Bad Wilhelmshöhe

Audiowalk

Dorothea Voigt, Jonas Erb

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Route des Audiowalks Wilhelmshöhe

Herzlich willkommen zu unserem Audioguide! Wir (das sind Dorothea Voigt und Jonas Erb) begleiten Dich nun auf eine Reise durch den Kasseler Stadtteil Bad-Wilhelmshöhe. Nach der offiziellen Website von Kassel sei dieser Teil der "schönste" der Stadt. Folglich lohnt es sich natürlich, das Gesamtbild zu analysieren und sich besonders auf das Wohnen und Leben in Bad Wilhelmshöhe zu konzentrieren. Der Stadtteil liegt am westlichen Stadtrand von Kassel und verfügt über 15,3 km² an Fläche. Insgesamt nennen 12.455 Menschen Bad Wilhelmshöhe ihre Heimat. Besonders bekannt ist der Stadtteil für den Bergpark mit Schloss und Herkules-Statue und den ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe. Aber interessant ist auch, dass der Ortsteil den Namenszusatz „Bad“ erhalten hat – in Kurort mitten in der Großstadt. Bereits 1979 wurde eine Thermalsolequelle gefunden, und seit 2002 darf sich der Ort mit seinen Kneippkuranlagen Heilbad nennen. Die Wurzeln des Kurbetriebs liegen aber schon im späten 19. Jahrhundert. Wegen der guten Luft wurden hier einige Kurheime und Sanatorien gebaut, die teilweise später wieder geschlossen und abgerissen wurden mussten. Das hat aber neben dem Bergpark den Ruf des Ortsteils als vornehmer Villenvorort mitbegründet. Das große Renommee des Orts dürfte auch damit zusammenhängen, dass der deutsche Kaiser um die Jahrhundertwende seine Sommermonate in Schloss Wilhelmshöhe verbrachte.

 

An dem ICE-Bahnhof starten wir unseren Rundgang. Er ist neben dem Kasseler Hauptbahnhof Hauptverkehrsknotenpunkt der Stadt. Neben Fernverkehrs- und Regionalzügen bietet er auch eine Vielzahl verschiedener Tram- und Busverbindungen. Hier stand schon seit 1848 ein Bahnhof, der aber keine so große Bedeutung hatte. Wegen des Kriegs nicht ausgeführte Pläne zu einer Verlegung des Kasseler Hauptbahnhofs hierher hatte es aber wegen der einfacheren Streckenführung als mit dem Abzweig zu dem Kopfbahnhof in der Innenstadt schon in den 1940er Jahren gegeben. Die spätere Planung des heutigen Bahnhofsgebäudes wurde in den 1980er Jahren in die Tat umgesetzt, als in Deutschland erstmals ICE-Strecken eingeführt wurden. Der neue Kasseler ICE-Bahnhof wurde schließlich 1991 als erster wichtiger Bahnhofsneubau in diesem Zusammenhang eröffnet. Das Vordach, welches von Säulen getragen wird, überdacht die ÖPNV-Haltestelle. Es ragt bewusst in die Achse der Wilhelmshöher Allee und markiert so die besondere Funktion des neuen Zentrums, da das Bahnhofsgebäude selbst eher unauffällig ist. Bis heute wird die Architektur des Bahnhofs immer wieder einmal kontrovers diskutiert. Vor allem verbinden die Tram-Linien 1,3,4 und 7, sowie mehrere Busverbindungen den Stadtteil mit der Innenstadt, welche circa 15 Minuten entfernt ist. Auch die verkehrliche Organisation unter dem Vorplatz wurde immer wieder kritisiert. Im Jahr 2021 soll sie jedoch umfassend neu geordnet werden, so dass Fahrräder mehr Verkehrsfläche erhalten, die Führung der Straßenbahn- und Bustrassen übersichtlicher und die Anzahl der Pkw-Stellplätze reduziert wird. Verlässt man nun den Bahnhof und folgt der Wilhelmshöher Allee Richtung Westen, führt der Weg vorbei an den beiden Einkaufszentren: "City-Center" und dem "Atrium".

