DFG Projekt 2020/2024:
Forschungsteam: Prof. Dr. Westphal, Manuela; Korn, Franziska; Dr. Li-Gottwald, Jiayin; Aden, Samia
Mit der Zunahme von Fluchtzuwanderung stand zunächst der Handlungsdruck für Aufnahme und Integration von Geflüchteten im Vordergrund von Forschung und Praxis. Dabei sind familiäre Beziehungen und neue Fragen für Erziehung, Bildung und Sozialisation in Familien bislang ausgeklammert worden. Sowohl in der Migrations- als auch in der Familienforschung fehlen Erkenntnisse zu familiären Generationsbeziehungen, Familien- und Elternschaftskonzepten und Erziehungspraktiken im Kontext von Flucht und Asyl. Befunde zu (transnationaler) Familienerziehung in anderen Migrationsgruppen in Deutschland können jedoch u.a. aufgrund von dominanten aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen, aber auch einer postkolonialen Rahmung und Rassismus, nur sehr eingeschränkt auf geflüchtete Familien übertragen werden. Das Vorhaben nimmt Familie und Erziehung im Kontext von Flucht und Asyl in Deutschland am Beispiel geflüchteter Familien(mitglieder) aus Somalia in den Blick. Untersucht wird, mit wem und wie familiäre Beziehungen und Erziehungspraktiken hergestellt, re-organisiert und ausgehandelt werden. Im Fokus des Erkenntnisinteresses steht der durch Flucht- und Asylverfahren ausgelöste Wandel und die Dynamik von familiären Generationenbeziehungen auf verschiedenen Ebenen der Herstellung von Familie. In Anschluss an eine Theorie der Familienerziehung soll das Interdependenzgefüge zwischen erweiterter Generationenbeziehung, Flucht-/Asylerfahrungen und Transnationalität für Familienerziehung analysiert und systematisiert werden. Hierfür wird auf die Heuristiken doing and displaying family zurückgegriffen. Erfasst werden (1) Familienstrukturen sowie Art und Dichte erweiterter Familienbeziehungen und –praktiken, (2) Familienbilder und symbolische Repräsentationen von Familie und Erziehung, (3) transnationale Familieninteraktionen und (4) Reflexionen von Familienerziehung. Für die Forschung ist ein Mixed-Methods-Designs vorgesehen. Verschiedene Methoden werden schrittweise und miteinander kombiniert eingesetzt, eigens forschungsethisch reflektiert und in eine gemeinsame rekonstruktive Auswertungsstrategie integriert. Ziel des Vorhabens ist es, zur weiteren Entwicklung und Systematisierung einer Theorie der Familienerziehung beizutragen, um die bisherige Engführung und Normativität in der Betrachtung von Familienstrukturen und Familienerziehung zu überwinden und migrationsgesellschaftliche Realität in Theorie und Empirie abzubilden. Indem westlich-normative Konzepte von Familienerziehung und stereotype Verallgemeinerungen über „die geflüchtete“ oder die „afrikanische Familie“ hinterfragt sowie Ressourcen und Belastungen in transnationalen, erweiterten Generationsbeziehungen genauer verstanden werden, soll zudem ein Beitrag zur Überwindung des methodologischen Nationalismus in Praxiszusammenhängen geleistet werden.