Idealentwürfe
Idealentwürfe
Unter den architektonischen Handzeichnungen des Landgrafen Moritz befinden sich einige Entwürfe, die keinem konkreten Objekt zuzuschreiben sind, bei denen es sich vielmehr um Idealentwürfe handelt, die die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Architekturtraktaten reflektieren (vor allem Dilich, Specklin, Perret, Ducerceau). Bemerkenswert ist vor allem ein Blatt (2° Ms. Hass. 107 [244]), das neben zwei Darstellungen Melsunger Gebäudesituationen vier Zeichnungen mit unterschiedlichen Entwürfen für befestigte Schlossanlagen enthält, eine Serie bemerkenswerter visionärer Ideen.
Idealplan einer Schlossanlage
Das Blatt, das als Umschlag für andere Zeichnungen benutzt wurde, wie die rückseitige Liste belegt, zeigt einen Idealplan einer regelmäßigen Schlossanlage mit sinnvoll angeordneten Nebengebäuden, deren Funktionen genau verzeichnet sind. Ähnlich wie bei den nicht verwirklichten Entwürfen für das Lustschloss Fahre(z.B. 2° Ms. Hass. 107 [146]) oder „Moritzwerder“ (2° Ms. Hass. 107 [276])handelt es sich um ein rechteckiges Hauptgebäude im Zentrum eines quadratischen Hofes, der von einer Mauer mit kleinen, als Nebengebäude genutzten Pavillons eingefasst wird.
2° Ms. Hass. 107 [244] recto, rechts
Idealentwurf eines befestigten Schlosses
Die Zeichnung, die auf einem Doppelblatt Folio neben Darstellungen der Riedeselschen Vogtei in Melsungen zu sehen ist, präsentiert lehrbuchhaft eine quadratische Schlossanlage in einer fünfbastionären Befestigung, die wiederum in eine runde Einfriedung eingeschrieben ist. Ähnliche sternförmige bastionäre Systeme, die wehrtechnisch eine große Sicherheit boten, wurden auch in den zeitgenössischen Festungspublikationen thematisiert, etwa in dem Hauptwerk des hugenottischen Architekten Jaques Perret „De Fortifications et artifices. Architecture et Perspective“, das bereits 1602 auch in deutscher Sprache erschienen ist, oder auch in Specklins „Architectura von Vestungen“ von 1589. Derartige Idealpläne dürften Landgraf Moritz bekannt gewesen sein, auch wenn sich im Inventar seines Nachlasses[467] keine solchen Werke nachweisen lassen.
2° Ms. Hass. 107 [244] verso, oben links
Idealentwurf einer befestigten Schlossanlage
Effektvoll übereck ins Bild gesetzt hat Landgraf Moritz in diesem Fall ein vierflügeliges Schloss in quadratischer Einfriedung mit runden Ecktürmen, umgeben von einem Wassergraben. Die "Strasse nach dem vor werke" und die "Strasse nach dem Stalle" führen von den beiden Zugbrücken aus zu den neben dem Garten gelegenen Wirtschaftsgebäuden. In dieser bewussten Symmetrisierung erscheint dieser Idealentwurf wie eine konsequente Weiterentwicklung der Ideen, die in den Entwürfen für ein Jagdschloss in Waldau(vgl. 2° Ms. Hass. 107 [219] verso, oben rechts) vorliegen.
2° Ms. Hass. 107 [244] verso, unten links
Idealentwurf eines befestigten Schlosses
Ein weiterer Idealentwurf der auf einem Blatt vereinten Entwurfsserie visualisiert das Schloss auf einer dreieckigen bastionären Plattform, nur über eine Zugbrücke verbunden mit dem „Vorhof“ auf dem dreieckigen Ravelin. Der breite Wassergraben separiert in diesem Fall beide Teile der Anlage, zugleich aber vereint er sie als umlaufendes Band zu einer quadratischen Festung.
2° Ms. Hass. 107 [244] verso, rechts
Idealentwurf eines befestigten Schlosses
Ähnlich wie in den anderen Entwürfen auf diesem Blatt thematisiert Landgraf Moritz auch hier die Vision einer weiträumigen Schlossanlage mit mehreren Höfen auf bastionärer Plattform. Schloss und Marstall - beide als repräsentative Vierflügelanlagen ausgebildet - werden ergänzt durch die Dreiflügelanlagen an "Werkmeisterey hof " und "Cantzley und / Rendtkammer hoff". Zwei Lustgärten, „Reidtplatz" und “holtzplatz" vervollständigen die Gebäude zu einer eindrucksvollen idealen Residenz von beträchtlichen Ausmaßen.
Idealentwurf für ein Lustschloss
Die sorgfältig angelegte Vogelschauansicht schildert detailliert ein an einem großen Fluss und zwischen zwei Teichen gelegenes Lustschloss, dessen Aussehen auf den ersten Blick deutlich dem Kasseler Lusthaus ähnelt. Der imposante dreigeschossige Bau mit dreigeschossigem geschweiftem Giebel und vier sechseckigen Ecktürmchen erhält jedoch durch die geschweiften Giebel und eine reiche Bauornamentik ein deutlich repräsentativeres Aussehen, das in einzelnen Motiven an das 1593 fertiggestellten Stuttgarter Lusthaus erinnert.[468] Vier kleine rechteckige Wirtschaftsgebäude markieren, ähnlich wie den Entwürfen für das Lustschloss Fahre (z.B. 2° Ms. Hass. 107 [132]), die Ecken des ummauerten und befestigten Hofes. Ebenso wie dort handelt es sich vermutlich auch hier um einen freien Entwurf aus den letzten Lebensjahren, der in seiner detaillierten Ausgestaltung das gestalterische Potential des Landgrafen vor Augen führt.