 

Stetig mit dem Herkules im Blick folgen wir der Allee. Die Wilhelmshöher Allee ist planerisch sehr interessant, da sie völlig geradlinig zwischen dem Schloss und der Kasseler Innenstadt verläuft. Ihr westliches Ende ist der Bergpark, der im Jahr 1696 durch den Landgrafen von Hessen-Kassel beauftragt und später vielfach ausgebaut wurde. Die Allee selbst wurde aber erst ab 1767 angelegt. Bereits seit 1877 wird sie von der Straßenbahn erschlossen. Ursprünglich sollte sie die Stadt mit dem Habichtswald verbinden und führte durch das Umland des historischen Kassels. Über die Jahrhunderte wurden die Vororte aber nach und nach eingemeindet. Auffällig sind die mehrstöckigen Häuser im Stil der Gründerzeit, welche im Erdgeschoss häufig über Ladenpassagen verfügen. Hier wird besonders das profitable Publikum angesprochen: Boutiquen, Juweliere oder auch Feinkost- und Bioläden trifft man an. Nichts für ein schmales Budget.

 

Eine Einrichtung hebt sich besonders von den anderen Gebäuden ab: Das Anthroposophische Zentrum Kassel. 1992 gebaut, fällt besonders die futuristisch anmutende und schiefwinklige Fassade ins Auge.

Laut eigenen Aussagen bietet es als Kulturhaus zahlreiche Angebote für die Öffentlichkeit: Vorträge, Seminare, Aufführungen, Konzerte, Ausstellungen und Kurse. Es spielt also eine wichtige Rolle im städtischen Leben sogar über den Ortsteil hinaus.

Der Verein setzt sich für die (Zitat:) "Pflege der Prinzipien der Anthroposophischen Gesellschaft" ein. Anthroposophie ist eine Weltanschauung, die sich selbst als Wissenschaft zum integrierten Verständnis von Natur, Geist und menschlicher Entwicklung ansieht. Sie propagiert auch ein anderes Erziehungsmodell – auf sie gehen die Waldorfschulen zurück. Und in der Architektur plädiert sie für andere Formen als die als nicht menschenfreundlichen rechten Winkel. Deshalb haben anthroposophische Gebäude auch immer eher so ungewöhnliche Formen wie das Zentrum in Wilhelsmhöhe.

 

An der Rolanddstraße biegen wir rechts ab und erreichen die Lange Straße. Sie ist die Hauptstraße des Ortsteils Wahlershausen. Wahlershausen stellt den historischen Kern von Bad Wilhelmshöhe dar. Erstmals erwähnt wurde der Ort, der an dem Druselbach liegt, im Jahr 1223. Durch den Bau der Wilhelmshöher Allee siedelten sich die zentralen Einrichtungen weg vom alten Ortskern. Im Jahr 1906 wurde Wahlershausen nach Wilhelmshöhe eingemeindet. Ein interessanter Fakt ist, das Wahlershausen trotz der Eingemeindung erst viel später Anschluss an das Stromnetz erhielt als der Rest von Bad Wilhelmshöhe  Heute findet man im östlichen Teil der Langen Straße immer noch dicht aufgereihte Backsteingebäude mit hauptsächlich 2-4 Stockwerken.  Vor allem geprägt wird das Bild hier durch einige kleine Geschäfte und Restaurants. Aber auch Fachwerk ist in Wahlershausen zu finden. Wir schauen uns das Brauhaus Rammelsberg im westlichen Teil der langen Straße an, welches ein gutes Beispiel für diese Art des Baustils darstellt. Auf dem Weg dorthin können wir einmal nachdenken, warum selbst Wehlheiden als eines der am besten erhaltenen Dörfer im Stadtgebiet eine so heterogene Bebauung hat. Das liegt beispielsweise daran, dass über die Jahrzehnte viele moderne Bebauung dazugekommen ist, die Verkehrswege ausgebaut wurden und insgesamt lange Zeit der Denkmalschutz keine so große Rolle gespielt hat – erst wieder ab den 1970er Jahren ist er im Blickfeld und wird auch stärker berücksichtigt. Kassel als stark im Krieg zerstörte Stadt hat ohnehin sehr viel versucht, seine bauliche Struktur nach dem Krieg zu modernisieren. Das werden wir auch an der Wilhelsmhöher Allee später noch genauer sehen. Aber es gibt auch noch einen weiteren Grund: die alten kleinen Häuser, gerade die Fachwerkhäuser, sind nur sehr aufwendig zu sanieren und haben oft sehr kleine Höfe. Auch in den kleinen Städten und Dörfern um Kassel ist das zu spüren. Obwohl die historischen Ortskerne oft so idyllisch aussehen, gibt es gerade dort größere Leerstände, weil die meisten Bewohner*innen dann doch ein modernes Haus bevorzugen und den Aufwand der Sanierung scheuen. Förderprogramme haben zwar dazu beigetragen, viele dieser Ortskerne vor dem Verfall zu retten, aber immer noch ist das ein großes Problem für die Stadtentwicklung geblieben. Zum Glück haben sich hier in Wahlershausen ein paar Liebhaber*innen gefunden, die sich für die Häuser interessieren – darunter auch Architekten, die an unserem Fachbereich studiert haben.

