung. Esther berichtete uns auf dem Rundgang von ihren Freuden und Sorgen mit Zwischenfrüchten und Beikräutern, Schnecken und Eichhörnchen und verwies stolz auf die mehr als 400 Sorten, die der Betrieb produziert – von Kopfsalat und Zucchini über Grünkohl bis hin zu grünem Spargel. Der Betrieb benutzt keinen Dung von Nutztieren – aber die Resultate menschlicher Notdurft aus der Trenntoilette kommen teilweise zum Einsatz, wenn auch nicht in den Gemüsebeeten. Es blieb der Eindruck, dass der Betrieb mit viel Arbeit und Einsatz seine Nische gefunden hat.

Hans Veurink stellte uns als nächstes das collectief BoerenNatuur Veluwe“ vor und ergänzt unsere Eindrücke vom „niederländischen Modell“ des Agrarumweltmaßnahmenmanagements. 11.000 Betriebe sind landesweit den Agrarkollektiven angeschlossen und setzen die Maßnahmen um – allerdings auf verhältnismäßig wenig Fläche. Die angewandten Strategien kommen auf offenem Grünland, Ackerbauflächen, in bewaldeten Gebieten und in Fließgewässern zum Tragen. Zehn Zielarten werden besonders geschützt, dieses soll aber zahlreichen anderen Arten ebenfalls zugutekommen. Veurink erläutert, wie die Verträge mit landwirtschaftlichen Betrieben und der Provinz zustande kommen, wie Ergebnisse überwacht und dokumentiert werden. Laut Veurink hat das kollektive Modell, das seit 2016 in Kraft ist, erhebliche Vorteile, weil es zielgerichtetere Agrarumweltmaßnahmenplanung erlaubt und gleichzeitig Verwaltungskosten erheblich reduziert. Auf den ersten Blick ein Erfolgsmodell: Das collectief Veluwe ist von 328 angeschlossenen Betrieben im Jahr 2016 auf 895 im vergangenen Jahr angewachsen. Jedoch ist die Nachfrage höher als das Budgets für die Maßnahmen, sodass es nach wie vor mehr Anreize und Budget geben müsste, um Betrieben ökologisch nachhaltigeres Wirtschaften zu ermöglichen.

Der dritte und letzte Tag der Exkursion widmete sich den Themen Politik und Verwaltung. Hierzu ein wichtiger Hintergrund: Die niederländischen Bauernproteste im Jahr 2021 führten zum Entstehen einer neuen Partei, der populistisch/sozialkonservativen BürgerBauernBewegung (BBB), die sich gegen die Agrarpolitik der Regierung und auch gegen Umweltauflagen der EU wendete. Stein des Anstoßes war hier vor allem die sogenannte Stickstoffkrise, die die letzte Regierung durch Viehreduzierung und damit teilweise auch durch Stilllegung von Höfen bezwingen wollte. Seit den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr ist die Partei nun auch in der zweiten Kammer der Generalstaaten (vergleichbar dem Bundestag) vertreten. Nach mehrmonatigen Verhandlungen bildete sich nun dieser Tage eine Regierungskoalition aus der rechtspopulistischen bzw. rechtsextremen PVV, der ebenfalls neuen Partei NSC und der bisherigen Regierungspartei, der rechtsliberalen VVD sowie der BBB als kleinsten Koalitionspartner. Wir haben mehrfach gehört, dass in den letzten Monaten erhebliche Unsicherheit in Bezug auf die neue agrarpolitische Linie entstanden sei – es sei noch nicht klar, was weiter gefördert werden soll, welche politischen Forderungen umgesetzt würden.

In Arnhem besuchten wir das Haus der Provinz Gelderland. Gelderland ist übrigens die flächenmäßig größte und eine der reichsten Provinzen des Landes. Die Provinzen sind Untergliederungen wie unsere Bundesländer, aber mit weniger Kompetenzen ausgestattet. Wir wurden von den Mitarbeiterinnen aus dem Stab der Abteilung International & Public Affairs herzlich willkommen geheißen. Die Gruppe durfte das moderne Verwaltungsgebäude begutachten und den Versammlungssaal der Provinzialstaaten (des Regionalparlaments) besichtigen. Nachmittags gab es eine Diskussion mit dem Provinzminister für Landwirtschaft, Harold Zoet von der BBB, der seine Sicht auf die notwendigen agrarpolitischen Maßnahmen darlegte. Vorträge über Agrarumweltprojekte der Provinz sowie über deutsch-niederländische Zusammenarbeit im Umweltsektor rundeten den Besuch ab. Es entstand der Eindruck, dass in den Niederlanden, nicht nur, aber auch im Politikfeld Agrarpolitik, zur Zeit eine unüberschaubare Dynamik vorherrscht. Wie sich einer der Vortragenden ausdrückte: „Es sind interessante Zeiten für Verwaltungswissenschaftler – nicht so sehr für Landwirte…“

Nach einem Kurzbesuch im Nationalpark Veluwezoom endete das Programm der Exkursion. Mit vielen Eindrücken wurde die mehrstündige Heimfahrt angetreten, die durch Starkregen noch etwas in die Länge gezogen wurde.

Vorläufiges Fazit: Die Niederlande sind aus agrarpolitischer Sicht ein hochinteressanter Untersuchungsgegenstand. Die europäische Dimension des Themenkomplex Landwirtschaft und Artenschutz ist überaus deutlich geworden. Der organisatorische Aufwand für eine dreitägige Auslandsexkursion – wenn auch ins nahe Ausland – ist nicht zu unterschätzen. Nichtsdestotrotz sind Fachexkursionen von Modulen ein wunderbarer Weg, theoretische Gegenstände anschaulich zu machen und außerhalb des Seminarraums miteinander ins Gespräch zu kommen.

Sören Köpke