Germerode, ehem. Kloster
Germerode, ehem. Kloster
Das Kloster der Prämonstratenserinnen in Germerode, 1145/46 ursprünglich als Doppelstift für Chorherren und Chorfrauen von den Grafen von Bilstein gegründet, wurde ebenso wie alle anderen hessischen Klöster 1527 säkularisiert und zunächst verpfändet. 1571 wurde die Klosteranlage durch Landgraf Wilhelm IV. wieder eingelöst und seitdem als landgräfliche Vogtei genutzt. Ab 1627 bis 1834 gehörte sie zum Territorium der Rotenburger Quart, dem Besitz der Söhne aus der zweiten Ehe des Landgrafen Moritz.
Die Baurechnungen aus der Zeit des Landgrafen Moritz belegen einige kleinere Renovierungsarbeiten sowie eine größere Summe im Jahre 1616, über deren genaue Verwendung aber leider nichts bekannt ist.[186] Nach Ausweis der Zeichnungen plante Landgraf Moritz offensichtlich, ähnlich wie in Breitenau und Heydau (Haydau-Altmorschen), einen Umbau zu einem Herrenhaus mitsamt Lustgarten für die landgräfliche Familie, wobei die Position der dafür vorgesehenen Neu- und Umbauten mehrfach variiert.[187] Da die Zeichnungen sehr spät zu datieren sind - zwei davon tragen die Jahreszahl 1631 - dürften diese Pläne aber reine Phantasieprojekte gewesen sein. Die sechs Blätter mit insgesamt neun Einzelzeichnungen des Landgrafen sowie das zugehörige Schriftstück mit Maßangaben geben allerdings ein anschauliches Bild des damaligen Baubestands, der sich zum Teil bis zum Ende des 19. Jhdt. erhalten hat.[188]
"Abriß" von Nordosten, 1631
Die mit der ausführlichen Beschriftung "des Hauses Germerode perspectivische Abriß / wie man es von der Freiheit her à Septendrione / an zu sehen, wan die zwey neue bau daran uffgerich / tet wehren. 1631. den 19. Martij M.H.L." versehene Ansicht des Klosterkomplexes von Nordosten schildert das Kloster mit der näheren Umgebung sehr detailliert. Der Klosterkomplex mit seinen beiden Höfen ist auf einer Aufböschung gelegen. Die Kirche erscheint hier als weitgehend intakte Anlage mit Doppelturmfassade. An die Türme schließt der Nonnenbau an, auf der anderen Seite des „Oberhoff“ liegt das abgeknickt verlaufende sog. „Zinsbodengebäude“. Der „underste hoff“ mit der „Mistädte“ wird nach Osten und Süden von einer Fachwerkbebauung abgeschlossen, wobei der südliche Teil mit dem Tor und einer winkelförmigen Bebauung bis an die südliche Chorpartie noch heute in ähnlicher Form erhalten ist. Der nördliche Abschluss mit den beiden vom Landgrafen geplanten Massivbauten erhebt sich mit drei Vollgeschossen und doppelbahnigen Fensterreihen hoch über der abgeschrägten Böschungsmauer. Der Um- bzw. Neubau an dieser Stelle ist auch in den anderen Zeichnungen in unterschiedlicher Weise visualisiert.
Nordwestlich von Kirche und Klausur schließt sich ein "lustgarten" an. Südlich des "Weg vom hause nach der Freyheit" befinden sich kleinere Parzellen mit dem Pfarrhof und separierten Wirtschaftsgebäuden.
Die Datierung auf den 19.3.1631 stellt einen Zusammenhang her mit der am 20.3. datierten Zeichnung von Abterode (3km entfernt, 2° Ms. Hass. 107 [20]), sowie einer weiteren von Grebendorf vom 24.3. (8km entfernt, 2° Ms. Hass. 107 [187]). Der Landgraf hatte damals seinen Wohnsitz im Schloss Eschwege, brach aber immer wieder zu kleineren und größeren Reisen auf.
