Physik der kondensierten Materie und ultraschnelle Phänomene
1) Simulation von schnellen und ultraschnellen Strukturänderungen in Festkörpern und Nanostrukturen
Die Wechselwirkung intensiver Femtosekunden-Laserpulse mit Festkörpern führt zu einer Vielzahl aufregender neuer Phänomene, die dadurch ausgelöst werden, dass Elektronen schnell auf Temperaturen von mehreren zehntausend Kelvin aufgeheizt werden können, d.h. weit über der Temperatur an der Oberfläche der Sonne. Der daraus resultierende transiente Nicht-Gleichgewichtszustand treibt ultraschnelle strukturelle Phasenübergänge in verschiedenen Materialien entlang von Pfaden an, die unter thermodynamischen Bedingungen unzugänglich sind. Die Gruppe konzentriert sich sowohl auf die ultraschnelle Gitterdynamik während der ersten Pikosekunden nach der Anregung, auf der hauptsächlich nicht-thermische bindungsbrechende Effekte auftreten, als auch auf die längere Zeitskala (bis zu Hunderten von Nanosekunden), auf der mechanische Spannungsrelaxation und Ablation stattfinden. In den letzten Jahren hat die Gruppe in beiden Zeitskalen wichtige Ergebnisse erzielt:
K-Raum-Bild für ultraschnelles Schmelzen von Silizium
Mit Hilfe von ab-initio-Simulationen, die wir mit unserem Code CHIVES (Code for Highly excited Valence Electron Systems) durchgeführt haben, konnten wir zeigen, dass die Energieumverteilung unter den Ionen des Siliziums unmittelbar nach der Anregung durch Femtosekunden-Laserpulse stark anisotrop verläuft. Interessanterweise ändert sich die Richtung, in der die Ionen während des nicht-thermischen Schmelzprozesses in Unordnung geraten, für steigende Laserfluenzen und ist nicht notwendigerweise mit den Vektoren im k-Raum verbunden, in denen Gitterinstabilitäten bei Laseranregung auftreten [1].
Großskalige Simulationen der Laser-Nanostrukturierung von metallischen Oberflächen
Der Mechanismus der Oberflächenrestrukturierung durch ultrakurze Laserpulse beinhaltet eine Reihe von schnellen Nicht-Gleichgewichtsprozessen, die miteinander verbunden sind, während sich der Festkörper in einem transienten Zustand befindet. Folglich kann die Analyse der experimentellen Daten nicht alle Mechanismen der Nanostrukturierung berücksichtigen. In Zusammenarbeit mit dem Laserlaboratorium Göttingen gelang uns ein direkter Vergleich von simulierten experimentellen Ergebnissen der durch einen einzelnen Laserpuls induzierten Oberflächen-Nanomodifikationen. Die experimentellen Ergebnisse wurden durch die Verwendung von zwei UV-Strahlinterferenzen erzielt, wodurch ein großflächiges Intensitätsgitter mit einem Durchmesser von 40 μm auf einer Goldoberfläche mit einer Sinusform und einer Periode von 500 nm erzeugt wurde. Die Simulationen basierten auf einem hybriden atomistisch-kontinuierlichen Modell, das in der Lage ist, die wesentlichen Mechanismen, die für den Nanostrukturierungsprozess verantwortlich sind, zu erfassen [2].
Abbildung. 1: Atomare Schnappschusskonfiguration eines Au-Films, der mit einem 1,6-ps-UV-Laserpuls mit einer einfallenden Fluenz von 145,9 mJ=cm2 bestrahlt wurde. Die Atome sind entsprechend ihrem zentralen Symmetrieparameter (CSP) eingefärbt, um feste (blau), flüssige (grün), Defekte (hellblau), Oberflächen- (hellgrün) und freie (flüchtige) Atome (rot) zu identifizieren. Die 3D-Ansicht der atomaren Konfiguration im Rechteckbereich zeigt die gebildeten Hohlräume (b).
Die sehr gute Übereinstimmung zwischen den Modellierungsergebnissen und den experimentellen Daten rechtfertigt den vorgeschlagenen Ansatz als ein leistungsfähiges Werkzeug, das die Physik hinter dem Nanostrukturierungsprozess an einer Goldoberfläche aufdeckt und einen mikroskopischen Einblick in die Dynamik der Strukturierungsprozesse von Metallen im Allgemeinen bietet. Das vorgestellte Modell stellt einen wichtigen Schritt in Richtung eines Berechnungswerkzeugs zur Vorhersage der Reaktion eines Materials auf einen ultrakurzen Laserpuls auf atomarer Skala dar [2].
