Wir nehmen Interaktionen unter die Lupe!
Durch den Bezug zur Leibphänomenologie von Maurice Merleau-Ponty wird die
Videohermeneutik erweitert und dem besonderen Gehalt von visuell-leiblichen
Verhaltensäußerungen in Interaktionen Rechnung getragen. Das Fachgebiet leistet einen
Beitrag zur Weiterentwicklung des interpretativen Paradigmas, indem neue Formen von
Intentionalität, wie diejenige der leiblichen Habitualität, für die Phänomenologie fruchtbar
gemacht werden. Es wird dadurch möglich, über das klassische Interaktionsmodell von zwei
menschlichen Akteuren sowie die Beschränkung auf ihre Bewusstseinsinhalte hinauszugehen.
Dieser Ansatz eignet sich deshalb verstärkt für die Analyse von weniger-als-bewussten
Gewohnheiten sowie von materiellen und leiblichen Funktionszusammenhängen von
Menschen, Technik und Tieren.
Gewohnheiten und Transformation
Gewohnheiten sind nicht nur gut oder schlecht, sondern vermitteln Haltungen zur Welt, die
uns nicht bewusst sind, die aber dennoch Wirkung haben. Sie stabilisieren Gesellschaft und
schaffen soziale Ordnung. Es geht darum, die Perspektive auf das Konzept Gewohnheit zu
verändern und zu zeigen, dass sie allgegenwärtig sind. Die Kenntnis von Gewohnheiten ist die
Voraussetzung für Transformation und die Bewältigung gegenwärtiger gesellschaftlicher
Krisen. Das Fachgebiet arbeitet daran, Gewohnheiten sichtbar zu machen. Dafür werden
Akteure im Alltag und bei der Arbeit begleitet, es werden Beobachtungsprotokolle erstellt und
ausgewählte Interaktionen mit Video aufgenommen. Ein besonderer Forschungsschwerpunkt
des Fachgebiets ist die Untersuchung von religiösen Gemeinschaften. Es wird analysiert, wie
Gewohnheiten zur Vergemeinschaftung und Identitätsstiftung in evangelikalen Freikirchen
beitragen.
Mensch-Tier- und Mensch-Technik-Verhältnisse
Aktuell werden Tiere und Technik dem Menschen gleichgesetzt und ihre Handlungsfähigkeit
als ebenbürtig betrachtet. Die Historikerin Barbara Duden hat prominent vorgeführt, dass
Vermenschlichung immer mit der Kodierung in männlich und weiblich einhergeht. Dies gilt
auch für Tiere und Technik, wenn sie anthropomorphisiert werden. Im Fachgebiet werden
zahlreiche Aspekte der Mensch-Tier- und Mensch-Technik-Verhältnisse untersucht. Dazu
gehört die Computerisierung des Operationssaals ebenso wie die Anthropomorphisierung von
Sex-Puppen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den Care-Prozessen in Mensch-Tier-
Interaktionen. Die Analyse des leiblichen Funktionszusammenhangs kann zeigen, wie Care
im Beziehungsdreieck von Fachkraft, Therapietier und Patient*in zustande kommt.