Kleine Souveränität. Personale Herrschaftsformen des Alltags und ihre Darstellung im hispanoamerikanischen Roman des 20. und 21. Jahrhunderts

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Welche Idee liegt dem Projekt zu Grunde?

Wie aktuell und immer wieder zu beobachten ist, florieren in Krisenzeiten politische oder wirtschaftliche Bestrebungen, die Machtstrukturen von Staaten unterwandern oder gar auf Dauer gefährden. Dies lässt sich zum Beispiel anhand des Erfolgs populistischer Parteien im Kontext von modernen Wahldemokratien beobachten. Aber ebenso wird seit geraumer Zeit diskutiert, inwiefern die wirtschaftliche Globalisierung den Einfluss staatlicher Instanzen zurückdrängt.

Warum Lateinamerika?

Mit Blick auf Lateinamerika lassen sich solche Tendenzen wie in einem Brennglas beobachten: In dieser Weltregion sind mit die höchsten Raten sozialer Ungleichheit zu verzeichnen. Politische wie gesellschaftliche Krisen (soziale Notstände, Proteste, Kriminalität) sind an der Tagesordnung. Gleichzeitig stehen lateinamerikanische Länder durch ihren Reichtum an Rohstoffen im Fokus internationaler Wirtschaftsinteressen, die aber von diesen Ländern aus verschiedenen Gründen selbst eher selten für den Wohlstand der eigenen Gesellschaften genutzt werden. Im Kontext von Klimakrise, massiv ansteigenden Lebenserhaltungskosten und neuem Autoritarismus wird man auch in Europa die genannten Tendenzen Lateinamerikas aufmerksam beobachten.

Podcast "Fabulari"

Benjamin Loy & Jan-Henrik Witthaus (2023): Fiktionen von Alltagsherrschaft. Jan-Henrik Witthaus über das Kasseler DFG-Projekt „Kleine Souveränität“. Episode 32 des Wissenschaftspodcasts fabulari der Universität Wien, 29. Juni 2023.

​​​​​​​Was heißt ‚kleine Souveränität‘ und warum ist Erzählliteratur in diesem Zusammenhang von Interesse?

Im Projekt wird anhand hispanoamerikanischer Erzählliteratur gezeigt, dass in einem Kontext von gesellschaftlichen Notlagen, Ungleichheiten und schwachen politischen Institutionen die kleine Souveränität Teil der alltäglichen sozialen Anschauung ist. Mit ‚kleiner Souveränität‘ sind Herrscher:innen des Alltags gemeint, die in ihren zunächst überschaubaren Wirkungsfeldern den Einfluss staatlicher Macht und Kompetenzen zurückdrängen. Als Archiv gesellschaftlicher Erfahrung stellt die Erzählliteratur ein geeignetes Medium dar, solche Vorgänge auf verschiedenen Ebenen zu verdichten.

Was haben wir uns vorgenommen?

Im Zuge von Recherchen und Lektüren werden Konfigurationen alltäglicher Herrschaft sichtbar gemacht und analytisch beschrieben. Dies geschieht bezogen auf zwei Genres: Büroliteratur (a), und Literatur über Drogenkriminalität (b). Auf diese Weise entsteht ein umfangreiches Korpus an relevanten Texten sowie eine Sammlung von Beispielen, anhand derer sich in jener Weltregion präsente Muster politischer Traditionen anzeigen lassen, die allerdings für andere globale Kontexte von ebenso hoher Relevanz sind.

Kontakt

Projektleitung
Prof. Dr. Jan-Henrik Witthaus

Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Karolin Schäfer