Memorial University in St. John's: Sebastian Plewe

Memorial University in St. John's: Sebastian Plewe

Mai ? August 2010

Schnee und Kälte das ganze Jahr, große Hunde und jede Menge Bäume ? oder auch: ?Neufundland? Das ist doch irgendwo im Norden, oder?? So oder so ähnlich sah meist die Reaktion aus, als ich Leuten von meinem Vorhaben, ein Semester an der Memorial University in St. John?s zu studieren, erzählte. Zugegebenermaßen wusste ich, als ich anfing mich um meinen Auslandsaufenthalt zu kümmern, auch nicht viel mehr  über diese Provinz Kanadas. Also informierte ich mich fix und war auf obige Konversationen vorbereitet: ?Nein, es werden bis zu 30°C im Sommer?, und: ?Nein, St. John?s liegt auf dem Breitengrad Münchens.?

Die Entscheidung, dorthin zu gehen, fiel mir leicht; schließlich bekommt man höchstwahrscheinlich nur einmal die Chance, ein so exotisches Reiseziel so genau kennenlernen zu können und gleichzeitig das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, also neben jeder Menge neuer Eindrücke, Erfahrungen, Spaß und Abenteuern sich auch beruflich weiterbilden zu können.

Da mein Zweitfach Englisch ist, habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, indem ich Zeit in einem englischsprachigen Land verbringen konnte und (natürlich auch englische) Kurse aus dem Fachbereich ?Human Kinetics and Recreation? belegt habe, die ich mir für mein Sportstudium in Kassel anrechnen lassen kann.

Der Aufbau der Kurse ist etwas anders als in Deutschland: Empfohlen wird eine Menge von fünf Kursen für die Summer Session (Intersession inklusive) und man tut gut daran, sich an diese Vorgabe zu halten. Besonders ans Herz legen möchte ich Euch den Kurs ?Introduction to Outdoor Recreation? bei TA Loeffler, bei dem jedem Sportbegeisterten und Outdoorinteressierten das Herz aufgehen dürfte: auf dem Programm stehen zum Beispiel Hiking-Trips mit jeder Menge Tipps und Tricks von Kartenlesen (wusstet ihr, dass die grünen Flächen auf Karten erst dann grün sein dürfen, wenn der Bewuchs so dicht ist, dass eine bestimmte Zahl Soldaten darin Deckung vor dem Gegner suchen könnte?) über Orientierung mit dem Kompass bis zu der Frage, warum fast alle Gewässer in Neufundland rötlich sind. Außerdem werdet ihr Klettern an einer Felswand direkt über dem Meer, wobei das größte Problem darin besteht, sich auf das Klettern zu konzentrieren und nicht auf die Wale die miteinander spielen, Wasserfontänen in die Luft schießen und ihre Flossen aufs Wasser klatschen lassen. Zugegebenermaßen hat man natürlich auch dort keine ?Walgarantie?, aber die Chancen stehen nicht schlecht und bei mir hat es ja auch geklappt?

Weitere Highlights dieses Kurses sind Kayakfahren auf dem Meer und eine dreitägige Camping-Exkursion in die neufundländische Wildnis.

Wer sich entscheidet mit einem Koffer und nicht mit einem großen Trekking-Rucksack anzureisen oder wer keinen Platz für Schlafsack, Isomatte und derlei Dinge hat, kann problemlos alles an der Uni gratis ausleihen. Dieser Service ist wirklich Gold wert und ich habe ihn etliche Male in Anspruch genommen. Ihr bekommt hier auch Ausrüstung, wenn ihr mal privat ein paar Tage unterwegs sein wollt (solange das Equipment nicht von der Uni in Benutzung ist).

Ein Highlight auf dem Campus ist das ?Field House?. Hier findet ihr Fitnessräume, Squash Courts, Badmintonfelder, Tischtennisplatten, einen Basketball Court, ein Schwimmbeckenund eine 200m Indoor-Laufbahn; alles unter einem Dach direkt neben den Seminarräumen. Die Nutzung ist während des Semesters kostenlos und ist eine richtig gute Gelegenheit, sich mal so richtig fit zu machen.

