Evaluation Trainingscamp

"Evaluation des Trainingscamps Lothar Kannenberg", finanziert durch das Hessische Sozialministerium und den Verein Durchboxen im Leben e.V. [2008 – 2012]

Projektleiter

  • 2008 – 2011 Prof. Dr. Michael Galuske (†)
  • 2011 – 2012 Prof. Dr. Mark Schrödter

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

  • Andreas Böhle

Studentische Mitarbeiter:innen

  • Martin Grosse
  • Maximilian Schäfer
  • Natalie Schmid
  • Will van den Berg

Das Projekt

Das Trainingscamp Lothar Kannenberg ist eine Einrichtung der stationären Hilfen zur Erziehung, die 2004 ihre Arbeit mit besonders herausfordernden, gewaltaffinen jungen Menschen aufgenommen und sich dem Ziel verschrieben haben, mit diesen Jugendlichen in einem verbindlich strukturiertem Setting für eine begrenzte Zeit daran zu arbeiten, konstruktive Formen sozialer Konfliktlösung zu erlernen. Hierzu wird eine Tagesstruktur mit verschiedenen Elementen sportlicher Aktivität, Reflexion sowie Ordnungs- und Hygieneeinheiten vorgegeben, die gemeinsam von PädagogInnen und Jugendlichen praktiziert werden.


Besondere Aufmerksamkeit erlangte das Trainingscamp im Rahmen des hessischen Landtagswahlkampf durch die CDU propagiertes "angemessenes Mittel" gegen Jugendkriminalität, sowie durch zahlreiche mediale Darstellungen der Einrichtung. Die medialen Inszenierungen lösten sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Fachkreisen kontroverse Debatten über "Erziehungscamps" aus. Diese wurden zumeist aufgeregt und ideologisch geführt. So formuliert Galuske zum Auftakt der Evaluation des Trainingscamps: "Es redet jeder über Erziehungscamps, aber an keiner Stelle ist bislang die Mühe beobachtbar zu klären, was denn überhaupt unter einem Erziehungscamp zu verstehen ist: Geschlossene oder offene Einrichtungen? Eigenständiges Erziehungskonzept oder Bootcamp light? Militärischer Drill oder Orientierung gebende Struktur und Ordnung, permanente körperliche Überforderung oder körperorientierte Erziehung mit Hilfe von Sport?" (Galuske 2008, S. 234)


Die Beseitigung dieser Unschärfe ist eines der zentralen Anliegen des Evaluationsprojekts, das folgende Ziele beinhaltet:


  1. Dokumentation, Aufarbeitung und Darstellung des Konzepts des Trainingscamps
  2. Analyse von angestrebten Wirkungen sowie unbeabsichtigten Nebenwirkungen und deren Wirkungsmechanismen,
  3. Untersuchung von Entwicklungsverläufen der Adressaten während des Aufenthalts im Trainingscamp und im Anschluss.

In der ersten Phase der Evaluation wurden umfangreiche Dokumentenanalysen durchgeführt mit dem Fokus auf die sozio-strukturellen Daten der Adressaten des Trainingscamps auf Basis der Einrichtungsakten sowie auf deren kriminelle Verläufe anhand der Daten des Bundeszentral- und Erziehungsregisters. Die Ergebnisse dieser ersten Phase der Evaluation finden sich im ersten Zwischenbericht. Darüber hinaus konnten in der ersten Phase des Forschungsprojekts bereits erste Ergebnisse aus den begleitenden Leitfadeninterviews mit den Adressaten zu ihren Erfahrungen und Deutungen der unterschiedlichen Aspekte des Aufenthalts beleuchtet werden, die in der Folgezeit als Kern der Evaluation ausführlich zum Untersuchungsgegenstand gemacht wurden. Die Analysen der Interviews mit den Adressaten weisen eine hohe biographische Brüchigkeit in den wesentlichen Sozialisationsfeldern Familie, Schule, Jugendhilfe und Peers auf. Die Erfahrungen der jungen Menschen sind oftmals geprägt von inkonsistentem Erziehungsverhalten und der Deutung einer latenten Unsicherheit ihrer Lebensführung. Viele der Jugendlichen mussten bereits in jüngsten Jahren wiederkehrende Missachtungserfahrungen machen und gewaltförmige Erziehungsmethoden erleiden. Ihre Biographien lassen sich als typische "Gewaltkarrieren" (Sutterlüty) identifizieren. Aufgrund der Biographien und der Ergebnisse der Aktenanalyse der ersten Phase der Evaluation kann festgehalten werden, dass die Zielgruppe des Trainingscamps besondere Herausforderungen an eine pädagogische Arbeit stellt, da sie als argwöhnisch gegenüber erzieherischen Bemühung und der Aufrichtigkeit und dem Sinn von Hilfeangeboten erscheint und auf pädagogische Angebote mit Entzug oder aggressiver Abwehr reagieren. Die Deutungen insbesondere der Adressaten über ihre Erfahrungen im Trainingscamp, aber auch die Erzählungen der PädagogInnen, geben Aufschluss über die sozialen Praxen und die konzeptionellen Annahmen und Wirkungsweisen des Erziehungsprogramms des Trainingscamps. Auf Grundlage der Erzählungen der Akteure und ergänzender teilnehmender Beobachtungen des Forschungsteams im Einrichtungsalltag ist es gelungen, die Phänomenbereiche


