Nora-Platiel-Preis für herausragende Masterarbeiten

Zur Förderung von Wissenschaftler*innen in einem früheren Karrierestadium schreibt der Verein zur Förderung von Wissenstransfer in Sozialrecht und Sozialpolitik e.V. den Nora-Platiel-Preis für herausragende Masterarbeiten (sowie Staatsexamensarbeiten) aus den Bereichen der Sozialpolitk, des Sozialrechts sowie den Gesellschaftswissenschaften aus. 

Der nach Nora Platiel benannte Preis soll herausragende Masterarbeiten (sowie Staatsexamensarbeiten der Lehramtstudiengänge) würdigen, die an

  • der Universität Kassel,
  • der Hochschule Fulda und
  • der Hochschule der Gesetzlichen Unfallversicherung in Bad Hersfeld
geschrieben worden sind. Die Arbeiten sollen in besonderem Maße sowohl wissenschaftliche Qualität wie gesellschaftliche Relevan aufweisen und beides verbinden.

Das Preisgeld beträgt 2.000 Euro. Der Preis ist teilbar.

Verfahren

Vorschlagsberechtigt sind alle Professorinnen und Professoren sowie wissenschaftlich Bediensteten der Universität Kassel, der Hochschule Fulda und der Hochschule der Gesetzlichen Unfallversicherung in Bad Hersfeld, die im Bereich Sozialpolitik, Sozialrecht und Gesellschaftspolitik Abschlussarbeiten betreuen sowie alle Mitglieder des Vereins zur Förderung von Forschung und Wissenstransfer in Sozialrecht und Sozialpolitik e.V.

Das Leben von Nora Platiel

Nora-Platiel wurde als achtes von zehn Kindern am 14.1.1896 in Bochum geboren. Die Eltern Therese und Bendix Block, liberale Juden, betrieben in der Bochumer Innenstadt ein Konfektionsgeschäft. Der Tod des Vaters 1915 stürzte die Familie in gravierende finanzielle Schwierigkeiten. Während der Zeit der Emigration in Paris lernte sie Gerhard Kumleben, Mitglied des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds (ISK), kennen. Die Beziehung zerbrach noch bevor der gemeinsame Sohn Roger 1934 zur Welt kam. 1943 heiratete sie in Montauban Hermann Platiel.

Nach dem Tod des Vaters half sie ihrer Mutter im Geschäft, das 1917 jedoch Bankrott ging. Im Anschluss an ihre freiwillige Arbeit beim internationalen Hilfskriegsdienst während des Ersten Weltkriegs und Tätigkeiten für Helene Stöcker und Elisabeth Rotten, absolvierte sie 1922 das Abitur in Berlin und studierte Jura. Ihr Ziel war es, Rechtsanwältin zu werden, um sich »für die Durchsetzung des Rechts in der Gesellschaft einzusetzen«. Frauenrechte, Sozialismus und Frieden gehörten zu ihren politischen Zielen. Nach dem ersten Staatsexamen 1927 und Referendariat am Landgericht Bochum bestand sie 1931 ihr zweites Staatsexamen. 1931 eröffnete sie als erste Anwältin ihre Kanzlei in Bochum. Sie war u.a. Strafverteidigerin in politischen Prozessen und arbeitete für die Rote Hilfe Deutschlands (RHD).

Seit ihrer Schulzeit war Nora-Platiel immer wieder antisemitischen Erfahrungen ausgesetzt. Als Jüdin, Sozialistin und einzige Frau unter den in Bochum zugelassenen Rechtsanwälten zog sie direkt die Aufmerksamkeit der Nationalsozialisten, insbesondere von Roland Freisler, auf sich. Die SS versuchte wiederholt, sie zu verhaften. Sie floh Anfang März 1933 nach Paris. Sie fand eine Stelle als Redaktionssekretärin bei der Exilzeitschrift das »Neue Tagebuch« und schrieb u.a. für »Cahier Juifs«. Weiterhin arbeitete sie für den ISK und an einem Weißbuch über Hitler-Deutschland. Von 1934 bis 1939 war sie bei der Firma Omnium Métallurgique tätig. Nach ihrer Internierung 1940 in Gurs und Flucht nach Montauban übernahm sie dort die Leitung eines Büros des CAR (Comité d’Assistance aux Réfugiés), welches vom Schweizer Arbeiterhilfswerk (SAH) unterstützt wurde. Später floh sie weiter in die Schweiz, wo sie weiterhin beim SAH beschäftigt war. Da in der Schweiz Flüchtlinge unerwünscht waren, entschloss sie sich 1949 zur Rückkehr nach Deutschland.

Der hessische Justizdienst stellte sie 1949 als Richterin ein und wies sie einer Wiedergutmachungskammer am Landgericht Kassel zu. 1951 wurde sie nach kurzer Tätigkeit am OLG Frankfurt Hessens erste Landgerichtsdirektorin. Zeitgleich begann Nora Platiel sich für die Gefangenen-Fürsorge in Kassel zu engagieren. In ihrem eigenen Wiedergutmachungsverfahren erhielt sie 1956, sieben Jahr nach der Anspruchsanmeldung, eine Entschädigung, die gerade einmal 20 Prozent dessen ausmachte, was sie mutmaßlich während der 16 Jahre Emigration – abzüglich ihres realen Einkommens in dieser Zeit – verdient hätte.

Ab 1954 wurde sie in drei aufeinanderfolgenden Legislaturperioden in den hessischen Landtag gewählt, sechs Jahre war sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. In dieser Funktion kämpfte sie u.a. gegen die drohenden Notstandsgesetze und setzte sich für eine Annäherung mit Israel ein. Daneben war sie u.a. Mitglied des Hessischen Staatsgerichtshofs und des Richterwahlausschusses. 1962 unterlag sie mit einer Stimme Abstand bei der Wahl für das Amt des Landtagspräsidenten. 1966 verließ sie den Landtag; sie war nach allgemeiner Ansicht die »beste Rednerin des Parlaments« und das »Gewissen des Landtags« gewesen.

Nora Platiel war 1918 in die »Deutsche Liga für Völkerrecht« eingetreten, 1922 in die SPD. Sie arbeitete im Internationalen Jugendbund (IJB). Sie engagierte sich im französischen Exil und auch später in jüdischen Hilfsorganisationen. Nach Auflösung des ISK trat sie der SPD wieder bei und übernahm mit der Zeit eine führende Rolle in der Kasseler SPD. Als Juristin nahm sie aktiv an den damaligen Diskussionen über die Benachteiligung von Frauen im Familien- und Arbeitsrecht teil. Immer wieder wies sie als Politikerin, Juristin und Betroffene vergeblich auf die ungenügende Entnazifizierung der deutschen Justiz und Politik hin.

Nora Platiel verstarb am 6.9.1979 in Kassel.

(Grundlage: Texte der Wanderausstellung „Jüdische Juristinnen und Juristinnen jüdischer Herkunft“, Deutscher Juristinnenbund e.V. [Hg.], 2019, S. 109-112)