trabajo digno. Arbeit, Geschlecht, Migration an der mexikanischen Südgrenze
Lehrforschungsprojekt
Der mexikanische Süden weist im landesweiten Vergleich eine der höchsten Raten an soziostrukturellen Marginalisierungsmerkmalen auf, die als Push-Faktoren für die ansteigenden Migrationen auf der Suche nach ökonomischem Auskommen und der Verbesserung der eigenen Lebenssituationen zu sehen sind. Vor allem in den ländlichen und indigen geprägten Kontexten haben sich seit den letzten 15 Jahren Migrationsregionen herausgebildet, in denen die Formen saisonaler sowie zirkulärer Migration zunehmen. Gleichzeitig ist die Region des Soconusco in Chiapas aufgrund der landwirtschaftlichen Produktionsstätten (Kaffee- und Obstplantagen) ein traditioneller Anlaufpunkt für die saisonale Pendelmigration aus den angrenzenden Regionen wie Guatemala und zunehmend auch aus Honduras, El Salvador und Nicaragua.
Als im Zuge des Plan Sur und der Merida-Initiative die Grenz- und Kontrollpolitiken von der mexikanischen Nordgrenze in den Süden verlagert wurden, ging damit die Ausweitung von umfassenden Sicherheitstechniken und -praktiken auf die südmexikanische Grenzregion einher, um so ungewollte Bewegungen von Personen schon frühzeitig zu unterbinden (Braig/Baur 2005). Für die sozialwissenschaftliche Forschung sind neben der erweiterten Materialisierung der Südgrenze durch Zäune, Kontrollpunkte und Abschiebegefängnisse auch die Umgangsweisen und (Über-)Lebensstrategien der durch diese Entwicklung Betroffenen in den Gemeinden und an den Migrationsrouten interessant, wobei diese Aushandlungsprozesse die Lebenswelten der in der Region lebenden Personen prägen.
Im Kontext des seit 2006 intensivierten Drogenkrieges werden Migrierende zudem vermehrt Opfer von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. Im Zuge der von Ex-Präsident Felipe Calderón lancierten Militarisierung werden sie kriminalisiert und „zu potenziell gefährlichen Personen stilisiert“ (Wienold/Tuider/Bewernitz 2009: 15).
Frauen sind in diesem Kontext auf besondere Weise vulnerabilisiert. Denn die verschiedenen Formen innerhalb der postulierten „Feminisierung der Migration“ erweisen sich in einem hohen Maße als vergeschlechtlicht. Im Kontext massiver geschlechtsspezifischer Gewalt wählen Frauen andere Routen und Migrationsformen, v.a. wenn sie sich alleine oder in Begleitung ihrer Kinder auf Wanderschaft begeben (vgl. Roblero/Zunino 2007, in Kerkeling 2009: 296). Nicht nur im Prozess der Nach- und Familienmigration haben sie spezifische Aufgaben und Zuschreibungen zu bewältigen. Besonders in Arbeitskontexten - wie im Falle des Kaffeeanbaus - erfolgt in der Regel eine stark geschlechtliche Arbeitsteilung. Diese wiederum ist durch die steigenden Migrationen in den letzten Jahren einer Transformation unterlegen. Im Falle der Kaffeeplantagen etwa nimmt die Zahl der Kaffeebäuerinnen stetig zu (vgl. bspw. für die Region Oaxaca: Nessel 2009).
Auch als Verantwortliche für Fürsorge-Arbeit in der Familie bleiben Frauen tendenziell in ihren Kontexten zurück, während andere Familienangehörige auswandern. Indem die Bleibenden die durch die Abwesenheit der Gehenden entstehenden Zuständigkeitsbereiche übernehmen, sind sie gleichzeitig Teil des Migrationsprozesses ihrer Angehörigen.
Diese und weitere Einflussfaktoren auf Migrationsformen und -akteure zu untersuchen sowie den komplexen Diversifizierungsprozessen von Migrationen nachzuspüren, soll am Beispiel der Südregion im Rahmen dieser Studienreise erfolgen. Mit Blick auf den Themenkomplex Migration-Menschenrechte-Geschlecht sollen verschiedene Lebensrealitäten in und an der südmexikanischen Borderregion in qualitativ-empirischen Projekten seitens der Studierenden analysiert werden.
- Welche Auswirkungen hat das Grenzregime auf die Pendelmigration der (guatemaltekischen) Saisonarbeiterinnen und deren Arbeitsbedingungen? Welcher Konflikt(-vermeidungs)strategien bedienen sich die Migrierenden in ihrem konkreten Arbeitsalltag und inwieweit eröffnen sich dabei Spielräume zur subjektiven und kollektiven Interessenswahrung?
- Wie gehen die in der Herkunftsregion Verbleibenden mit neu entstehenden Sozialstrukturen um und welche Veränderungen bewirken Migrations- und Abwanderungsbewegungen auf Herrschaftsordnungen (wie insbesondere dem Geschlechterverhältnis)?
- Führt die Migration von migrierten Männern zur Zunahme von Besitzverhältnissen und Zugang zu produktiven Ressourcen bei den bleibenden Frauen? Inwiefern vollziehen sich im Kontext massiver männlicher Abwanderung Prozesse von Empowerment bei den Zurückbleibenden im Sinne einer höheren Autonomie in Entscheidungsbefugnissen, sozialer und politischer Partizipation?
Projektleitung und -organisation: Prof. Dr. Elisabeth Tuider und Miriam Trzeciak, M.A.
Laufzeit: 09–10/2013