WS 2023/24

Seminar Architekturtheorie

Architektonischer Aktivismus

Lehrender: Prof. Phillipp Oswalt

Lehrveranstaltungs-Nr: FB06.053

A-1.1-30 / A-2.1-30 Theorie und Kritik in Architektur, Stadt und Landschaft,

A-2.1-60 Vertiefungsseminar Design Research (DR), Schwerpunkt Architekturtheorie (Teilmodul)

 

Architektur und Städtebau gestaltet den Alltag von Menschen und zwischenmenschliche Interaktionen und damit die Gesellschaft. Doch dabei ist die Ausformung des gebauten Umwelt maßgeblich geprägt von wirtschaftlichen Faktoren, den Zugang zu Ressourcen und Macht, Teilhabe und Exklusion, und vielem mehr. Mit Architektur und Städtebau verbinden sich Wertefragen, die gesellschaftlich auszuhandeln sind.

 

Was ist die Rolle der ArchitektIn hierbei? Ist Sie nur die ErfüllungsgehilfIn des AuftraggeberIn?

Ähnelt die Rolle der ArchitektIn einer Geisel, die von ihrer EntführerIn dazu gezwungen wird, bei der Familie anzurufen und zu lügen, dass alles in bester Ordnung ist, wie Rem Koolhaas einst formulierte?

 

Immer wieder brechen ArchitektInnen aus dem Rollenschema eines demütigen, eilfertigen Dienstleisters aus und nehmen eine aktivistische Rolle ein. Unabhängig von einem Auftrag oder einem Amt erschaffen sie sich eine eigene Rolle mit einer selbst formulierten Agenda. Sie setzen sich damit für Ihnen wichtige gesellschaftliche Anliegen ein.

 

Das Seminar widmet sich dem Aktivismus in der Architektur: Welche aktivistischen Handlungsmodelle gibt es? Wie unterscheiden diese sich? In welchem Verhältnis stehen diese zu dem regulären Beruf und wie lassen diese sich ggfl. verbinden?

 

Wir wollen uns mit Positionen aus Geschichte und Gegenwart befassen, Texte gemeinsam lesen, Projekte analysieren, mit heutigen AktivistInnen über Ihre Praktiken diskutieren und auch die Ausstellung Protestarchitekturen am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main besuchen.

 

Donnerstags 12.00 – 13.30

HAFEKA 0103 (EG)

Erster Termin: 26. Oktober

Besuch der Ausstellung DAM „Protestarchitekturen“ am Freitag, 24. November 2023

Seminar

Plattform: Gedenken an NS-Verbrechen und Rechtsterrorismus in Nordhessen

Lehrender: Prof. Philipp Oswalt

Lehrveranstaltungs-Nr: FB06.080

Module:

A-1.1-30/ A-2.1-01/ A-2.1-31/ PRO-2.1-10/ A-2.1-61

 

Von dem documenta-Mythos verdeckt, hat sich die Stadt Kassel in der Vergangenheit oft nur zögerlich und widerspenstig ihrer NS-Geschichte gewidmet. Aber auch die Erinnerung an rechtsterroristische Anschläge und der Umgang mit rassistischen und antisemitischen Vorgängen war und ist immer wieder ungenügend.

 

Das frühere Polizeipräsidium am Königstor war einst sitzt der Kasseler Gestapo. Während in anderen Städten wie Köln, Stuttgart oder Halle für solche Orte eigene Institutionen gegründet wurden, die sich der historische und politische Bildung widmen, gab es in Kassel bereits gegen die Anbringung einer kleinen Gedenktafel in den 1990er jahrelang massiven Widerstand. Nach 25 Jahren provisorischen Nutzungen wird das Kasseler Gebäude demnächst frei werden. Es steht unter Denkmalschutz und befindet sich in Landesbesitzt. Was soll nun damit passieren? Das Land Hessen bereitet eine Entwicklung und Verwertung der Immobilie vor.

 

Im Sommer 2023 haben sich zahlreiche Akteure der Stadtgesellschaft zusammengetan und mit einem Brief an das Land Hessen gewandt, um die Schaffung eines Erinnerungsortes einzufordern (Siehe: https://www.uni-kassel.de/fb06/institute/architektur/fachgebiete/architekturtheorie-und-entwerfen/interventionen/ehemaliges-polizeipraesidium-kassel). Während die Politik bislang darauf nicht reagierte, berichtete die HNA prominent über das Bemühen. Im September gründete sich die "Initiative Gedenkort Polizeipräsidium Königstor“, um längerfristig dem Anliegen Nachdruck zu verleihen.

