Butzbach

Butzbach

1609/10 zog der nachgeborene Darmstädter Landgrafensohn Philipp III. von Hessen-Darmstadt in seine im sogen. „Brüdervergleich“ festgelegte Residenz Butzbach ein. Der ebenso wie sein Kasseler Verwandter vielseitig interessierte und gebildete Landgraf baute das Butzbacher Schloss, das auf einer älteren Burganlage der Falkensteiner und Eppsteiner Herren beruhte und 1603 durch einen Brand stark in Mitleidenschaft gezogen worden war, 1609-22  in größerem Umfang um und ließ u.a. eine Sternwarte (1617/18) und einen Lustgarten (ab 1611) anlegen.[104]

Landgraf Moritz ist nachweislich mehrfach in Butzbach zu Besuch gewesen. Neben seinem Vetter Philipp III., der ein beachtenswerte Sammlung von Architekturmodellen besaß,[105] residierte dort bis 1622 in unmittelbarer Nachbarschaft Graf Philipp Reinhard I. von Solms-Hohensolms, mit dem er über seine erste Frau Agnes von Solms-Laubach gleichfalls verwandt war. Landgraf Philipp III. vermittelte zudem 1629/30  nach der Abdankung des Kasseler Fürsten zwischen diesem und dessen nunmehr regierenden Sohn Wilhelm V., wie die rege Korrespondenz beweist.[106] Die eigenhändigen Zeichnungen (2° Ms. Hass. 107 [85], [86] und [238]) sind wahrscheinlich aus Anlass eines Besuches des Landgrafen  im September 1630 angefertigt worden, während die Graphitzeichnung von unbekannter Hand (2° Ms. Hass. 107 [87]), schon um 1620 entstanden sein dürfte.

 

2° Ms. Hass. 107 [87]

Unbekannter Zeichner, Landgrafenschloss mit Umgebung

Diese Graphitzeichnung stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von Moritz selbst, da weder die Handschrift noch die Technik und die  einheitliche Perspektive, die auf einen versierten Zeichner schließen lassen, den von ihm sicher überlieferten Zeichnungen entsprechen. Die mit Feder nachgezogenen Teile der Zeichnung lassen zudem vermuten, dass die gesamte Darstellung derart ausgearbeitet werden sollte.

Die detaillierte Darstellung  zeigt in übersichtlicher Vogelschau von Norden die südöstliche Ecke von Butzbach mit dem landgräflichen Schloss, den sich rechts anschließenden Gebäuden des Solms-Hohensolmser Hofes und dem davor befindlichen Solms-Braunfelsischen Hof. Bei dem Gebäudekomplex links im Vordergrund  handelt es sich um den auch in den Zeichnungen des Landgrafen dargestellten, dem landgräflichen Schloss nördlich vorgelagerten Wirtschaftshof.

Der recht genau geschilderte Solms-Hohensolmser Besitz ist bis heute noch in seinem 1481 an die Stadtmauer angebauten Hauptgebäude erhalten. Graf Philipp Reinhard von Solms  musste  allerdings 1622 den Hof zwangsweise an Darmstadt abtreten. Ebenso wie das für 1621 nachgewiesene Wasserzeichen im verwendeten Papier  legt diese Tatsache eine Datierung der Zeichnung vor 1622, aber nach Errichtung der hier verzeichneten Sternwarte auf dem Treppenturm 1617/18 nahe.[107]

 

2° Ms. Hass. 107 [86] recto

Landgrafenschloss mit Umgebung, Ansicht von Osten

Vom Lustgarten (Osten) aus gesehen schildert Landgraf Moritz den gesamten Komplex an der südöstlichen Ecke der Stadt  mit der landgräflichen Residenz und den anliegenden Solms-Braunfelser und Solms-Hohensolmser Höfen, wobei der Schlossbau im Vordergrund im Grundriss und der Hohensolmser Bau im Horizontalschnitt wiedergegeben sind. An vier Stellen führen  Brücken über den Graben an der  das Gelände  an zwei Seiten einfassenden Stadtmauer in die diversen Gärten. Detailliert ist hier auch der Hinterhof des Schlosses geschildert (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [85] recto, rechts), der neben verschiedenen Ställen auch ein offenes Wagenhaus an der Grenze zum „Hohen Solmischen Hof“ enthält.  Dahinter befindet sich der kleine „gärtners hof“.  Genau vermerkt werden der Verlauf der trennenden Mauern sowie die verschiedenen Brunnen und die Pferdeschwemme.

Die relativ genaue Schilderung  sowie der Einsatz von Grundrissen bzw. Schnitten, legt die Frage nahe, ob der Landgraf seine Zeichnung möglicherweise anhand der in Butzbach nachweislich damals vorhandenen Modelle anfertigte.

