Reflexionsfähigkeit und Fallarbeit
Die Forschungsarbeit wurde als Teilprojekt (Prof. Dr. Volker Scheid, Dr. Andreas Albert und Dr. Anne Thissen) im Kontext von PRONET (PROfessionalisierung durch VerNETzung) durchgeführt, mit dem die Universität Kassel an der ersten Förderphase der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (2015-2018) partizipierte. Im Rahmen des Teilprojekts entstand die im Folgenden dargestellte Dissertation von Anne Thissen (2019) unter dem Titel Reflexionsfähigkeit in der Lehrerbildung – eine empirische Untersuchung im Rahmen der Schulpraktika im Fach Sport (https://karla.hds.hebis.de/Record/HEB460745786).
Im Kontext der Professionalisierung angehender Lehrkräfte kommt der Fähigkeit zur Reflexion besondere Bedeutung zu (u.a. Wyss, 2013). Für ihre Förderung stellt die Arbeit mit (Video-)Fällen eine geeignete und anerkannte Methodik dar (u.a. Wolters, 2015). Die Fallarbeit kann sich sowohl auf fremde videografierte als auch auf selbst erlebte Unterrichtsereignisse beziehen. Die Schulpraktischen Studien bieten als Theorie und Praxis verbindende Veranstaltungen Gelegenheit für das Sammeln eigener Unterrichtserfahrungen. Sie stellen damit einen geeigneten Kontext für die Entwicklung der Fähigkeit zur Reflexion dar. Der Studie liegen zwei leitende Annahmen zu Grunde:
- Die Auseinandersetzung mit fremden und selbst erfahrenen Unterrichtsereignissen im Kontext der Schulpraktischen Studien im Fach Sport fördert die Fähigkeit zur Reflexion.
- Die vorgeschaltete Auseinandersetzung mit fremden videografierten Unterrichtsereignissen wirkt sich positiv auf die reflexive Auseinandersetzung mit eigenen Unterrichtsereignissen aus.
Für die Untersuchung der Annahmen wurde ein Untersuchungsdesign entwickelt und im Rahmen der Schulpraktischen Studien eingesetzt. Durch die Analyse des eigenen erinnerten und des fremden videografierten Lehrkrafthandelns im Sportunterricht sollte die Fähigkeit zur Reflexion entwickelt werden. Die Fallauswahl erfolgte unter Bezugnahme auf die drei Qualitätsdimensionen guten Unterrichts (Klassenführung und Strukturierung, Schülerorientierung und Unterstützung, Kognitive Aktivierung). Um erfassen zu können, ob eine vorausgehende Fremdreflexion videografierter studentischer Unterrichtsversuche die Reflexionsfähigkeit positiv beeinflusst, wurden die insgesamt 35 Studierenden in zwei Gruppen (G1 = 25, G2 = 10) mit unterschiedlicher Intervention eingeteilt.
Die Einschätzung der Reflexionsfähigkeit erfolgte über die Bestimmung der Reflexionsqualität (Breite und Tiefe). Die Auswertung der schriftlich vorliegenden Unterrichtsanalysen (insgesamt 188 Fallanalysen) erfolgte unter Einsatz der inhaltlich skalierenden Strukturierung: Für die Erfassung der Reflexionsbreite wurde die inhaltliche Bezugnahme auf die drei Elemente des Lehrkrafthandelns in einem unterrichtlichen Ereignis identifiziert (Inhalte präsentieren, Bedingungen organisieren, mit Schüler*innen interagieren). Die Bestimmung der Reflexionstiefe erfolgte unter Berücksichtigung der vier Niveaustufen (Prozessmodell ERTO von Krieg & Kreis, 2014: deskriptive, explikative, introspektive und integrative Reflexion) der reflexiven Auseinandersetzung mit einem Unterrichtsereignis.
Mit Blick auf die Untersuchungsergebnisse lässt sich festhalten, dass der Fallarbeit der Sportlehrerbildung eine reflexionsförderliche Wirkung zukommt. Die förderliche Wirkung einer vorgeschalteten Analyse fremder Fälle auf die Reflexion selbst erfahrener Unterrichtsereignisse bestätigt sich in der Studie aber nicht (siehe auch Thissen, Albert & Scheid, 2019; Thissen, Scheid & Albert, 2019).