Dissertation von Dr.-Ing. Sandra Dotlic

documenta urbana

Arnold Bode und die Genese einer Idee der Vermittlung von Gestaltung gebauter Umwelt – Eine Rekonstruktion in Dokumenten

Oktober 2010

 

Was ist eine documenta urbana? Was kann eine documenta urbana heute sein? Diese Fragen stellten sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschiedene Initiatoren von Architekturvermittlungsexperimenten in Kassel immer wieder neu.
Sie können nur - so die Ausgangsposition - unter der Berücksichtigung und Darlegung von Ursprung und Herkunft des Begriffs „documenta urbana“ einer Beantwortung zugeführt werden.
Die documenta in Kassel ist mit ihrer Gründung 1955 als eine in periodischen Zeitabständen wiederkehrende internationale Ausstellung für Moderne Kunst bekannt, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat „einen Querschnitt durch die allgemeine Kunstproduktion“ (Carina Plath) zu setzen und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Institution geworden ist, welche im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext kulturelle Wertmaßstäbe spiegelt.
Als Beitrag zu einer documenta urbana sah sich die von der Stadt Kassel und der Wohnungsbaugesellschaft Neuen Heimat initiierte und zwischen 1978 und 1982 entstandene Realisierung eines städtebaulich-architektonischen Demonstrativbauvorhabens mit Beiträgen namenhafter Architekten als Modellprojekt des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus des Bundes, das an der Dönche in der Peripherie von Kassel verwirklicht worden ist. In Ergänzung entstand zeitgleich ein Katalog mit Beiträgen von internationalen Künstlern und Künstlerinnen zu Problemstellungen der vorhandenen Stadt unter dem Titel „sichtbar machen“, welche vor allem den Mangel an baulich-räumlicher und gesellschaftlicher Dichte in der Innenstadt von Kassel fokussierte und auf den Kasseler Professor Lucius Burckhardt zurückzuführen ist.
Darauf aufbauend kam es mit dem Projekt der Wiedergründung der Unterneustadt zwischen 1990 und 2000 zur Projektentwicklung der innenstadtnahen Verdichtung eines Quartiers auf Grundlage der „Kritischen Rekonstruktion“, die von der Stadt Kassel als documenta urbana II ins Gespräch gebracht worden ist.
Die Initiatoren der umgesetzten „Beiträge“ zu einer documenta urbana in Kassel erheben seit Ende der siebziger Jahre den Anspruch, anzuknüpfen an eine seit 1955 propagierte Idee Arnold Bodes, dem Gründer der documenta, Architektur und Städtebau in die internationale Kunstausstellung mit einzubeziehen. Unüberschaubar blieb bisher im Einzelnen das Gedankengut Arnold Bodes und seines Freundeskreises, sind sich die Initiatoren doch darin einig, dass unterschiedliche Konzeptionen von ihm entwickelt wurden, die sich im Laufe der Zeit gewandelt haben.
Auf diese Weise sind mit den gezeigten Beiträgen nicht nur verschiedene Interpretationen und Theorien um diesen Begriff, sondern ist auch ein Mythos um Konzept und Herkunft entbrannt – ähnlich wie bei der documenta selbst -, deren Standort der Vereinnahmung es aufzuschlüsseln gilt. Denn genau in diesen Wandlungen der Konzeption spiegeln sich auch sozio-kulturelle Veränderungen wider, die mit der Veränderbarkeit städtebaulich-architektonischer aber auch künstlerischer Leitbilder einhergingen und einen Einblick in das Vermächtnis der Architekturvermittlungsutopie „documenta urbana“ gewähren.
Die Arbeit hat das Ziel, die Herkunft des Gedankens einer „documenta urbana“ aufzudecken und in diesem Zusammenhang Diskussionsgrundlagen zu bieten. Dies gelingt insbesondere durch die chronologische Aufbereitung historischer bisher unveröffentlichter Originaldokumente und ihre Einbettung in einen kultur-historischen Kontext. Interviews mit Zeitzeugen und Experten machen ausschlaggebende Wirkungszusammenhänge transparent. Hierbei spielen der Paradigmenwechsel von der Vorkriegs-Moderne zur „Nach“ - Moderne, sowie das Verhältnis von Architektur als „Gebrauchskunst“ zur documenta als sich etablierende Kunstvermittlungsinstitution und Sprachrohr der „freien“ Kunst eine maßgebliche Rolle.

 

1. Gutachter: Prof. Wolfgang Schulze, 2. Gutachter: Prof. Dr. Manuel Cuadra

 

 

 

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