Projektbeschreibung

Was genau ist eigentlich ein Gerichtsvollzieher? Was darf er oder sie, wie sollte die Berufsausbildung dieses wichtigsten Vollstreckungsorgans heute aussehen? Welche Entwicklungen im Bereich der Modernisierung des zivilprozessualen Zwangsvollstreckungsrechts, das insbesondere der Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen dient, gibt es? Und wie entwickelt sich das „Justizrecht“, das heißt das Recht der Gerichtsverfassung, der juristisch geprägten Berufe und deren Ausbildung, einschließlich des Elektronischen Rechtsverkehrs als Querschnittsdisziplin der Digitalisierung der gerichtlichen Abläufe? Mit Fragen wie diesen setzt sich die neue Forschungsstelle der Universität Kassel, d.h. ein akademisches Kompetenzzentrum zu Zeit- und Streitfragen des Zwangsvollstreckungs- und Justizrechts, wissenschaftlich auseinander.

Die Einrichtung ist im deutschsprachigen Raum einmalig und ist im Rahmen eines vom Deutschen Gerichtsvollzieher Bundes e.V. finanziell unterstützten Drittmittelprojektes auf Basis einer langjährigen Kooperation mit dem Leiter der Forschungsstelle, Prof. Dr. Nikolaj Fischer, entstanden.

Die Forschungsstelle hat Anfang Juli am Institut für Wirtschaftsrecht - dort am Sachgebiet für Bürgerlichen Recht und Zivilprozeßrecht ihre Arbeit aufgenommen. Die Forschungsstelle hat mit einem thematisch verwandten Fachgebiet an der Universität Bielefeld, dem Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Methodenlehre, Recht der Digitalisierung und Legal Tech, Prof. Dr. Marie Herberger, bereits eine erste Kooperation angebahnt

Insbesondere die Themenfokussierung der Forschungsstelle ist nicht weniger als ein akademisches Novum: Während beispielsweise seit langem universitäre Institute für Anwaltsrecht (etwa an der Universität zu Köln) oder für Anwalts- und Notarrecht (an der Universität Bielefeld) bestehen, gibt es bisher keine solche Forschungsstelle für das Themengebiet Zwangsvollstreckungs- und Justizrecht in Deutschland, Österreich, Luxemburg sowie den deutschsprachigen Regionen in der Schweiz und in Belgien. Hinzu kommt, daß insbesondere das Fach Justizrecht als eigene Forschungsdisziplin noch längst nicht an deutschen Universitäten, Hochschulen oder Forschungseinrichtungen etabliert ist.

Gerade das Gerichtsvollzieherwesen wird bislang wenig beachtet. Insbesondere der Rechtspolitik in Bund und Ländern fällt es vielerorts noch schwer, die Notwendigkeit einer modernen Gerichtsvollzieherausbildung anzuerkennen. Das zeigt die bundesweit bisher unterschiedlich beantwortete Frage nach einer zeitgemäßen hochschulmäßigen Ausbildung. Bis auf das Land Baden-Württemberg, das bereits seit September 2016 eine solche Hochschulausbildung umgesetzt hat, und Berlin und Brandenburg, die mittlerweile Ausbildungsreformen eingeleitet haben, verharren noch viele Landesjustizverwaltungen abwartend, um nicht zu sagen: reformscheu. Ungeachtet dessen verkörpert der Gerichtsvollzieher faktisch längst ein eigenes Berufsbild und ist nicht nur mehr ein Amtsträger des mittleren Dienstes kraft - ebenfalls wichtiger - beruflicher Fortbildung.

Eine „Forschungsstelle zum Zwangsvollstreckungs- und Justizrecht“ an einer deutschen Universität hat damit jedenfalls Pioniercharakter. Hilfreich ist hierbei, dass die Universität Kassel seit vielen Jahren in den Bachelor- und Masterstudiengängen des „Wirtschaftsrechts“ Wirtschaftsjuristinnen und -juristen erfolgreich wissenschaftlich ausbildet, bis hin zur juristischen Promotion und Habilitation. Dabei werden juristische und wirtschaftswissenschaftliche Studieninhalte berufsorientiert kombiniert und (als Alternative zur klassischen „Staatsexamens“-Ausbildung) Zugänge zu vielen spannenden und juristisch geprägten Berufen eröffnet, wie Unternehmensjuristin, Steuerberater oder Wirtschaftsprüferin. Im Übrigen bietet die Forschungsstelle dem wissenschaftlichen Nachwuchs auch Qualifikationsmöglichkeiten am Sachgebiet für Bürgerliches Recht und Zivilprozeßrecht, das die Forschungsstelle organisatorisch trägt.