Der Maschinenbau an der Gesamthochschule Kassel: „So werden heute Karrieren geschmiedet, wo früher Kanonen gegossen wurden.“
Welcher glückliche Zufall führte dazu, dass die Universität Kassel heute ihren Hauptcampus im Stadtzentrum hat? Welche europäische Bildungsreform hat die Gesamthochschule Kassel bei der Einführung der ingenieurwissenschaftlichen Diplom-Studiengänge vorweggenommen? Und inwiefern ist der Maschinenbau Teil der Campus-DNA und damit untrennbar mit der Universität Kassel verbunden? Diese Fragen beantworten wir im dritten Teil unserer Kurzserie zur Geschichte des Maschinenbaus in Kassel.
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1971 wurde die Gesamthochschule Kassel (GhK) als erste Reformuniversität Deutschlands gegründet. In diesem Prozess wurden bereits bestehende Bildungseinrichtungen, darunter auch die beiden Ingenieurschulen für Bauwesen und Maschinenwesen, eingegliedert. Da noch kein zentraler Campus existierte, wurden zunächst die bestehenden Räumlichkeiten der Vorgängereinrichtungen weiter genutzt. Parallel dazu wurde ab 1971 das Aufbau- und Verfügungszentrum (AVZ) in Oberzwehren gebaut, wo noch heute die drei Fachgebiete für Arbeits- und Organisationspsychologie, Projektmanagement sowie Qualitäts- und Prozessmanagement angesiedelt sind. Auf einem anliegenden ehemaligen Truppenübungsgelände sollte auch der Hauptstandort der neuen Universität entstehen. Dieser Plan wurde jedoch verworfen, nachdem die Firma Henschel 1972 ihr Werksgelände am Holländischen Platz aufgegeben hatte und diese Fläche den Bau eines zentralen Campus ermöglichte. In den nächsten Jahren wurden viele der ehemaligen Fabrikhallen abgerissen und durch Neubauten ersetzt, die jedoch mit ihren gemauerten Fassaden an die Industriearchitektur der alten Henschelei erinnern. Insbesondere die Gebäude des Fachbereichs Maschinenbau prägen das Gesicht des Campus bis heute: Das Gießhaus als Baudenkmal der Industriezeit, das Sophie-Henschel-Haus, das alte Fassade mit einer neuen Innenstruktur verbindet, und das futuristische Gebäude Technik III/2, auf dessen Dach heute Bienen gezüchtet werden.
Die GhK beschritt jedoch nicht nur architektonisch neue Wege, sondern auch in der Art der Ausgestaltung ihrer akademischen Abschlüsse. So wurde für die Ingenieurwissenschaften ab 1975 ein innovatives, zweiphasiges Diplom-Studium eingeführt, welches an Technischen Hochschule und Universitäten bisher nicht angeboten worden war. Dieses „Kasseler Modell“ orientierte sich grob an dem angelsächsischen Bachelor- und Mastersystem und sah die beiden aufeinander aufbauenden, berufsqualifizierenden Abschlüsse Diplom I und Diplom II vor. Als im Zuge der Bologna-Reform schließlich alle deutschen Universitäten auf das Bachelor-/Mastersystem umstellten, konnte die Universität Kassel bereits auf viele Jahrzehnte einer sehr ähnlichen Studienstruktur zurückblicken.
Gerade die Ansiedelung des Campus der Universität Kassel auf dem ehemaligen Henschelgelände (heute der Campus Holländischer Platz) und die Innovationskraft des Fachbereichs Maschinenbau werden heute als Glücksfall von großer symbolischer Bedeutung gesehen. So konstatiert etwa Heinz Schmidt:
Text Daniel Koch
Quellen
Ickler, Gerhard (2012): Ein Industriegebiet wird zum Hochschulcampus. Zur Baugeschichte der jungen Kasseler Universität. In: Annette Ulbricht (Hg.): Henschel, Gottschalk & Co. Die industrielle Vorgeschichte des Campus Holländischer Platz der Universität Kassel. Kassel: Kassel Univ. Press, S. 76–86.
Kleinkauf, Werner (1996): Gestalten oder nachvollziehen? Aspekte zur Entwicklung der Ingenieurwissenschaften an der GhK. In: Annette Ulbricht-Hopf (Hg.): ProfilBildung. Texte zu 25 Jahren Universität Gesamthochschule Kassel. 1. Aufl. Zürich: vdf Hochsch.-Verl. an der ETH (Kasseler Semesterbücher Reihe Studia cassellana), S. 179–190.
Schmidt, Heinz (2012): Ein Unternehmen von "Weltgeltung". Chronik der Firma Henschel und ihres Stammsitzes am Holländischen Platz. In: Annette Ulbricht (Hg.): Henschel, Gottschalk & Co. Die industrielle Vorgeschichte des Campus Holländischer Platz der Universität Kassel. Kassel: Kassel Univ. Press, S. 13–49.