Schlossentwürfe - Allendorf

Allendorf: Schlossentwürfe

Die Entwürfe des Landgrafen Moritz präsentieren ein fürstliches Schloss an unterschiedlichen Orten in der Stadt.  Einige zeigen eine geschlossene Anlage an der Nikolaikirche, deren Ruine noch  bis 1823 stand.[64] Eine weitere Variante platziert einen repräsentativen Bau vor der Stadt am Waldistor. In der dritten Version liegt das Schloss auf der Insel zwischen der Stadtbrücke und der Mittelbrücke direkt am Fluss.

 

2° Ms. Hass. 107 [112] recto, oben

Entwurf für ein Schloss an der Nikolaikirche, Ansicht von Osten, 1627

Die früher unter Eschwege eingeordneten Blätter mit Entwürfen zu einem an einer Kirche gelegenen Schlossbau[65] konnten 1997 eindeutig in der Umgebung der Nikolaikirche in Allendorf verortet werden.[66]

Die  "Invention wie auß dem / alten Rahthauß ein f. Hauß / mit Anhengung der obersten Kirche / zu  verrichten were. M. H. L. / Anno 1627. den 5 Sept." zeigt das Areal neben dem "Eschwehisch[er] Burgsitz" direkt an der Stadtmauer von Osten im Kontext der umgebenden Bebauung. Die städtischen Bürgerhäuser sind mit ihrer Fachwerkgliederung summarisch wiedergegeben, während der zentrale Baukomplex an der Kirche detaillierter geschildert wird. Im rechten Winkel zu der durch die Kreuzblumen an den Giebeln, den Dachreiter und die Apsis als solche zu identifizierenden Kirche erstrecken sich auf beiden Seiten dreigeschossige Steinbauten mit Zwerchgiebeln bis zur Stadtmauer. Auf diese Weise entsteht ein großzügiger, auf drei Seiten bebauter Hof.

Die erstmals im 14. Jhdt. erwähnte Nikolauskirche, vermutlich eine Tochterkirche von St. Crucis und häufig als „obere Kirche“ bezeichnet,[67] wurde nach der Reformation vermutlich nicht mehr benutzt. Da sie bereits 1637 abbrannte, besitzen die Zeichnungen des Landgrafen Moritz besondere Aussagekraft.

Das in der Beischrift erwähnte alte Rathaus ist im Stadtplan von 1745/46 nördlich der Nikolaikirche eingetragen. Es handelt sich um das ehemalige Haus des Hans von Bischoffshausen, das dieser im 15. Jahrhundert an die Stadt veräußerte, welche es als Rathaus nutzte bis der Neubau am Markt fertig war.[68] Da das Gebäude 1627 nicht mehr benötigt wurde, konnte Landgraf Moritz das Areal in seine Planungen mit einbeziehen.

 

2° Ms. Hass. 107 [112] recto, unten

Entwurf für ein Schloss an der Nikolaikirche, Ansicht von Norden, 1627

Die „andere invention“ des Landgrafen Moritz, zusammen mit der Ansicht von Osten auf der Rückseite eines Schriftstücks platziert, zeigt die Situation neben dem "Eschweher Burg / sitz." von Norden, wobei „die pfarkirche" im Vordergrund im Grundriss dargestellt wird und die Umgebungsbebauung im Plan nur angedeutet ist. Ein regelmäßiger  dreigeschossiger Steinbau mit Doppelbahnenfenstern umschliesst hier den Hof hinter der Kirche auf allen drei Seiten, endend jeweils an der Nordwand der Kirche. Dekorative Schweifgiebel an den beiden Stirnseiten neben der Kirche geben der stadtseitigen Ansicht einen repräsentativen Charakter. Der Zugang zum Schlosshof erfolgt über ein halb verdecktes Portal neben der Apsis.

Der Grundriss der Kirche dürfte weitgehend der damaligen Realität entsprechen, die Position des Turmes,  der Umriss  von Kirche und Apsis sowie die Anzahl der Fensteröffnungen entsprechen den Darstellungen in  2° Ms. Hass. 107 [111] und [28] recto.