 

Unser Weg führt nun auf der Kunoldstraße, in Richtung Süden. Wir kreuzen wieder die Wilhelmshöher Alle und erreichen nach wenigen Minuten den Walther-Schücking Platz. Neben großzügigen Einfamilienhäusern sind hier besonders die verzierten historischen Stadtvillen auffällig. Ausgestattet mit Erkern, Säulen, Fachwerkdekoration und Türmen lassen diese Gebäude eine eher wohlhabende Klientel als Anwohner vermuten. Sie deuten auf die Struktur des Orts als Villenkolonie hin, die sich im Umfeld von Schloss und Kurhäusern um die Jahrhunderte entwickelte.

 

In direkter Nähe vom Walther-Schücking-Platz und seiner Tram-Haltestelle befindet sich das Wilhelmsgymnasium. Im gesamten Gebiet von Bad Wilhelmshöhe gibt es 7 Schulen, davon sind alleine 3 Privatschulen (besonders zu nennen: Swiss International School, Waldorfschule, Reformschule). Interessant ist diese hohe Zahl da Wilhelmshöhe mit 14,7% der Bevölkerung unter 18 Jahren im Kasseler Vergleich wenig junge Einwohner:innen hat.      

 

Wir lassen das Wilhelmsgymnasium rechts liegen und machen uns auf den Weg in Richtung Marbachshöhe. Über den Hasselweg erreichen wir das Quartier in circa 12 Minuten. Sobald wir die Druseltalstraße überqueren sind wir in der Marbachshöhe angekommen. Durch die gleichnamige Tramstation ist das Gebiet auch direkt an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen. Bei der Marbachshöhe handelt es sich um ehemalige Kasernen, die zum Ende des Kalten Kriegs aufgegeben wurden und damit für eine Umnutzung zur Verfügung standen. Ab den 1990er Jahren konnten auf diese Weise in vielen deutschen Städten neue Wohnviertel entstehen, ohne dass man auf der grünen Wiese Flächen verbrauchen musste. So auch in Kassel. Hier hat man von Anfang an darauf gesetzt, sowohl Wohnungen als auch Arbeitsplätze zu schaffen, damit keine reine „Schlafstadt“ entsteht. Die bauliche Struktur wurde dabei weitgehend erhalten und durch Neubauten ergänzt. Aufgrund der Nachnutzungsmöglichkeiten der militärischen Bestandsgebäude sind im westlichen Teil vermehrt Wohnungen entstanden, im Osten dagegen Gewerbe.

 

Seitdem sind in der Marbachshöhe einige Neubauten entstanden. Vor allem zu nennen sind die Passivhäuser, barrierefreien Einrichtungen und das mit Intention geplante familien- und frauenfreundliche Wohnen. Über die Eugen-Richter-Straße und die Ludwig-Erhard-Straße erreichen wir den Mittelpunkt in Form des Quartiersplatzes. Neben einem Supermarkt, der in einem auffälligen runden Gebäude untergebracht ist, gibt es hier noch weitere Geschäfte. Ein Frisör, eine Apotheke, sowie mehrere Arztpraxen bieten alles, was den alltäglichen Bedarf deckt. Das Quartier soll als Arbeits- und Wohnviertel agieren, weswegen hier beispielsweise auch eine Schreinerei in einem umgenutzten Gebäude der Kaserne ihren Platz gefunden hat. Wichtig war den Planern auch, dass mit sehr unterschiedlichen Trägern eine große soziale Vielfalt in dem Quartier entsteht. Inzwischen gibt es hier auch viele soziale Initiativen aus der Bewohner*innenschaft.

