Sitemap News Detail
Interview: Wird das Neun-Euro-Ticket der Verkehrswende womöglich schaden? - Die Einschätzung der Fahrradprofessorin Francke
Der vollständige Artikel mit weiteren Gesprächspartnern ist hier zu finden: Spiegel.
Im Rahmen des Interview beantwortet die Fahrradprofessorin folgenden Fragen:
1. Was halten Sie von der Einführung des 9-Euro-Tickets?
Grundsätzlich begrüße ich alle Maßnahmen, die zur Stärkung des ÖPNVs dienen. Mit dem günstigen Tarif werden auch neue Personen den ÖPNV probieren, was im günstigsten Fall zu auch langfristig neuen Kundinnen und Kunden führen kann, wenn diese ein positives Erlebnis mit der ÖPNV-Nutzung haben. Allerdings empfinde ich das 9-Euro-Ticket als recht kurzfristig umgesetzte Maßnahme, die möglicherweise mehr Personen verärgern könnte, als neue Kundinnen und Kunden an den ÖPNV heran zu führen. Gerade die treuesten ÖPNV-Nutzerinnen und Nutzer mit langjährigen Abokarten bzw. Zeitkarten werden mittels dieser Maßnahme vernachlässigt und bekommen nicht in die Vorteile dieses sehr günstigen Tickets zu spüren.
2. Erwarten Sie, dass das 9-Euro-Ticket die Attraktivität des ÖPNVs erhöhen und viele Bürgerinnen und Bürger zum Umstieg bewegen wird?
Ich befürchte, dass das 9-Ticket leider nicht die Attraktivität des ÖPNVs erhöhen wird, da es ohne Vorbereitung der Verkehrsverbünde und damit ohne die notwendigen erweiterten Kapazitäten umgesetzt wird. Viele Bürgerinnen und Bürger werden den nun preislich sehr attraktiven ÖPNV natürlich gern probieren wollen, aber dann auf überfüllte Busse und Bahnen stoßen. Damit könnten die neuen Kundinnen und Kunden nicht einen komfortablen und attraktiven ÖPNV erleben, was wiederum davon abschrecken könnte, langfristig auf den ÖPNV umzusteigen.
3. Im Moment ist das 9-Euro-Ticket nur für drei Monate geplant. Ist das sinnvoll oder wird damit die Steuerungswirkung für den Verkehr verpuffen?
Nach meiner Auffassung kann die Steuerungswirkung mit dieser Maßnahme leider schnell verpuffen. Zu den bereits genannten Problemen kommt hinzu, dass die Bürgerinnen und Bürger diesen sehr günstigen Ankerpreis im Hinterkopf behalten und dadurch zukünftig kaum bereit sind, höhere Preise zu bezahlen. Experimente mit dem Nulltarif haben zudem gezeigt, dass insbesondere zu Fuß Gehende und Radfahrende auf den dann quasi kostenlosen ÖPNV umsteigen, was im Endeffekt keine Wirkungen auf die Reduktion der Treibhausgase zeigen würde.
4. Gäbe es aus Ihrer Sicht eine bessere Alternative? Was wäre sinnvoll, um für möglichst viele Bürgerinnen und Bürger auch langfristig den Umstieg auf Bus und Bahn attraktiv zu machen? Wie müsste ein solches Ticket ausgestaltet sein?
Um mehr Bürgerinnen und Bürger zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen, benötigt es längerfristige Vorbereitungen. Dazu gehören als erstes eine breite Kapazitätserweiterung. Gerade im ländlichen Raum sollte der ÖPNV viel häufiger als zuverlässige Alternative verfügbar sein, aber auch in den Städten kann ein weiterer Ausbau mit entsprechender Attraktivierung erfolgen. Hier wird, wie bisher, auch eine Subventionierung erfolgen müssen, die deutlich macht, das die Nutzung des ÖPNV bzw. des gesamten Umweltverbundes das gemeinsame Ziel ist. Wichtig ist dabei, dass die Kundinnen und Kunden das Preissystem auch außerhalb der eigenen Region leicht verstehen können. Gleichzeitig sollte sich der gesellschaftliche Nutzen, der durch die Nutzung des ÖPNV entsteht, gerade gegenüber dem motorisierten Individualverkehr auch im Preis wiederspiegeln. Insgesamt stelle ich mir ein Maßnahmenbündel vor, dass mittels Pull- und Pushmaßnahmen das Mobilitätsverhalten insgesamt hin zu umweltfreundlicherem Verhalten beeinflusst. Und das heißt auch, dass die Nutzung des Busses, oder auch des Fahrrades, so attraktiv ist, dass man gar nicht darüber nachdenken muss, den privaten Pkw zu nutzen.
5. Was wäre Ihnen in diesem Zusammenhang noch wichtig?
Mir liegt es sehr am Herzen, den ÖPNV für möglichst viele Bürgerinnen und Bürger attraktiv und nutzbar zu machen. Ein Ausbau ist unabdingbar nötig, um die Mobilitätswende umzusetzen. Das 9-Euro-Ticket ist eine sehr kurzfristige Angelegenheit und wird dieser Aufgabe nicht gerecht, es stellt aber zumindest ein Signal da, was politisch gewollt ist und was auch möglich wäre. Was wir in Deutschland wirklich brauchen, sind langfristige Strategien und Planungsmöglichkeiten um wahre Gerechtigkeit im gesamtgesellschaftlichen Kontext zwischen allen Verkehrsmitteln herzustellen.