 

Das Seminarangebot widmet sich diesem Themenfeld. „Plattform“ meint, dass keine einzelnen Aufgaben/ Themen vorgegeben sind, sondern diese selbstbestimmt aus den gemeinsamen Befassung, zu entwickeln sind. Gewünscht ist zudem Dialog und Zusammenarbeit mit der Initiative.

 

Das Themenfeld der Seminar-Plattform umfasst:

NS-Geschichte Nordhessens

Rechtstrerrorismus und Antisemitismus Nordhessen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart

Formen der Erinnern und Gedenkens

Möglichkeiten des Aktivismus heute

 

In einem klaren Verständnis der eigene Qualifikationen/ Fähigkeiten sollen diese Themen mit einem Bezug zu einer räumlichen Dimension bearbeitet werden.

Jeder Teilnehmende kann eine eigene Arbeitsform wählen und dem entsprechen auch seine Studien- und Prüfungsleistung erbringen, ob etwas seminaristisch oder als Vorbereitung einer Abschlussarbeit oder eines freien Projekt. Die Arbeitsplattform steht Studierenden aller Studienrichtungen offen. Die entsprechende Modulnummer wird gemäß des jeweiligen Arbeitsansatzes und -einsatzes sowie Studiengangs verabredet.

 

Mittwochs 12.00 – 13.30

HAFEKA 0103

Gottschalkstr.26

 

Erster Termin

25.10

 

Termine der "Initiative Gedenkort Polizeipräsidium Königstor“

Dienstags 18.00,

Nächstes Treffen: 24.10.

Seminar Architekturtheorie

Gernot Minke Archiv

Lehrender: Dr. phil. Alexander Stumm

Zeit: Montags 10–13.30 Uhr, 2-wöchtentlich, + Kompaktwoche (6.+7.11.) ganztägig

Beginn: 23.10.2023

Raum: Möncheberg 1 - Raum 3012 Seminarraum III

 

Gernot Minke ist ein Pionier des Lehmbaus und wichtiger Akteur in der Entwicklung des ökologischen Bauens seit den 1970er Jahren. Zentrale Elemente seiner Architektur sind die Verwendung lokaler biogener und geogener Materialien wie Holz und Lehm, energie­ und ressourcenschonende Bauweisen, die Vermeidung von Treibhausgasemissionen sowie ein gesundes Wohnklima – Themen die vor dem Hintergrund der derzeitigen Klima- und Biodiversitätskrise Imperativ sind.

Durch Minkes großzügige Übertragung des Vorlasses an die Uni Kassel 2023 wird sein Archiv erstmals für die Forschung zugänglich. Das Seminar widmet sich zwei Teilbereichen des umfangreichen Archivs: 1) dem bisher wenig beleuchteten Frühwerks von Minke bis Mitte der 1970er Jahre und 2) der Entwicklung des Lehmbaus anhand des Projekts Ökosiedlung in Kassel Anfang der 1980er Jahre. Im Rahmen des Seminars werden neben der theoretisch-historischen Erforschung der genannten Bereiche während der Kompaktwoche im Rahmen eines Intensivworkshops auch Grundlagen in der Erschließung von und dem Umgang mit Archivmaterialien erworben.

 

Kurzinfo Gernot Minke

In der neu gegründeten reformpädagogischen Gesamthochschule Kassel (heute: Uni Kassel) leitete Minke ab 1974 das Fachgebiet Tragkonstruktion und Experimentelles Bauen, wo er als Gründer des Forschungslabors für Experimentelles Bauen (FEB) fast vier Jahrzehnte lehrte und forschte. Dabei entstanden über 50 Forschungs­ und Entwicklungsprojekte unter anderem zu den Themen Low Cost­Bauen, Bauen mit Lehm, Bauen mit Strohballen, Bauen mit Bambus sowie Dachbegrünung und vertikale Gärten. Seine Publikationen zum Bauen mit Lehm und Stroh gelten als Standardwerke und sind in zwölf Sprachen übersetzt. Während Minke international vielfältige Würdigung erfährt, ist sein Werk in Deutschland bisher noch wenig bekannt.