  • der Sanktionspraxis,
  • der pädagogischen Beziehung und
  • der sportlichen Aktivität

zu rekonstruieren und deren komplexe Verflechtungen analytisch zu betrachten.

[siehe auch hier]

Schrödter, Mark 2018. Sind Strafen pädagogisch legitimierbar? Das Beispiel der Strafliegestütze. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, Bd. 94, Nr. 2, 313–330.

Böhle, A./Schrödter, M. 2015. Fight fire with fire? – Riskante Handlungspraxen im Umgang mit jugendlichen Gewalttätern in der stationären Hilfe zur Erziehung. In: Dollinger, B./Groenemeyer, A./Rzepka, D. (Hrsg.) Devianz als Risiko. Weinheim: Juventa. 287–303.

Böhle, A./Schrödter, M. 2014. Körper und Sport in der Arbeit mit besonders herausfordernden Jugendlichen am Beispiel des Boxens. In: Sozialmagazin, Bd. 39, Nr. 1-2, 46–53.

Böhle, A./Grosse, M./Schäfer, M./Schrödter, M./van den Berg, W. 2014. Abschlussbericht der Evaluation des Trainingscamps Lothar Kannenberg. Kassel: Universität Kassel. doi:10.13140/RG.2.2.30175.76962/2.

Schäfer, M. 2013. Devianzmarkierung und Positionszuweisung. Reaktionen auf das Sanktioniert-Werden in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung. In: Kriminologisches Journal, Bd. 45, Nr. 2, 103–125.

Böhle, A./Grosse, M./Schrödter, M./van den Berg, W. 2012. Beziehungsarbeit unter den Bedingungen von Freiwilligkeit und Zwang. In: Soziale Passagen, Bd. 4, Nr. 2, 183–202. doi:10.1007/s12592-012-0117-z.

Böhle, A./Grosse, M./Schrödter, M./van den Berg, W. 2011. "Pädagogen sind für mich die größten Opfer…" Aufbau von Arbeitsbündnissen in Zwangskontexten. In: Der Pädagogische Blick, Bd. 19, Nr. 3, 132–147.

Galuske, M./Böhle, A. 2010. Evaluation des Trainingscamps Lothar Kannenberg – Erste Befunde zu Delinquenzverläufen der Klienten vor und nach der Maßnahme. In: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, Bd. 21, Nr. 1, 52–61.

Böhle, A./Galuske, M. 2010. Das Trainingscamp Lothar Kannenberg, Jugendhilfe mit „schwierigstem“ Klientel – ein Erfolgsmodell? In: Bewährungshilfe. Soziales - Strafrecht - Kriminalpolitik, Bd. 57, Nr. 4, 391–409.

Galuske, M./Böhle, A. 2009. "Am Anfang habe ich gedacht, ich will mich nicht verändern." Entwicklungsverläufe der Klienten vor, während und nach dem Trainingscamp. Erster Zwischenbericht der Evaluation des Trainingscamps Lothar Kannenberg. Kassel: Universität Kassel. doi:10.13140/RG.2.2.36808.01280.

Galuske, M. 2008. „Erziehungscamps“ zwischen Dichtung und Wahrheit – Über die Schwierigkeiten von Evaluationen in „vermintem“ Gelände. In: Forum Erziehungshilfen, Nr. 4, 235–242.