 

Neben der Entwicklung eines Gewerbegebiets mit Technologie- und Gründerzentrum im Ostteil der Marbachshöher wurde ab dem Jahr 2004 auf der ehemaligen Lüttich-Kaserne dank Unterstützung der Bundesregierung die Umwandlung des Bundeswehrgrundstücks im Nordosten darüber hinaus der sogenannte Technologiepark realisiert. Der Startschuss für den Bau wurde am 29.03.2007 durch den Kasseler Oberbürgermeister Bertram Hilgen gegeben. In diesem Bereich sind inzwischen viele Arbeitsplätze entstanden, und aufgrund seiner Lage in der Nähe der Bahn wäre er zum Wohnen auch nicht so gut geeignet gewesen.

 

Wir führen unseren Weg fort in Richtung Westen. Die Ludwig-Erhard-Straße leitet uns vorbei an vielen Einfamilienhäusern. Ein bemerkenswerter Teil dieser Gebäude besitzt grasbedeckte Dächer und einige sind auch mit Solaranlagen versehen. Bei der Planung wurde vor allem das Konzept Nachhaltigkeit für den Ortsteil verfolgt.

 

Am Wilhelm-Rohrbach-Platz und seinem Spielplatz führt unser Weg auf der Brandenburger Straße weiter. Wir laufen vorbei an einem für Marbachshöhe und ganz Wilhelmshöhe interessanten Betrieb und Arbeitgeber: dem Hessischen Landeslabor.

 

Überqueren wir nun die Druseltalstraße und biegen in den Neckarweg ab, finden wir uns in einem ruhigeren Abschnitt des Stadtteils wieder. Hier gibt es einige Straßen mit vielen Einfamilienhäusern aus den 50er und 60er Jahren. Die Häuser sind vorwiegend 1-2 geschossig und verfügen über großzügige Gartenflächen. Die Straßen sind parallel angeordnet und wurden nach Flüssen benannt wie zum Beispiel: "Mainweg", "Moselweg", oder "Werraweg".  Besonders auffällig ist hier die geradlinige und rechtwinklige Anordnung der Straßen, die sich auch gut auf der Karte in unserem Faltblatt erkennen lässt. Der westliche Teil des Flüsseviertels steht wegen seiner historischen Struktur unter Ensembleschutz. Wie schwer es ist, diesen aufrecht zu erhalten, und was das für die Stadtentwicklung bedeutet, werden wir gleich noch näher erfahren.

 

Über den Werraweg und den Rheinweg erreichen wir die Christuskirche. Diese wurde in der Kaiserzeit errichtet und gilt als eine der schönsten in Kassel. In direkter Nachbarschaft befindet sich das Gemeindezentrum, in dem regelmäßig lokale Gemeinschaftsaktionen (wie z.B. Frauengesprächskreise oder Jugendchöre) angeboten werden. Abgesehen von der Christuskirche liegen in Bad Wilhelmshöhe noch 4 weitere Christliche Einrichtungen. Es fehlt jedoch an muslimischen, jüdischen oder weiteren Religiösen Zentren. Es wirft die Frage auf, ob Gruppen in dieser Hinsicht nicht berücksichtigt werden oder ob es tatsächlich keine Nachfrage im Stadtteil gibt. Zwar leben in Bad Wilhelmshöhe 2.800 Menschen mit Migrationshintergrund, was circa 22,8% der örtlichen Bevölkerung ausmacht, jedoch gibt es wahrscheinlich doch auch Bürger, die sich ein religiöses Begegnungszentrum wünschen würden.

 