2° Ms. Hass. 107 [180] recto, rechts
Unterer Vorhof von Süden, 1631
Die im „Alt herren hauß“ über dem Portal 1631 datierte Vogelschau des unteren Klosterhofs von Süden zeigt vermutlich weitgehend den damals vorhandenen Bestand, ergänzt um zwei neue, beidseits an dieses Haus anschließende Gebäude. Der eine Bau verläuft entlang des „ober hof“, während der an der anderen Seite rechtwinklig angrenzende Bau bis zur „vogtey“ und den daran anschließenden Wirtschaftsgebäuden an der Ostseite des „Under hof“ reicht. Im Vordergrund liegt der alte Eingang mit dem "porthauß" und dem Lindenbaum auf dem Anger davor. Ein einfacher Winkelbau, bezeichnet als "Pferde ställe uff / 20 pf." führt entlang von "pförtners garte" und "layen / kirchof" zu den Kirchenapsiden. Der nördlich an die Kirche angrenzende Bau wird hier als "fruchthauß" bezeichnet.
Der schmale, parzellierte Garten auf der Böschung an der Straße erscheint ein weiteres Mal in der Zeichnung 2° Ms. Hass. 107 [182] recto. Der hier querende Abwasserkanal wird auch in 2° Ms. Hass. 107 [178] detailliert geschildert.
2° Ms. Hass. 107 [180] verso, links
Oberer Hof von Osten
Der „Oberhof zu Germerode“ ist hier von Osten gesehen, wobei die Kirchenapsis, der Ostflügel der ehemaligen Klausur ("künftiger Marstall oben Fruchthaus") und das angrenzende Gebäude im Vordergrund im Grundriss dargestellt sind. Das Langhaus der Kirche mit den beiden Türmen ist bis hin zur Turmuhr - über deren Existenz nichts bekannt ist - detailliert geschildert, dahinter erstreckt sich der „layen kirchoff“ neben dem „lustgarten“. Das nordwestlich an die Kirche anschließende ehemalige Nonnenhaus wird als "neuer herren bauw" bezeichnet, ebenso wie der langgestreckte zweigeschossige Steinbau, der den Oberhof nach Norden abschließt. Während das Nonnenhaus nur umgebaut werden sollte, handelt es sich hier um einen Entwurf für einen Neubau, der in einer anderen Zeichnung (2° Ms. Hass. 107 [182] recto) auch als „galerie“ bezeichnet wird.
2° Ms. Hass. 107 [180] verso, rechts
Ansicht von Westen mit Lustgarten
Die Ansicht von Westen präsentiert im Vordergrund einen quadratischen Lustgarten, vierfach unterteilt in: "Hortus Coronalis, Hortus Medicinalis, Hortus Culinaris, Hortus Sylvestris", gruppiert um eine zentrale Brunnenschale. Dahinter sieht man das umgebaute Nonnenhaus neben der Westfassade der Kirche sowie den geplanten Neubau auf der Nordseite des oberen Hofes (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [180] verso, links).
Einen gestalteten Garten an dieser Stelle zeigt auch 2° Ms. Hass. 107 [182] verso.
Unterer Vorhof, Grundriss
Der Grundriss präsentiert den gesamten unteren Hof einschließlich der Kirche mit ihren Anbauten. Neben dem südlichen Eingang, der ungefähr an der heutigen Stelle liegt, besitzt diese einen weiteren Zugang am Nordturm, in dessen Verlängerung der „kälberstall" und die „holtzkammer“ angelegt sind. Dabei bleibt unklar, ob es sich hier um das nördliche Seitenschiff oder einen Anbau handelt. Neben der „Einfahrt„ schließt "der stall. / oben frucht hauß" an, der ohne die in den anderen Zeichnungen feststellbare charakteristische Abknickung gezeigt wird. Detailliert sind die Räumlichkeiten des nördlichen Querflügels wiedergegeben, Durchstreichungen und die Notiz "fellige Risse" verweisen an dieser Stelle aber auf Korrekturen, die möglicherweise im Grundriss 2° Ms. Hass. 107 [181] umgesetzt wurden. Die Ostbebauung ist wenig differenziert als Abfolge von fünf Häusern wiedergegeben, während die Darstellung des südlichen Eingangsbezirks der Schilderung in 2° Ms. Hass. 107 [180] recto, rechts entspricht.