 

Lektüreempfehlung

Friedemann Mahlke: Schwerelos erdverbunden – Vom Leichtbau zum Lehmbau. Das Werk des Architekten Gernot Minke, Rastede 2007.

Seminar

Kassels akustischer Stadtplan 2.0

Lehrender: Georgios Varelis
 
In diesem Seminar werden wir uns mit Klang in Städten und ihrer Dokumentation bzw. künstlerischen Verarbeitung anhand des Werkes "Kassels Akustischer Stadtplan" (1997) von Wolfram Spyra beschäftigen.
Aufgenommen mit einem eigens dafür angefertigten DAT-Recorder besteht das Werk aus 20 Aufnahmen unterschiedlicher Innen- und Außenräume in Kassel.
Obwohl, oder vielleicht gerade, weil wir in der Stadt permanent der akustischen Wahrnehmung ausgesetzt sind, wollen wir die Sensibilität dafür schärfen und anhand des akustischen Stadtplans exemplifizieren.
Im Seminar werden wir uns mit Grundlagen der Sound Studies beschäftigen und untersuchen, welche Veränderungen im „akustischen Stadtbild“ wahrnehmbar sind und auf welche Weise sie in Wechselwirkung mit den räumlichen Geschehnissen und deren Veränderung stehen.
Unter Einbeziehung städtebaulicher und kulturwissenschaftlicher Debatten soll ein neuer akustischer Stadtplan angefertigt werden und auf einem geeigneten Medium zur Verfügung gestellt werden.
 
Das Seminar findet zusammen mit Studierenden der Musikwissenschaft der Universität Göttingen statt und findet daher auch an einem Termin in Göttingen statt.
 
Termine:
 
27.10.2023, 12 - 14 Uhr (in Kassel)
17.11.2023, 12 - 18 Uhr (in Kassel)
18.11.2023, 12 - 18 Uhr (in Kassel)
08.12.2023, 12 - 18 Uhr (in Göttingen)
15.12.2023, 12 - 18 Uhr (in Kassel)  
26.01.2024, 12 - 14 Uhr (in Kassel)

Seminar Architekturtheorie

Typologie und Nachhaltigkeit

Lehrender: Samuel Korn

Rund 40% des in Deutschland freigesetzten CO₂ werden durch die Bauwirtschaft verursacht. Die bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannte und heute als krisenhaft erfahrene Situation des beschleunigten Klimawandels verlangt ein Handeln und birgt Chancen: Planer:innen sehen angesichts aktueller Herausforderungen verstärkt den Bedarf, tradierte Typologien in Bezug auf Materialien und Konstruktionsformen weiterzuentwickeln oder neu zu denken. Im Schlagwort ‚Typogenese,‘ einem aus der Evolutionsbiologie entlehnten Begriff, der die sprunghafte Entstehung neuer Ausprägungen bezeichnet, manifestiert sich angesichts des hohen Transformationsdrucks der Gegenwart eine Hoffnung, die analog zum Typen-Konzept der Moderne Vertrauen in das Potenzial einer gleichsam plötzlichen Formbildung setzt: Das durchaus auch kritisch zu prüfende entwerferische Selbstbild, aus einer absolut gesetzten Gegenwart heraus die Realität der Zukunft zu gestalten, trifft heute auf das Anerkennen der Verpflichtung, den konkreten baulichen Bestand als Ressource zu nutzen und das Nachleben des Produkts durch zukünftige Anpassungsmaßnahmen oder Rückbaumöglichkeiten vorauszudenken.

Christ & Gantenbein argumentierten in Bezug auf ihr Multifunctional Workspace Building für Roche, dass die Materialität in Stahl, Glas und Betoneine bestimmte Bauform erlaube unddas Gebäude somit aufgrund seiner Typologie nachhaltig sei. Dies verdeutlicht, dass der Begriff der Nachhaltigkeit je noch Kontext und Perspektive unterschiedliches meint. Die verweist jedoch auch auf konzeptuelle und gestalterische Fragen und unterstreicht, dass die Komplexität der Frage von Nachhaltigkeit nicht allein durch die Wahl vordergrründig nachhaltiger Materialien beantwortet werden kann, sondern projektabhängig und ortsspezifisch erörtert werden muss, wobei der typologische Aspekt eine bedeutende Rolle spielt. Denn mit dem Schlagwort der Nachhaltigkeit werden sowohl zeitlich, als auch ökologisch sowie ethisch konnotierte Aspekte adressiert, die nicht unabhängig von der erwarteten Lebensdauer und Funktion sowie dem Potenzial der Anpassung eines Gebäudes betrachtet werden können. Wenngleich es naheliegend ist, dass langfristig überdauernde Maßnahmen umweltfreundlicher sowie natürliche Ressourcen schonende Bauweisen fairer und sozial verantwortungsvoller sind, gilt es in der gemeinsamen Diskussion die damit jeweils verbundenen Vorstellungen und die Verantwortung der Architekt:innen zu erörtern.

