Stadt der Sonnenstrahlen Szeged: Ein Ort zum Verlieben
von Melanie Henkler
Absolventin des binationalen Masters, Universität Kassel
Es ist ein warmer Abend, obwohl der Herbst schon Einzug gehalten hat. Den ganzen Tag hat die Sonne geschienen. Die letzten Strahlen fallen auf die Domspitze. Hundert Gerüche wabern durch die warme Luft. Es riecht nach ungarischen Spezialitäten wie Lángos oder Kürtőskalács (Baumkuchen). Es riecht nach Käse und Wein, unzählige Parfümdüfte kitzeln noch in der Nase: Das kleine Weinfestival auf dem Domplatz hat begonnen und ganz Szeged scheint auf den Beinen zu sein, um dem wohlschmeckendem ungarischem Wein zu frönen.
Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Ob lieblich oder trocken, Rosé, Rotwein, Weißwein oder als Fröccs (Wein gemischt mit Soda), das beliebte Getränk wird hier in großen Mengen verkauft. Auch wir lassen uns den Wein schmecken. Die Stimmung steigt und rhythmische Klänge dringen in die Ohren. Heute Abend gibt es in Szeged noch mehr Konzerte als sonst. Traditionelle Blaskapellen konkurrieren mit moderner Pop-, Rock- oder Soulmusik. Der Hörer hat die Qual der Wahl. Die Atmosphäre ist ausgelassen, die Menschen ringsherum lachen, prosten sich zu und tanzen. Es ist unverkennbar: Die Ungarn lieben ihre Weinfeste. Zu Recht.
Doch irgendwann müssen die kleinen, dicht an dicht stehenden Buden schließen. Wir haben noch keine Lust nach Hause zu gehen. Und das müssen wir auch nicht: In Szeged ist noch jede Menge los. Wir entscheiden uns heute Abend für das Zápor, einen beliebten Treffpunkt. Man muss nur das Glück haben, es zu finden oder es von einem Ortskundigem gezeigt zu bekommen, denn wie so viele Lokalitäten, liegt es im Keller. Im Innenbereich sehen wir das übliche Bild: Die Kneipe ist gut besucht, was gleichermaßen an den erschwinglichen Preisen oder an der guten Atmosphäre liegen kann. Die Dekoration erfreut den Besucher in ihrem Retro-Schick: Man beachte das rote Auto direkt neben der Theke, die an der Decke drapierten Regenschirme oder das uralte Radio auf einer noch älteren Kommode.
Wir schieben uns durch die Menge und finden tatsächlich noch einen freien Platz. Wie üblich sitzen wir in einer internationalen Runde zusammen und tauschen uns in einem Gemisch aus Deutsch, Englisch und Ungarisch mit unseren Freunden aus. Dabei wären eigentlich noch weitere Sprachen möglich, denn in Szeged halten sich Studierende aus aller Welt auf. Plötzlich herrscht Unruhe an unserem Tisch. Jemand hat den Vorschlag gemacht, noch eine Runde Csocsó zu spielen, was insbesondere die männlichen Anwesenden dazu bringt, sofort aufzuspringen. Was Csocsó ist? Man wird es kaum glauben, aber in Ungarn gehört Tischfußball zum typischen Kneipenbild. Auch heute wird er begeistert genutzt: Wir werden zu einer Partie Deutschland gegen Ungarn aufgefordert. Bedauerlicherweise haben wir keine Chance gegen unsere geübten Gegenspieler, sodass sich das Wunder von Bern nicht wiederholen lässt. Als Verlierer geben wir eine Runde Pálinka aus und trinken auf die deutsch-ungarische Freundschaft. Auf unserem Heimweg laufen wir über eine der Innenstadtbrücken, die über die Tisza (Theiß) führt. Das Licht der Straßenlaternen spiegelt sich im Fluss wider. Über dieser Szenerie erhebt sich der beleuchtete Dom und wir denken: „Diese Stadt kann man nur lieben!“