 

2° Ms. Hass. 107 [85] recto, rechts

Landgrafenschloss mit Hinterhof, Ansicht von Norden,1630

Die eigenhändig signiert und datierte Vogelperspektive zeigt  einen Blick von Norden über den im Grundriss wiedergegebenen Neuen Schlossbau auf  "L. philippi hinderhof“. Den  hinteren Abschluss bildet die Stadtmauer mit Wehrgang und Schwibbögen, an die mehrere Fachwerkbauten angelehnt sind. In der Mitte befindet sich ein Durchgang in den zweiten, äußeren Hinterhof (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [86] recto), von dessen Bauten man rechts einen Schornstein und ein höheres Haus mit Satteldach erkennen kann.  Am rechten Bildrand zieht sich die eingeschossige Remise, das höhere Gebäude dahinter gehört schon zum Solms-Hohensolmser Hof.

Bereits am 3. Sept. 1629 hatte Landgraf Moritz, der sich seinerzeit dauerhaft in Frankfurt aufhielt, nach Ausweis der Akten ein „Verzeichnis Aller derjeniger Chur und Fürsten Graven und Hern so auß Francfort in einem Tag in dero residenzen besucht werden können“ anlegen lassen, in dem u.a. auch Butzbach namentlich aufgeführt ist.[108] Eine vom 28.8.1630 datierte Zeichnung von Frankfurt (2° Ms. Hass. 107 [165]) - vier Tage vor dem datierten Butzbacher Blatt - belegt, dass er tatsächlich direkt von Frankfurt aus nach Butzbach gereist ist.

 

2° Ms. Hass. 107 [85] verso, links

Landgrafenschloss mit Vorhöfen von Norden

Diese Ansicht von Norden konzentriert sich auf  die zweiflügelige landgräfliche Schlossanlage mit dem vorgelegten Wirtschaftshof.  Der Hofseite der beiden dreigeschossigen Flügel sind jeweils markante Treppentürme vorgelegt. Der rechteckige Turm mit Balustradenabschluss  vor dem Hauptbau, dem  „Neuen Bau“, beherbergt eine zweiläufige Treppe, während der sechseckige „Schnecken“-Turm auf der linken Seite mit seiner geschweiften Haube das Schloss weithin überragt. Ein langgestrecktes, schmales Gebäude schließt den Schlosshof zum „Braunfelsischen kellerey hoff“ hin ab. Im Vordergrund befindet sich der rechteckige „Viehhof“ aus Fachwerkbauten mit anschließendem „holtzhöflein“. Das Portal des Schlosshofes öffnet  sich auf die „schloßgasse“, von der aus die „gasse nach der  kirche“ abgeht.

Der Vergleich mit der Ansicht auf dem Titel des 1630 erschienenen Gedächtnisbuchs für die 1629 verstorbene Landgräfin Anna Margareta, das den Gebäudekomplex aus einer ähnlichen Perspektive - möglicherweise vom Dachboden der Markuskirche aus – zeigt,[109] ergibt mehrere Diskrepanzen. Am „Neuen Bau“ fehlen in der vorliegenden Zeichnung des Landgrafen die überlieferten Zwerchgiebel sowie das kaum zu übersehende Observatorium auf dem Dach, das Landgraf Philipp dem zweimal in Butzbach zu Besuch weilenden Johannes Kepler zur Verfügung stellen konnte. Der langgestreckte Bau an der Grenze zum Solms-Braunfelsischen Hof, vermutlich eine Galerie, wie in 2° Ms. Hass. 107 [86] verso, rechts dargestellt, ist nachweislich eine eigenmächtige Zutat des Landgrafen. Möglicherweise handelt es sich hier um seinen Vorschlag für einen Neubau an dieser Stelle.

Die Datierung auf der Vorderseite auf den 2. Sept. 1630 legt nahe, die Entstehung der rückseitigen  Zeichnung in engem zeitlichem Zusammenhang zu vermuten.

 

2° Ms. Hass. 107 [86] verso, rechts

Landgrafenschloss mit Vorhöfen, Ansicht von Süden

Ähnlich wie in  2° Ms. Hass. 107 [85] verso ist das Schloss mit dem Vorhof dargestellt, hier allerdings  von der Gegenseite (Süden) gesehen, mit dem von Moritz vorgeschlagenen langgestreckten Galeriebau auf der linken Seite. Das Schlossgebäude ist  im vereinfachten Grundriss wiedergegeben, während die Wirtschaftshöfe mit den verschiedenen Ställen und Scheunen detailliert geschildert sind. Das Hauptaugenmerk des Landgrafen lag vermutlich auf der Darstellung des neuen Gebäudes an der Grenze zum „Brauhof“.

 

2° Ms. Hass. 107 [238]

Quader mit Flächenberechnung, (kombiniert mit mehreren Ansichten von Melsungen, dem Hof Stoltzenberg und der Mühle Schmidtfahrt)

Ebenso wie  2° Ms. Hass. 107 [85] recto, rechts ist diese kleine, später mit anderen Darstellungen „aufgefüllte“ Zeichnung eines Quaders mit der Flächenberechnung der "grosse[n] fläche zu Butzbach“ auf den 02.09.1630 datiert. Vermutlich bezieht sich die etwas rätselhafte Darstellung  auf den großen, freien Hof vor dem Schloss.

 


[104] vgl. Wolf 2006

[105] Wolf 2006, S. 155 f.

[106] HStAM Best. 4a 41/25

[107] Wolf 2006, S. 179

[108] in: HStAM Best. 4a 38 19

[109] Wolff 2006, Abb. 17