Unter Typologie verstehen wir über die Wissenschaft von den Typen in Architektur und Städtebau gerade auch den von ökonomischen, sozialen und ökologischen Faktoren determinierten gestalterischen Prozess der Typenbildung selbst. So nutzen Entwerfer:innen beispielsweise Grundrisstypologien, die nichts anderes sind als Sammlungen voneinander abweichender und sich zugleich entsprechender Konfigurationen von Räumen; diese notwendigerweise abstrahierte Ordnungen werden jedoch nicht allein als Muster angewandt, sondern in Abhängigkeit zu materiellen, konstruktiven, funktionalen und programmatischen sowie lokalen Bedingungen wie dem Klima in übersetzter Form und somit als Modelle angewandt. Wenngleich der Begriff der Typologie bereits in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts als dialektisches und kritisches Instrument neu entdeckt wurde und in diesem Zuge u.a. das Interesse an tradierten Bauformen geweckt wurde, war dessen Kraft für eine kritische entwurfliche wie theoretische Praxis laut André Bideau spätestens zur Jahrhundertwende aufgebracht. In Bezug auf die konkrete Nutzung des Bestands gewinnt ein typologischer Blick auf die Wirklichkeit der gebauten Umwelt heute mehrfach Bedeutung: erstens auf der Ebene konstruktiver und technischer Elemente im zirkulären Bauen, zweitens auf der Ebene der Umnutzung und des Umbaus von Gebäuden im Re-Development und drittens auf der Ebene architektonischer Erweiterungen und städtebaulicher Ergänzungen in der Nachverdichtung.

Das Seminar betrachtet vor dem Hintergrund aktueller Nachhaltigkeitsdiskurse den in der Architekturgeschichte unterschiedlich verwendeten Begriff der Typologie und entwickelt experimentell eine Typologie des Weiterbauens als ein Überblick auf Formen von Nachhaltigkeit. Das Seminar ist inhaltliche wie methodisch an der Schnittstelle zwischen entwurfsbezogener Theorie und reflexiver Praxis situiert und behandelt typologisches Forschen und Entwerfen. Strukturell teilt es sich in zwei Elemente; erstens wird in der Kompaktwoche zum einen die wandlungsreiche Geschichte des Typologie-Begriffs in Bezug auf veränderte technische und kulturelle Bedingungen reflektiert und zum anderen das Spektrum verschiedener Vorstellung von Nachhaltigkeit erörtert; zweitens werden im Eigenstudium historische und zeitgenössische Positionen recherchiert und Strategien für einen entwurflich produktiven Umgang mit dem Konzept des Typus und der Typologie untersucht, um die abschließenden Treffen vorzubereiten: am Ende der Vorlesungszeit wird gemeinsam eine typologische Ordnung von ausgewählten Projekten entwickelt. Wohingegen typologisches Entwerfen auf einer synthetisierenden Praxis basiert, die aus der Realität der gebauten Umwelt abstrahierte Mustern projektspezifisch neu anwendet, zeichnet sich typologische Forschung sich durch ein analytisches Bewerten und Ordnen aus, das in disparaten Erscheinungen strukturelle Ähnlichkeiten erkennt und diese in der Entwurfs- und Baupraxis gefundenen Muster durch präzise Ordnungsformen herausarbeitet, welche wiederum für Entwerfer:innen instrumentell werden können. Für die angestrebte Typologie des Weiterbauens wird die Fokussierung auf die den Wohnungsbau und Fragen des Re-Developments vorgeschlagen, was einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Bestand und der hierin gebundenen grauen Energie inkludiert.Student:innen, die im Zusammenhang mit den Fragestellungen andere Schwerpunkte setzen wollen wie beispielsweise die Adaption von Typologien anderer Klimazonen oder materiell und konstruktiv bedingte Morphologien bekannter Bauformen, sind zum „bring your own (theory) project“ eingeladen.