Wir verlassen die Christuskirche und führen unseren Weg auf der Baunsbergstraße in Richtung Süden fort. Bemerkenswert ist ein kleines Neubaugebiet an der Drusel. Die Wohnanlage besteht aus vier Häusern mit Flachdach. Sie sind wie die meisten Gebäude im Quartier mit nur 2-4 Stockwerken ausgestattet und zeitgemäß geplant. Das moderne Design fällt auf und spricht an. Es steht jedoch im Kontrast zu den in Wilhelmshöhe vorwiegenden älteren Gebäudetypologien des unter Ensembleschutz stehenden Flüsseviertels. Fällt Euch hier noch etwas auf? Direkt vor Euch liegt noch ein Neubau am Heideweg. Man glaubt es kaum, aber dieses Gebäude hat vor wenigen Jahren zu einer der schärfsten Auseinandersetzungen über die städtebauliche Entwicklung in der Stadt geführt. Das Grundstück war lange Jahre eigentlich eine begrünte Restfläche im Eigentum der Stadt Kassel. Dann wurde sie vom Kämmerer teuer an einen privaten Investor verkauft, der hoffte, dort Wohnungen bauen zu können, obwohl es noch gar keinen Bebauungsplan gab. Nun standen Stadtverwaltung und Stadtverordnetenversammlung unter Druck, denn der Investor hätte den Kaufpreis ganz oder teilweise zurückfordern können, wenn er weniger Wohnungen als gewünscht hätte bauen können. Der Ortsbeirat Wilhelmshöhe und der Denkmalbeirat der Stadt waren aber gänzlich gegen überhaupt jede Bebauung – auch wegen des Flüsseviertels. Schließlich fiel die Bebauung nach vielen Verhandlungen etwas kleiner aus als eigentlich zugesichert. Man sieht hier einerseits, wie stark der Druck in der Stadt ist, Wohnungen zu bauen, und was Neubauten in der Nähe kleiner Einfamilienhäuser oder denkmalgeschützter Substanz bedeuten kann. Auch in anderen attraktiven Kasseler Vierteln am westlichen Stadtrand wie Brasselsberg, Kirchditmold, Harleshausen und Jungfernkopf spielt dieses Problem eine wichtige Rolle. Hier gehen immer wieder einmal die Einfamilienhausbesitzer auf die Barrikaden, wenn man ihnen eine neue große Stadtvilla vor die Nase setzt. Das ist aber vielerorts aufgrund der geltenden alten Bebauungspläne aus den 1970er Jahren zulässig, die damals auf Zuwachs in den Stadtteilen gesetzt haben. So lange wirken also manchmal auch Pläne nach. Hier im Heideweg ist allerdings extra für dieses eine Grundstück ein so genannter vorhabenbezogener Bebauungsplan aufgestellt worden, um die festgesetzte bauliche Nutzung von Verkehrsfläche in Wohngebiet zu ändern.

 

Vorbei an der Tramstation Wigandstraße, die den Ortsteil an den Rest der Stadt anbindet laufen wir in Richtung Druseltal. Auf der linken Seite können wir das Freibad Wilhelmshöhe erkennen. Es wurde 1935 vor dem damals aufblühenden Ortsteil gebaut und deutet auf die Bade- und Kurhaustradition hin – hier konnten jetzt aber endlich auch mal die ganz normalen Bewohner*innen schwimmen gehen. In der Zwischenkriegszeit hatte sich ja in der Bevölkerung eine starke Gesundheitsbewegung entwickelt, da man etwas gegen die negativen gesundheitlichen Folgen des industriellen Stadtwachstums vor dem ersten Weltkrieg tun wollte. Das Bad hat in fast unveränderter Form bis heute überlebt. Vor einigen Jahren war es jedoch ganz stark von Schließung bedroht. Die Stadt Kassel, die stark verschuldet war, musste extrem stark sparen. Sie schloss damals eine ganze Reihe nicht mehr wirtschaftlicher Bäder und konzentrierte sich fast vollständig auf einen Neubau eines Multifunktionsbads in der Karlsaue direkt an der Fulda. Die dezentrale Bäderversorgung drohte dadurch ganz verloren zu gehen. In Wilhelmshöhe gelang es aber einem Verein mit viel Engagement, den Betrieb aufrechtzuerhalten und eine Sanierung des Bads auf den Weg zu bringen. So kann man sehen, was eine engagierte Bevölkerung in einem eher gut gebildeten Stadtteil alles bewirken kann. Im Arbeiterstadtteil Bettenhausen im Osten von Kassel, wo vielleicht ein Bad noch viel wichtiger wäre, ist dagegen das fast gleich alte Stadtbad geschlossen worden. Ihm droht immer noch der Abriss.

