Moritzaue - Kassel
b. Kassel: Moritzaue
Da am befestigten Schloss in Kassel nicht genügend Platz vorhanden war, wählten die Landgrafen das zu seinen Füßen gelegene, von Großer und Kleiner Fulda umgebene Gelände der Aue für einen herrschaftlichen Lustgarten. Ab 1568 ließ Landgraf Wilhelm IV. auf dem direkt unterhalb des Schlosses gelegenen Teil der Fuldainsel einen Garten anlegen, dessen botanische Vielfalt berühmt war.[214] 1570/71 wurde zudem ein Lusthaus erbaut „mit vier aus dem Fundament zum Tach hinauslaufenden, weiten runden Erkern“[215], das vermutlich auch ein Laboratorium beherbergte.[216] Landgraf Moritz erweiterte den Garten ab 1604, nachdem er das gesamte Gelände in seinen Besitz gebracht hatte und nannte den Garten fortan „Moritzaue“ und das ebenfalls umgestaltete Lustschloss „Mauritianum“.[217] Die fürstliche Familie nutzte das Gebäude gelegentlich zu Wohnzwecken, - u.a. auch wenn Seuchen in Kassel grassierten.[218]
Nach seiner Abdankung im März 1627 hatte sich Landgraf Moritz zunächst hierhin zurückgezogen, bis er in den ihm vorläufig zugebilligten Wohnsitz Melsungen zog.[219] 1697 wurde das inzwischen baufällige Lusthaus abgerissen. Später wurde die gesamte Aueinsel unter Landgraf Karl in die weitläufig barocke Anlage umgewandelt, die heute noch in Grundzügen erhalten ist.
An den alten Lustgarten schloss sich südwestlich ein „stattliches Vorwerck und Meyerey“[220] an, eine umfangreiche Anlage, die u.a. Stallungen und Gesinderäume enthielt und vermutlich die Funktion des damals umfunktionierten Renthofs am Landgrafenschloss übernahm.
Neben zwei Zeichnungen des Lusthauses und seiner Nebengebäude des Landgrafen Moritz enthält der Bestand einen Plan des vor dem Garten gelegenen Geländes von der Hand eines Landvermessers.
Unbekannter Zeichner, Vermessungsplan des Geländes
Der Geländeplan von der Hand eines unbekannten Landvermessers überliefert den südwestlichen Teil der Aue, bestehend aus „Ober Aw“ und „nieder Aw“ , d.h. das Gebiet vor dem landgräflichen Lustgarten. In der Mitte der Fuldainsel ist ein „Gewesener baumgart“, eingezeichnet, an der Spitze der „Entenfang“, der auch bei Merian erwähnt wird: „oben am ende da sich der Strom theilet ligt ein sehr lustiger und nutzbarer Antenfang“[221]. Die Zeichnung steht möglicherweise im Zusammenhang mit den Erweiterungsplänen des Landgrafen Moritz für den Lustgarten.
Lusthaus mit Nebengebäuden, Lageplan
Der Lageplan des Landgrafen zeigt das Lusthaus mit seinen Nebengebäuden zwischen „Bleckenteich“ und „Schlagenteich“ an der Großen Fulda. Ähnlich wie es auch in Merians Stadtansicht von 1646 zu sehen ist, befinden sich am Fuldaufer Nebengebäude, deren Aufteilung und Funktion im Plan präzisiert wird. Eine "altaune“, d.h. ein Altan (eine erhöhte Plattform) verbindet das Waschhaus am „Wassergraben“ mit dem „Bakhaus“. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um die „Zweij Heußer beij dem Lusthaus“, deren Fertigstellung der Hofgärtner Joachim Gille im Jahre 1602 vermeldete.[222] Dahinter liegt ein langgestreckter "spielblatz". Eine Portalanlage führt vom Schlossplatz auf den „dam“ und zum „gang vom lusthause in den gart[en]“. Den Damm zur Sicherung des Lustgartens vor Überschwemmungen hatte schon Landgraf Wilhelm IV. anlegen lassen,[223] diesbezügliche Ausbesserungsarbeiten werden in den Bauakten mehrfach erwähnt.[224] Der Grundriss des Lusthauses gibt die Raumdisposition des längsrechteckigen Baues mit vier polygonalen (achteckigen?) Ecktürmen und zwei(?) Mittelrisaliten mit flankierenden Altanen (ähnlich der Idealansicht 2° Ms. Hass. 107 [272]). In den Türmen sind im Erdgeschoss demnach eine Wendeltreppe, eine „Cammer“, eine Speisekammer neben der Küche sowie das Badebecken der „Badtstube“ untergebracht.[225] Im Zentrum des Gebäudes lag die „herrn stube“ mit einem „vorgemach“.
Lusthaus mit Wirtschaftshof, mit Vermessungstabelle
Die links oben ansetzende Vermessungstabelle erfasst das Terrain des Lustgartens bis an das „Ravelin“, die kleine Befestigung an der Brücke über die Kleine Fulda.
Die unten und am rechten Rand darum herum angelegte Vogelschauansicht präsentiert unten das Lustschloss mit dem Baumgarten zwischen „Schlagenteich“ und „Bleckenteich“, sowie rechts oben den „Welsche hüner garte“ am „Vorwerk“, dem Wirtschaftshof mit seinen Fachwerkgebäuden. Das „fischerhauß“ neben dem „Behälter“ (Teich), das 1602 errichtet wurde,[226] erscheint noch im 18. Jahrhundert am gleichen Ort in einer Zeichnung von Giovanni Ghezzi in der MHK.[227] Bei dem großen Stallgebäude mit zentralem Zwerchgiebel auf der rechten Seite handelt es sich möglicherweise um jenen „Stall vor zwolff oder vierzehn Pferde mit Stube, Cammer, futter und heuboden“, den Landgraf Moritz 1603 zu erbauen anwies.[228]
Die Zeichnung des Landgrafen diente somit zur näheren Erläuterung der Tabelle und zeigt vermutlich den damaligen Baubestand.
Fußnoten
[214] vgl. Hanschke 1991
[215] Merian 1646, S. 33, vgl. Perst 1964/65
[216] vgl. Borggrefe 2000
[217] vgl. Holtmeyer 1923, S. 326 f.
[218] Lemberg 2000, S. 180
[219] betr. Akten in: HStAM Best. 4a 41/12
[220] Merian 1646, S. 33
[221] Merian a.a.O., S. 34
[222] in: HStAM Best. 17 e 41
[223] Holtmeyer 1923, S. 325
[224] z.B. im Jahre 1605, in: HStAM Best. 53 e Pak. 60
[225] vgl. Borggrefe 2000, S. 233 ff.
[226] Bericht des Gärtners Joachim Gille vom 27.9.1602, in: HStAM Best. 17 e 41
[227] Museumslandschaft Hessen Kassel, Onlinekatalog Architekturzeichnungen 2004/2005/2007, Marb. Dep. 254,6
[228] Anweisung vom 25.7.1603, in: HStAM Best. 53 e Pak. 60