Aber auch außerhalb der Universität habe ich durchweg positive Erfahrungen gemacht. Ich habe sehr schnell feststellen dürfen, dass Gastfreundschaft dort sehr groß geschrieben wird. So war es kein Problem, Kontakte zu knüpfen. Da die Atmosphäre in der Uni während des Sommersemesters (ca. 1500 Studenten) etwas familiär ist und der Anteil der internationalen Studenten in dem Fachbereich sehr gering war, kannte man ?The Germans? ziemlich schnell und nachdem mein Kommilitone aus Kassel und ich ein- zweimal auf House-Parties und anschließend auf der George Street waren, fühlten wir uns schon recht gut integriert. Die George Street ist die Party-Meile von St. John?s. Hier findet man die höchste Bar-, bzw. Clubdichte pro Fläche in ganz Kanada. Es gibt alles was das Herz begehrt von Dance Club bis Irish Pub und ungefähr fünf- bis sechsmal die Woche meist eintrittsfreie Livemusik. Das musikalische Spektrum reicht hier von typisch neufundländischer Folkmusik, die dem Irish Folk sehr ähnlich ist, bis zu Mainstream Rock. Meist ist es sogar so, dass mehrere Künstler an einem Abend in verschiedenen Bars spielen, sodass man die Qual der Wahl hat. Insgesamt unterscheidet sich die Partyszene von St. John?s etwas von der Deutschen und ist allein schon die Reise wert.

Aber die Gastfreundschaft der Neufundländer ging deutlich darüber hinaus. Mein Kumpel Philip und ich durften das mehrfach erleben. Wir wurden bei Freunden zuhause aufgenommen und zu Wochenendtrips eingeladen die wirklich großartig waren; beispielsweise eine Kayaktour entlang der zerklüfteten aber wundervollen Küstenlandschaft Neufundlands. Alles wurde für uns organisiert, Kayaks besorgt, ein Schlafplatz zur Verfügung gestellt und und und... Während des Trips sahen wir bei grandiosem Sommerwetter zahllose Weißkopfseeadler, ein Karibu, eine Seeotterfamilie und Delfine.

Außerhalb St. John?s ist es in Neufundland ohne eigenes Auto nicht ganz einfach herumzukommen, aber auch hier hat man uns tatkräftig unterstützt: Ein Dozent lieh uns einfach für eine Tour seinen Zweitwagen. Bezahlt haben wir mit einer dort nicht unüblichen Währung: einer Flasche Screech. Eure Kontaktperson, Dr. Behm, ist so hilfsbereit wie man nur sein kann und wir bekamen durch ihn im Anschluss an das reguläre Semester auch noch die Chance, in die Forschung hereinschnuppern zu können. Wir haben mit ihm an einem Projekt über die Effekte verschiedener Stretchingarten auf die Leistung gearbeitet.

Vielleicht sollte ich noch kurz etwas zur Wohnsituation sagen: Ich habe während des gesamten Semesters direkt auf dem Campus in ?Burton?s Pond Apartments? gewohnt. Es besteht aus vier recht zweckmäßigen Zimmern für vier Personen, einer offenen Küche mit Wohnecke und einem Bad. Diese Lösung ist auf jeden Fall am Umkompliziertesten und von der Lage her recht praktisch. In fünf Minuten zu Fuß ist man sowohl am Phys-Ed Gebäude, wo die Veranstaltungen stattfinden und wo sich auch das Field House befindet als auch am Long Pond, der sich prima zum Joggen und Angeln eignet. Bis zur George Street Downtown läuft man um die zwanzig Minuten und auch das ist vollkommen in Ordnung, selbst wenn der Rückweg meist etwas länger dauert? Außerdem sind Taxis vergleichsweise günstig.

Alternativ zu der Apartmentlösung auf dem Campus ist es auch möglich, sich erstmal für einige Tage in ein Hostel einzubuchen (ab 25 $ CAN/Nacht) und sich vor Ort privat eine Wohnung oder ein Zimmer zu suchen.

Rückblickend kann ich nur sagen, dass mir die Zeit in Neufundland unfassbar viel gebracht hat, persönlich und beruflich, dass ich sehr viele tolle Dinge erlebt habe und vor allem auch, dass ich tolle Leute kennenlernen konnte. Das Auslandssemester ist absolut eine Erfahrung, die jeder machen sollte und die ich auf keinen Fall missen möchte.