 

Wir lassen die gleichnamige Endhaltestelle der Linie 4 hinter uns und steuern auf die Seniorenresidenz Augustinum zu, wo wir Frida M. treffen. Auf dem Gelände der Hochhäuser stand übrigens mitten im Grünen einer der prächtigsten Kurbetriebe, „Goßmanns Natur-Heilanstalt“. Nach deren Abriss wurden die für die ganze Stadtsilhouette prägenden Hochhäuser errichtet, über deren Architektur man streiten kann. Die Residenz knüpft mit ihren vielen Angeboten ein bisschen an die Tradition der Vorgängereinrichtung an. Die Aussicht ist vielleicht noch besser als damals, doch wenn man die Hochhäuser mit dem verbliebenen Rest der Goßmannschen Anstalt, dem Schweizerhaus, vergleicht, erkennt man, wie stark sich der Stadtteil inzwischen gewandelt hat. Frida erzählt uns, dass sie schon seit 5 Jahren hier im betreuten Wohnheim lebt, seitdem ihr Mann gestorben ist. "Im Viertel leben viele ältere Menschen. Es ist recht schön, grün und es gibt eine gut zugängliche ärztliche Versorgung . Es lebt sich vielleicht nicht ganz billig, aber die meisten hier haben ja sowieso etwas mehr auf dem Konto."

 

Bad Wilhelmshöhe wies 2019 mit einem Durchschnittsalter von 48 Jahren die zweitälteste Bevölkerung in Kassel vor. Der Durchschnitt in der gesamten Stadt liegt bei 42,5. In Deutschland sind 44 Jahre das Mittelmaß.

 

Wie Frida M. uns bereits erzählt hat, ist der Stadtteil besonders attraktiv für Senior:innen. Durch seinen Status des Heilbads verfügt der Bezirk über eine Vielzahl an Arztpraxen und Kliniken. Nennenswert sind die Privatklinik Habichtswald und die Vitos-Klinik. Auch die Kurhessen-Therme erweitert das Erholungsangebot.

 

Über die Hugo-Preuß-Straße mit ihren zahlreichen Stadtvillen und Gärten erreichen wir die Villenkolonie Mulang. Das Motto geht auf die europäische China-Begeisterung ab dem 17. Jahrhundert zurück. Mulang war zunächst von Landgraf Friedrich II. ab 1781 als Anlehnung an ein chinesisches Dorf geplant. Davon zeugen noch einige Gebäude im Eingangsbereich des Bergparks und sogar die Bepflanzung in diesem Bereich. Vielleicht am auffälligsten als chinesisch inspiriert zu erkennen ist eine Pagode. Die ersten Villen der daneben liegenden späteren Villenkolonie wurden von wohlhabenden Kasselern gegen Ende des 19. Jahrhunderts in unmittelbarer Nähe zum Bergpark errichtet. Die Villenkolonie war von Anfang an für eine vermögende Klientel konzipiert. Die vielen historischen Gebäude und gepflegten Gärten lassen auch im Jahr 2020 noch einen gehobenen Lebensstil vermuten. Im Jahr 2019 hatte Bad Wilhelmshöhe eine Arbeitslosenquote von 2,3% (Kassel hatte 15,0%). Schaut man sich die Bevölkerungsdichte im Stadtteil an, so fällt auf, dass die 814 Einwohner je Quadratmeter eine vergleichsweise dünnere Besiedlung darstellen. Beide dieser Werte sind Indikatoren für einen hohen Lebensstandard.

 

Über die Mulangstraße erreichen wir nun den Bergpark Wilhelmshöhe. Er ist das Naherholungsgebiet des Stadtteils und seine größte Touristenattraktion. Geht man vorbei am See in Richtung des Schlosses begegnen uns viele Fußgänger:innen und Radfahrer:innen. Besonders sehenswert ist das ab dem 18. Jahrhundert errichtete Schloss, welches mehrere Museen beherbergt. Schon 1140 wurde an der gleichen Stelle ein Kloster erbaut, welches im 17. Jahrhundert zu einem Jagdschlösschen umfunktioniert wurde. Das Schloss Wilhelmshöhe wie wir es heute kennen wurde von Kurfürst Wilhelm I. zusammen mit dem Landschaftsgarten im Englischen Stil erbaut. Auch der berühmte Kasseler Architekt und Stadtplaner Simon Louis du Ry hatte sich am Bau des Schlosses beteiligt. Es wurde während des 2. Weltkriegs komplett zerstört und in den 70er Jahren wiederaufgebaut.  Auch die Statue des Herkules und die Wasserkaskaden auf dem Bergkamm des Habichtswaldes in 526m ü NN werden angepriesen. Die Löwenburg, der Nachbau einer mittelalterlichen Ritterburg, sowie das große Gewächshaus sind ebenfalls nennenswerte Sehenswürdigkeiten. Der wichtigste Teil des gesamten Komplexes ist aber der Bergpark selbst, für den sich eine eigene Führung lohnt. Kommt ruhig mal hierher, wenn die Wasserspiele angestellt werden. Das ist sehr spektakulär. Seit der Park genau wegen dieser Wasserspiele und des aufwendig gestalteten Parks letztlich zurückgehend auf eine Initiative vieler Kasseler Bürger*innen vor einigen Jahren in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes eingetragen wurde, hat er viel mehr Besucher*innen als vorher, und deshalb gibt es auch viel öfter Vorführungen, bei denen das Wasser vom Herkules über die darunterliegenden künstlichen Kaskaden nach unten schießt und dann eine Fontäne hinter dem Schloss speist. Übrigens gibt es oben hinter dem Herkules ein neues Besucherzentrum. Das ist auch sehr interessant, nicht zuletzt auch wegen seiner preisgekrönten Architektur aus der Feder des Büros von Volker Staab aus Berlin. Es wurde 2011 errichtet. Heute können wir aus Zeitgründen aber nicht mehr dorthin fahren.

