Kulturtransfer und Konstruktion kultureller Differenz am Beispiel der Dänisch-Halleschen Mission in Tranquebar (18. bis Mitte 19. Jahrhundert)
Projektverantwortliche: PD Dr. Anne-Charlott Trepp
Aufgrund der teilweise langen Aufenthalte der Missionare lassen sich die Missionsstationen als Räume besonderer Verdichtung kulturell grenzüberschreitender Transferprozesse beschreiben. Die Identitätsbildung durch die eigenen und gegenüber den fremden Kulturräumen und deren wiederholte Konstruktionen scheinen unvermeidlich, gleichzeitig jedoch fragil und dauernd im Fluss. Das anvisierte Projekt untersucht vorrangig zwei Dimensionen, die der Konstruktion von Kulturräumen in der bzw. durch die Mission eigen sind.
1) Kulturtransfer und interkulturelle Lernprozesse
Hier geht es primär um das Zusammenwirken zwischen europäischer Kultur und Religion/Religiosität und indigener Kultur und Religion/Religiosität und „exotischer Natur“. Welches Wissen wurde durch die Dynamiken des Transfers überhaupt erst wie generiert und wie verhielt es sich zu den vorhandenen Glaubens- und Wissenstableaus? Wurden die traditionalen Glaubens- und Wissenskulturen durch den Transfer fortentwickelt oder einfach verdrängt? Wie sahen die Prozesse der Aushandlung und kulturellen Amalgamierung aus? Zu untersuchen ist dabei, inwieweit die Missionare die verbreitete Übernahme europäischer Begriffe von Wissenschaft und Rationalität lanciert haben, aber auch, ob sich Mischformen oder Widerständigkeiten gegen europäische Sinnbildungen und Kategorien gebildet haben.
2) Konstruktion kultureller Unterschiede bzw. die Formierung eines besonderen europäischen Zivilisationsmodell
In diesem Fragekomplex soll die Wahrnehmung und Konstruktion kultureller Unterschiede zwischen den europäischen Missionaren und den Indigenen untersucht werden, die generell erst zur Annahme einer Diversität und auch zur Hierarchisierung bestimmter Zivilisationen bzw. Kulturräume geführt haben. Wie fremd ist der jeweils andere und nach welchen Kriterien wird dessen Andersartigkeit bestimmt? Worin wurde die Besonderheit und in wachsendem Maße die Überlegenheit des europäischen Kulturraums gesehen? Verändern sich im Laufe der Zeit die Parameter der Bewertung? Dazu gehört auch die Untersuchung nach den semantischen Bestimmungen und Transformationen von „Zivilisation“ und „Barbarei“, von „Orient“ und „Okzident“. Unter welchen Bedingungen werden sie überhaupt erst zu asymmetrischen Gegen- und Raumbegriffen?
Gegenstand dieses Forschungsprogramms soll die Dänisch-Hallesche Mission sein, die zwischen dem beginnenden 18. Jahrhundert und der Mitte des 19. Jahrhunderts in Tranquebar (Südostindien) angesiedelt war. Die Mission ist durch zahlreiche gedruckte und ungedruckte Quellen gut dokumentiert; das Material wurde kürzlich vollständig digitalisiert. Neben Briefen, Dienst-, Reise- und Privatdiarien sind die halbjährlich erschienenen Halleschen Berichte von besonderem Interesse. In diesen wurden wiederum Briefe, Tagebücher und Abhandlungen der Missionare zwecks Legitimationsnachweis und Spendenwerbung durch den Halleschen Waisenhausverlag ediert. Die Missionsberichte gelangten von Halle aus u.a. nach Kopenhagen, London, Stettin, Amsterdam, Rotterdam, Riga, Venedig, Wien, Reval und Moskau. Durch die Herausgabe und Versendung der Missionsberichte trugen die Franckeschen Stiftungen nicht nur zur Festigung des Missionsgedanken, sondern auch zur spezifischen Konstruktion eines orientalisch-asiatischen Kulturraums bei.
Stand: 24. August 2008