2) Nicht-Gleichgewichts-Markov-Zustands-Modellierung des Einflusses von Mikrowellenstrahlung auf Proteine
Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit Marcus Weber (Zuse-Institut Berlin) wurde eine Verallgemeinerung der Markov-State-Modellierung (MSM) für nicht-reversible Systeme erreicht, die möglicherweise einen Durchbruch bei der Simulation von Biomolekülen außerhalb des thermodynamischen Gleichgewichts darstellen wird. Mit Hilfe von MSM haben wir herausgefunden, dass unter dem Einfluss von Mikrowellenstrahlung realistischer Intensität andere Sekundärstrukturen begünstigt werden als in Abwesenheit von externen Feldern [3]. Unsere Ergebnisse sind unseres Wissens die ersten, die nennenswerte Konformationsänderungen für Feldstärken von biologischer Relevanz zeigen. Bisherige rechnerische Untersuchungen konnten nur für unrealistisch hohe Feldstärken signifikante Änderungen zeigen.
3) Multiskalige rechnerische Analyse von Langzeitaufzeichnungen der zirkadianen Uhr der Schabe.
Zirkadiane Rhythmen sind von herausragender Bedeutung für die Steuerung von Verhalten und Physiologie bei Menschen und Tieren. Eine Gruppe von Neuronen im Gehirn (die Uhr) ist für diesen ~24h-Rhythmus verantwortlich, indem sie ihn individuell in jeder Zelle erzeugt und ihre Ausgabe durch Netzwerkinteraktionen koordiniert. Wie die Zellen interagieren und die Synchronisation der Uhr erreichen, ist immer noch eine zentrale Frage. Um dieses grundlegende Problem anzugehen, haben wir mit Prof. Monika Stengl und Prof. Hanspeter Herzel (Humboldt-Universität zu Berlin) zusammengearbeitet. Wir entwickelten eine Wavelet-basierte Methode zur Analyse von elektrophysiologischen Langzeitaufzeichnungen in vivo und wendeten sie auf experimentelle Daten der zirkadianen Uhr der Schabe (loose-patch clamp) an [4]. Eine große Herausforderung bei dieser Aufgabe liegt in den weit auseinander liegenden Zeitskalen zwischen den schnellsten neuronalen elektrischen Impulsen (Millisekunden) und der zirkadianen Zeitskala. Unsere Methode kombiniert fortschrittliche Signalverarbeitungs- und Klassifizierungstechniken, um die Komplexität der Datensätze zu reduzieren, und ermöglicht eine Beschreibung in Form der zeitlichen Entwicklung von Parametern, die Signaturen der Interaktion und Synchronisation in Netzwerken sind. Durch die Analyse vieler Aufzeichnungen von verschiedenen Tieren zeigten wir auch eine mögliche Beziehung zwischen der Tageszeitabhängigkeit von Parametern und der zeitlich abgestimmten Neuropeptidfreisetzung im Schabengehirn [4].
Referenzen
[1] T. Zier, E. S. Zijlstra and M. E. Garcia, Quasimomentum-Space Image for Ultrafast Melting of Silicon,Phys. Rev. Lett. 116, 153901 (2016).
[2] D.S. Ivanov, V.P. Lipp, A. Blumenstein, F. Kleinwort, V.P. Veiko, E. Yakovlev, V. Roddatis, M.E. Garcia, B. Rethfeld, J. Ihlemann, and P. Simon, Experimental and Theoretical Investigation of Periodic Nanostructuring of Au with Ultrashort UV Laser Pulses near the Damage Threshold, Phys. Rev. Applied 4, 064006 (2015).
[3] B. Reuter, M. Weber, K. Fackeldey, S. Röblitzand M. E. Garcia, Generalized Markov State Modeling method for non-equilibrium biomolecular dynamics - exemplified on peptide conformational dynamics driven by an oscillating field, J. Chem. Theory Comput. 14 (7), 3579–3594 (2018).
[4] Pablo Rojas, Jenny A. Plath, Julia Gestrich, Bharath Ananthasubramaniam, Martin E. Garcia, Hanspeter Herzel and Monika Stengl, Beyond spikes: Multiscale computational analysis of in vivo long-term recordings in the cockroach circadian clock, Network Neuroscience 3, 944-968 (2019).
Prof. Dr. Martin E. Garcia
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