 

Der dortige Bereich westlich des Bergparks gehört ebenfalls zum Stadtgebiet. Er besteht hauptsächlich aus Grünflächen und Wald und ist nur sehr dünn besiedelt. Die Nähe zur Natur trägt somit auch zur Beliebtheit des Ortsteils bei.

 

Vom Bergpark aus gehen wir nun mit Blick über Kassel bergab bis zur Kurhessen-Therme. Das heutige Erlebnis-Schwimmbad wurde im Jahr 1983 nach der hier erfolgreichen Tiefbohrung nach Thermalsolewasser, von der wir bereits gesprochen haben, in einem ostasiatischen Flair errichtet. Dabei mag sich der Betreiber an der chinesischen Tradition von Mulang in der Nähe orientiert haben. Seine Architektur ist aber eigentlich eher japanisch inspiriert. Die Sole-Quelle wird bis heute für die Heilpraktiken in der Einrichtung genutzt. Der Komplex verfügt über einen Innen-, sowie einem Außenbereich, mehrere Saunen und inzwischen seit einem vor einigen Jahren erfolgen Ausbau über eine 1001-Nacht-Erlebniswelt. Bei solchen Erlebniseinrichtungen ist ja die Kopie von exotisch anmutenden Architekturvorbildern nicht selten, auch wenn Architekten über diese Fake-Architektur immer wieder schimpfen. Die Erlebniswelt ist wichtig für die Attraktivität des Heilbads. Man merkt, dass der Betreiber darauf achtet, neben Kurgästen auch Touristen anzulocken. Mit Preisen zwischen 15 bis 30 Euro ist die Therme ja nicht unbedingt für Jeden erschwinglich. Sie passt somit in das Gesamtbild des Stadtteils.

 

In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich der Gebäudekomplex des hessischen Rundfunks. 1990 wurde dieser hier auf dem Gelände eines alten Reiterhofs errichtet. Neben einem Fernsehstudio wird auch der Radiosender "hr4" hier aufgenommen. Neben dem Standort in Frankfurt, ist dieser der zweitwichtigste für den hessischen Rundfunk und ein wichtiger Arbeitgeber in Bad Wilhelmshöhe. Ihr habt gemerkt, dass hier oben ein unübersichtliches Konglomerat von Gebäuden entstanden ist, das eigentlich nicht mehr so recht in die historische Villenstruktur passt – weder von der Gestaltung noch von der Maßstäblichkeit der Gebäude. Aber Wilhelmshöhe ist eben für viele Einrichtungen attraktiv, und offenbar war es der Stadt lange nicht so wichtig, auf die städtebauliche Gesamtwirkung zu achten, sondern eher auf eine fortgesetzte Modernisierung des im Krieg stark zerstörten Stadtbilds zu achten.

 

Vom Hessischen Rundfunk aus begeben wir uns zur gleichnamigen Tramhaltestelle an der uns die Linie 1 nach Vellmar wieder in Richtung Stadtzentrum bringt. Hier endet unser Rundgang und somit auch der Audioguide. Wir hoffen es hat euch gefallen und wir konnten euch das Wohnen und Leben in diesem Quartier näherbringen.