Unterer Vorhof, Grundriss
Bei diesem Grundriss des Klosterkomplexes handelt es sich möglicherweise um eine korrigierte Version von 2° Ms. Hass. 107 [179]. Die dort etwas unklar gebliebene Situation im Bereich des nördlichen Kirchenschiffes ist hier so gelöst, dass das Seitenschiff als "Kälber und Rinderstall" dient und eine "Butter Cammer" in der Apsis vorgesehen ist. Sowohl die Bebauung an der West- als auch die an der Ostseite weisen eine deutliche Abknickung auf. Die südliche Eingangssituation entspricht weitgehend der in 2° Ms. Hass. 107 [179] geschilderten Anlage mit den anschließenden Pferdeställen. Der nördliche Abschluss des Oberhofs ist hier summarisch als "Newer baw, zur hern wonung" angegeben.
Lageplan
Der weiträumige Vogelschauplan verzeichnet das Kloster mit seinen Höfen im Grundriss sowie die nähere Umgebung mit Häusern und Straßen, Äckern und Gärten aus der Vogelschau. Die Darstellung der Umgebungsbebauung stimmt weitgehend mit der Ansicht 2° Ms. Hass. 107 [178] überein. Das neue Gebäude im nördlichen Abschluss des Oberhofs wird hier als "Galerie" bezeichnet. Das nördliche Kirchenschiff erscheint wie in 2° Ms. Hass. 107 [181] separiert und damit für neue Funktionen nutzbar. Die Bebauung des Unterhofs entspricht mit kleinen Modifikationen dem Grundriss 2° Ms. Hass. 107 [181].
"Ictum et Scenographia" , Ansicht von Süden mit Horizontalschnitt
Die Ansicht von Süden gibt die Klostergebäude im Horizontalschnitt über dem Erdgeschoss mit der Beischrift: "Ictum et Scenographia domus Germerodensis". Der projektierte Neubau an der Nordseite des Oberhofs - auf der Vorderseite des Blattes als „Galerie„ bezeichnet - fällt hier durch einen vorgelegten Arkadengang auf. Dahinter befindet sich der „gang zum garten“, der am linken Bildrand als sauber parzellierter Garten mit alphabetisch sortierten lateinischen Pflanzennamen wiedergegeben ist. Die Kirche enthält auch hier ein deutlich abgetrenntes nördliches Seitenschiff, an das der „Marstall“ wie auf der Darstellung der Vorderseite direkt anschließt. Die Fläche des Unterhofs, dessen östliche Bebauung nicht dargestellt wird, erscheint ebenso wie der Oberhof gepflastert - auch das ein Mittel, der eher ländlichen Hofanlage ein herrschaftliches Gepräge zu geben.
An der südlichen Grenze des Kirchhofs ist hier der Fachwerkbau der „Schule“ eingezeichnet, die sich an dieser Stelle bis ins 19. Jhdt. befunden hat.[189]
Ansicht von Süden
Der Komplex des Klosters mit den beiden Höfen ist in dieser Zeichnung von Süden gesehen, wobei die Kirche und der die beiden Höfe trennende Stallflügel vermutlich aus Gründen der Übersichtlichkeit im Horizontalschnitt gezeigt sind. Die Abfolge der Gebäude entlang von „Oberhoff“ und „Unterhof“ entspricht am ehesten der Anordnung der 1631 datierten Zeichnung 2° Ms. Hass. 107 [180] recto, rechts, wobei die östliche Gebäudeabfolge hier abweichend untergliedert erscheint. Möglicherweise schilderte Moritz hier die vorhandene Bebauung, die in dem anderen Blatt im Zuge der Veränderungen vereinheitlicht wiedergegeben ist.
Schafhof neben dem ehem. Kloster
Das kleine Blatt zeigt den außerhalb des Klosterkomplexes, auf der anderen Seite der Straße gelegene Schafhof mit großer Scheuer und den zugehörigen Grundstücken nordwestlich des Klosterbereichs, der auch in 2° Ms. Hass. 107 [178]+ [182] recto dargestellt ist.
Vermessungstabelle
Das Schriftstück "Data uber die gebeu Germerode“ enthält eine Aufstellung von Gebäudeabmessungen, die allerdings so nicht in den von Moritz mit Maßangaben versehenen Zeichnungen wiederzufinden sind. Erwähnt wird auch zweimal ein abgebranntes Gebäude („abgebrande Bawstätte“, “abgebranden Waschaus“) dessen Standort in den Zeichnungen nicht kenntlich ist. Es wird deshalb nicht deutlich, ob ein direkter Zusammenhang mit den vorliegenden Zeichnungen besteht.