 

2° Ms. Hass. 107  [110]

Entwurf für ein Schloss an der Nikolaikirche, Ansicht von Westen

Das Blatt präsentiert einen weiteren Entwurf für ein Schloss an der Nikolaikirche, gesehen von Westen, wobei auch hier die städtische Umgebung nur als Plan angedeutet ist. Bemerkenswert ist hier die überwiegend in italienischer Sprache verfasste Beschriftung. Der Eschweger Burgsitz im Hintergrund wird bezeichnet als: "Nobile palazzo / da quelli d'Esvegia", daher vermutlich die bisherige irrtümliche Zuweisung an Eschwege. Neben der "chiesa", deren Westturm hier abweichend von den anderen Zeichnungen auf der Nordseite steht, befindet sich auf der Westseite die dreigeschossige „galeria“, die direkt an den durch geschweifte Stirngiebel und einen Mittelrisalit hervorgehobenen „palazo“ vor der Stadtmauer angrenzt. An der Ostseite schließt sich hieran ein „Stalla“ an, der über eine schlichte „porta“ wiederum mit dem „choro“ der Kirche verbunden wird. Es handelt sich also auch hier um eine vierseitig geschlossene Anlage, die die Kirche quasi als Flügelbau integriert. Die Nebenbauten sind dabei dem „palazo“ untergeordnet.

Die rückseitige Nummer „30“ bezieht sich auf die „Designation“ (2° Ms. Hass. 107a), dort wird diese aber fälschlich Melsungen zugeordnet.

 

2° Ms. Hass. 107 [111]

Entwurf für ein Schloss an der Nikolaikirche, Ansicht von Südwesten

Ebenso wie in 2° Ms. Hass. 107  [110]entwirft Landgraf Moritz auf diesem Blatt einen vierseitig geschlossenen Schlossbau, der die Nicolaikirche integriert. Drei gleichartige Flügelbauten, im Norden und Osten durch Mittelrisalite akzentuiert, bilden eine weitgehend regelmäßige Anlage um einen gepflasterten Innenhof. Auffällig ist hier der zum Kirchturm an der Südwestecke führende Treppenaufgang, der auch im Grundriss in 2° Ms. Hass. 107 [112] recto, unteneingezeichnet ist. Dieses Detail fußt möglicherweise auf der genauen Ortskenntnis des Landgrafen.

 

2° Ms. Hass. 107 [28] recto, oben

Entwurf für ein Schloss an der Nikolaikirche

Die querformatige Zeichnung, die von einem ausführlichen Erläuterungstext ergänzt wird, schildert, wie das „schloß bei die ober kirche in Allendorf / solte gebauet werden“. In Erweiterung der anderen Entwürfe wird hier nicht nur die Nikolaikirche, sondern auch der Burgsitz der Herren von Eschwege in die Planung einbezogen. Dadurch wird ein weiterer „Stallhof“ im  Anschluß an das bereits in den anderen Zeichnungen konzipierte  Schlossgeviert möglich, "und ein grosser / garten dahinder".  Neben dem Marstall an der Stadtmauer soll dieser zweite Hof auch eine "Cantz ley" und ein "lusthaus" an der Stelle des Eschweger Burgsitzes enthalten. Die detaillierte Planung mit zahlreichen Maßangaben in der leider teilweise verstümmelten Erläuterung dokumentiert die Kenntnisse des Landgrafen, der hier mit großer Geste einen Plan entwirft, der vermutlich zu keiner Zeit ernsthaft zur Diskussion stand.

 

2° Ms. Hass. 107 [112] verso, unten

Entwurf für ein Schloss neben dem Heiliggeisthospital

Auf der Rückseite der beiden 1627 datierten Entwürfe für eine Schloss an der Nikolaikirche befindet sich unter einem auf den 4.09.1627 datierten Schriftstück von anderer Hand eine Zeichnung, in der der Landgraf eine Schlossanlage vor den Toren der Stadt am Hospital konzipiert. Das dem Heiligen Geist gewidmete Hospital, das  1363 erstmalig erwähnt wurde, lag  vor dem Waldis-Tor im Norden der Stadt.[69]

Die beachtliche Anlage, bestehend aus den eingefriedeten Höfen von "Anticour", " Cour", und "Jardin" erstreckt sich zwischen dem Hospital links außerhalb des Bildes und der nordwestlichen Ecke der  Stadt in der Mitte. Die rechts anschließende städtische Bebauung wird allerdings nur summarisch wiedergeben. Der quadratische, dreigeschossige Schlossbau mit Innenhof wird durch angelegte Eckpavillons und Zwerchgiebel repräsentativ ausgestattet.

Davor erstreckt sich an der Werra "une vigne a plaisance", der bis zu  der  großen Mühle mit vier Rädern reicht, die noch im 18. Jahrhundert erwähnt wird.[70]

Die französische Beschriftung markiert in diesem Fall die fiktiven Elemente der Vogelschauansicht, die eine Idealvorstellung eines feudalen Schlosses mit der konkreten Situation vor den Toren der Stadt Allendorf verknüpft.

