Mehr zur Psychoanalyse
Darüber hinaus ist es für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer entscheidend, komplexes und oft auf Anhieb nur schwer verstehbares Verhalten von Kindern und Jugendlichen, als Ausdruck ungelöster entwicklungsspezifischer unbewusster Wünsche und Konflikte zu entschlüsseln versuchen. Dies ist Voraussetzung, um „schwierige Kinder und Jugendliche“ oder Aufwachsende in Krisen mit dem Bildungsangebot zu erreichen, statt sie zu stigmatisieren oder sogar von Lerngemeinschaften auszuschließen. Der individuelle, verstehende Blick der Psychoanalyse auf einzelne Kinder und ihre (traumatische) Lebensgeschichte, hat über Jahrzehnte die subjektsensible Pädagogik (Ariane Garlichs) in fruchtbarer Weise ergänzt und bereichert. Das Kasseler Schülerhilfeprojekt, von Erziehungswissenschaftlerinnen und Psychoanalytikerinnen getragen, ist zu einem nationalen und internationalen Modellprojekt geworden und hat, zusammen mit dem Studienprogramm „Konfliktberatung für PädagogInnen“ Generationen von zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern zu einer spezifischen Professionalität im Umgang mit anspruchsvollen pädagogischen Situationen verholfen.
Die Wurzeln der Einbeziehung der Psychoanalyse in die Lehramtsausbildung wurden bereits vor 50 Jahren gelegt. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich war einer der ersten, der nach Krieg und Nationalsozialismus ein neues Bildungsverständnis in Deutschland forderte und zusammen mit dem damaligen hessischen Bildungsminister, Ludwig von Friedeburg erkannte, dass dabei die Lehramtsstudiengänge an der neu gegründeten Gesamthochschule in Kassel (GhK) eine zentrale Rolle spielen könnten. Eine „Erziehung nach Auschwitz“ (Adorno) war ohne ein Wissen um die dunklen, unbewussten Seiten des Menschen und ihrer Verstrickungen, Verführungen und Gefahren undenkbar. Von den ursprünglich drei Professuren für Psychoanalyse in der Lehramtsausbildung wurde erwartet, dass sie im interdisziplinären Dialog mit Erziehungswissenschaftlern, Philosophen und Theologen dazu beitragen, die Schatten der (nationalsozialistischen) Vergangenheit auf Bildungsprozesse in Deutschland zu erkennen und ihnen gemeinsam entgegenzuwirken. In Ringvorlesungen und gemeinsamen Forschungsprojekten am FB 01 wurde dieses gemeinsame Anliegen interdisziplinär verfolgt.