Burchards Dekret Digital

Burchards Dekret Digital: Arbeitsplattform zu Texterschließung und Wirkungsgeschichte früh- und hochmittelalterlicher Rechtskulturen

Website des Projekts 'Burchards Dekret Digital'

Das Forschungsvorhaben 'Burchards Dekret digital' unter Leitung von Prof. Dr. Ingrid Baumgärtner (Universität Kassel), Prof. Dr. Klaus Herbers (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) und Prof. Dr. Ludger Körntgen (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) ist Teil des Akademienprogramms, mit dem die Union der deutschen Akademien langfristig angelegte Forschungsvorhaben wie zentrale Editionen, Wörterbücher und Textcorpora als Wissensspeicher fördert. Das Projekt unter dem Dach der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz ist auf eine Förderdauer von 18 Jahren (2020-2037) angelegt.

Im Zentrum steht eine der einflussreichsten Sammlungen des mittelalterlichen Kirchenrechts, das Dekret Bischof Burchards von Worms (1000–1025). Die Ziele des Forschungsprojekts richten sich erstens auf eine multiperspektivische Analyse der Überlieferung, Rezeption und rechts- und kulturgeschichtlichen Bedeutung, zweitens auf eine kritische Edition in Print und Online sowie drittens auf eine digitale Arbeitsplattform internationalen Zuschnitts.

Ausgangspunkt des Projekts ist die Feststellung, dass kirchliches Recht die Entwicklung in West- und Mitteleuropa bis ins 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt und fundamental zur Entstehung gemeinsamer europäischer Rechtsgrundlagen beigetragen hat. Die Grundlagen und Vermittlungswege dieser Einflüsse sind vielfältig und reichen weit zurück. Denn Europa entwickelte sich nicht erst seit dem 12. Jahrhundert, wie oft behauptet, im Zuge einer Ausgestaltung des kanonischen und römischen Rechts zu einem in vielerlei Hinsicht einheitlichen Raum. Große Bedeutung kommt vielmehr den Bemühungen um die Sammlung, Systematisierung und Fortentwicklung des Kirchenrechts zu, die in der häufig unterschätzten Epoche zwischen den karolingischen Reformen und dem wissenschaftlichen Aufbruch des 12. Jahrhunderts in Kanonistik und Scholastik unternommen wurden.

Die bei weitem wichtigste Sammlung dieser Zeit, das sogenannte Decretum Burchardi, galt im 11. und 12. Jahrhundert als das kirchliche Rechtsbuch par excellence und konnte mit dem einfachen Verweis ex Burch(ardo) zitiert werden. Nicht nur Gelehrte des Kirchenrechts, sondern auch Praktiker der Diözesanverwaltung wussten sofort, was gemeint war. Nicht zuletzt aufgrund dieser rechtspraktischen Bedeutung konnte sich die Kompilation des Wormser Bischofs als Standardwerk gegenüber später verfassten Zusammenstellungen behaupten. Sogar das um 1140 entstandene Decretum Gratiani, Grundlage jeder weiteren Entwicklung in Kirchenrecht und wissenschaftlicher Kanonistik, wurde mit Auszügen aus Burchards Werk ergänzt und kommentiert.

Das Projekt stellt, in enger Kooperation mit Partnern aus aller Welt, das Decretum Burchardi in den Mittelpunkt grundlegender, multiperspektivischer Forschungen: Es erschließt die europaweite Handschriftenüberlieferung; es erarbeitet erstmals eine kritische Edition und sichtet die reichen Rezeptionsspuren vor allem in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien. Methodisch innovativ ist sowohl die digitale Erschließung als auch die rezeptionsgeschichtliche Ausrichtung, die einen Eindruck von der gewaltigen Dynamik europäischer Rechtskulturen vermittelt. Zur Bewältigung dieser vielfältigen Aufgaben dient der Aufbau einer digitalen Arbeitsplattform, die nicht nur die Publikation einer umfassenden digitalen Edition ermöglicht, sondern künftig auch Materialien wie Handschriften, Kataloge und Quelleneditionen zur Verfügung stellt, den wissenschaftlichen Austausch auf internationaler Ebene fördert sowie die regen Forschungsaktivitäten zu Quellen und Rezeption mittelalterlichen Kirchenrechts bündelt, um der enormen Verbreitung und epochenübergreifenden Wirkung des Decretum Burchardi gerecht zu werden.