 

2° Ms. Hass. 107 [112] verso, oben

L. Lucanus, Brief an Landgraf Moritz aus Allendorf, 1627

Der an den Fürsten gerichtete Brief ist unterzeichnet: „Actum Allendorf / den 4 Sept.: 1627. / Efg. undterth. gehohrsahmer / L. Lucanus“. Hierbei handelt es sich vermutlich um den Rat Dr. Laurentius Lucanus.[71] Wie so oft, hat Landgraf Moritz auch hier ein ihm gerade zur Verfügung stehendes Schriftstück für seine Zeichnungen weiterverwendet. Die am linken oberen Blattrand auf dem Kopf stehenden handschriftlichen Notizen des Landgrafen mit Maßangaben konnten allerdings nicht unmittelbar mit den auf Vorder- und Rückseite hinzugefügten Darstellungen in Verbindung gebracht werden.

 

2° Ms. Hass. 107 [28] recto, unten

Entwurf für ein Schloss an der Werrabrücke

Die dritte Variante der Schlossentwürfe für Allendorf beschäftigt sich mit einer Anlage auf der Flussinsel zwischen der mittleren Brücke und der Stadtbrücke. Die querrechteckige Zeichnung, auf einem Blatt vereint mit einem Entwurf für ein Schloss an der Nikolaikirche, gibt eine Vogelschau werraabwärts, wobei links die Schlossanlage zwischen den beiden Brücken und rechts die Stadt mit dem Brückentor und der Stadtmauer angegeben ist.

Das dreigeschossige Schloss im Vordergrund besitzt drei Zwerchgiebel auf der einen und zwei Türme auf der hofseitigen Langseite. Auf der anderen Seite des Hofes liegt der schlichte zweigeschossige „Marstall“. Querrechteckige Tortürme ("port-hauß") sichern die Zugänge zu den beiden Brücken. Neben dem Stadtturm am rechten Bildrand befindet sich direkt an der Mauer das landgräfliche „Ambtshaus“ mit dem "Ambtshof".

Im Gegensatz zu den anderen Entwürfen des Landgrafen Moritz für am Fluß gelegene Schlösser (Fahre, Moritzwerder) ist diese Anlage nicht auf den Fluß ausgerichtet, präsentiert sich vielmehr als in sich geschlossener, funktionaler Herrensitz, der allerdings durch die Lage zwischen den Brücken besonders hervorgehoben wird.

 

2° Ms. Hass. 107 [26] recto

Entwurf für ein Schloss an der Werrabrücke

Ebenso wie 2° Ms. Hass. 107 [28] recto, unten zeigt auch diese Vogelschau flussabwärts einen ausgedehnten Schlossentwurf auf dem Gelände zwischen "stad brücke" und "Mittel brücke". Das Schloss ist hier als geschlossene Vierflügelanlage mit einem kleinen Turm auf dem nördlichen Flügel konzipiert. Davor liegt ein großer Vorhof mit Marstall, dahinter der " "lustgarten hinder dem / schlosse". Am rechten Ufer der Werra ist die Altstadt angedeutet mit dem hohen Brückentor, der anschließenden "stad gasse" sowie dem "Ambtshauß".

 

2° Ms. Hass. 107 [26] verso

Entwurf für ein Schloss an der Werrabrücke

Wie auf der rückseitigen Darstellung ist auch hier eine Schlossanlage an der Werrabrücke dargestellt, im Mittelpunkt steht aber diesmal die Stadtbrücke, die über eine breite Rampe  zunächst den „Anger“ quert, bevor das Tor zum "ledig platz zwischen / beyden brücken Item dem / Schlosse und Marstall" erreicht wird. Der Schlossbau ist am oberen Rand nur angedeutet, während der "stal hoff" als vierseitig geschlossene Anlage die Gestaltungsidee auf der Vorderseite des Blattes aufnimmt.

Fußnoten

 


[64] vgl. Nickel 1997

[65] dazu gehören noch 2° Ms. Hass. 107 [28] recto, oben + [110] + [111]

[66] vgl. Nickel 1997

[67] Reccius 1930, S. 29

[68] Nickel 1997, Abb. 8, vgl. Reccius 1930, S. 22

[69] Reccius 1930, S. 34, Schütt 1998, S.5f.

[70] Schütt 1998, S. 6

[71] vgl. Rommel 1837, S. 621