Hessisch Lichtenau

Hessisch Lichtenau

Die im späten 13. Jahrhundert planmäßig angelegte Stadt Lichtenau (seit 1889 Hessisch Lichtenau) besaß eine annähernd querovale Form, durchzogen in der Längsachse von drei Hauptstraßen, die jeweils in die beiden Stadttore, das Obertor im Süden und das Untertor im Norden, mündeten. Östlich des Obertors befand sich vermutlich die landgräfliche Burg, die später vom Renthof abgelöst wurde.[202] 1637 wurden weite Teile der  Altstadt durch kroatische Truppen zerstört. Der Mauerring mit dem Ober­tor blieb allerdings weitgehend erhalten.

Bei den diesbezüglichen Blättern im Bestand handelt es sich um zwei Grundrisse des Renthofes von unbekannter Hand aus dem Jahre 1614 sowie sechs eigenhändige Zeichnungen des Landgrafen, die mutmaßlich alle erst nach 1627 entstanden sind. Sie spiegeln eine intensive Auseinandersetzung mit der Innenraumdisposition im Renthof wieder, deren Beweggrund sich leider nicht mehr eruieren lässt.

 

2° Ms. Hass. 107 [227]

Unbekannter Zeichner, Renthof, Grundrisse, 1614

Die rückseitig mit dem Titel “wie das hern hauß Im / Renthoff zur lichtenaw Jetzo ligt. / Ao 1614. 19 Maij" versehene Zeichnung zeigt einen Umrissplan der drei Etagen mit Bezeichnung der Zimmer. Der Grundriss des Erdgeschosses auf der rechten Seite des Blattes wird durch Maßangaben und Einzeichnung der Türen, die durch eine Legende erläutert werden, ergänzt. Neben Küche, Backstube und Speisekammer befand sich hier in der vorderen linken Hälfte des Hauses der "Hauß Ern" und neben dem Eingang die Treppe in die „Zweite Wanderung“. Diese ist links oben auf dem Blatt dargestellt und enthält neben dem "Hauß ehrn gehet / durch biß under die dritte / wanderung" die "Rentmeisters Stube" und diverse Kammern. Eine kleine Treppe führt wiederum ins zweite Obergeschoß, das neben kleinen Kammer auch die große "durch gehende Cammer darin Vor zeit[en] daß / frawn Zimmer geleg[en], liegt jetzo frucht darauff" beherbergt. Der unbekannte Zeichner, vermutlich ein Baumeister oder Vermesser in Diensten des Landgrafen, hat auf diesem Blatt sorgfältig den Zustand notiert, den er seinerzeit vorgefunden hat. Die einen Tag später datierte zweite Zeichnung von derselben Hand 2° Ms. Hass. 107 [228] unterbreitetdemgegenüber einen Vorschlag zur Veränderung des Baubestands.

 

2° Ms. Hass. 107 [228]

Unbekannter Zeichner, Renthof, Umbauentwurf, Grundrisse, 1614

Die im rückseitigen Titel als: "un vorgreifflicher vorschlag / wie daß hern hauß  Im / Renthoff zur lichtenaw zu / gemach in fürstenlagern zu zurichten. / Anno 1614. 20. Maij" betitelte Zeichnung präsentiert ebenso wie 2° Ms. Hass. 107 [227] den Grundriss aller drei Geschosse  des Renthofes, der offensichtlich umgestaltet werden sollte. Vorgeschlagen wird eine Vereinheitlichung der Raumdisposition mit einem zentralen Flur in allen Etagen. Zugeordnet sind diesem beidseits jeweils symmetrisch angelegte, gleich große Räume. Im Erdgeschoss (links unten) sind neben Küche und Speisekammer auch Räume für das Gesinde und den Rentschreiber vorgesehen. Die "Zweite wanderung" (links oben) ist mit "frawen zimmers Stub" und "Herrn Stub" sowie zwei zugeordneten Kammern für Wohnzwecke reserviert, während die "dritte wanderung" nicht näher spezifizierte Kammern und Stuben enthält.

 

2° Ms. Hass. 107 [226]

Renthof, Grundriss

Die großformatige eigenhändige Grundrisszeichnung des Landgrafen gibt das Gebäude mit allen Details (Türen, Fen­ster, Kamine) sehr sorgfältig wieder. Im Gegensatz zu dem Entwurf des unbekannten Zeichners von 1614 (2° Ms. Hass. 107 [228]) wird das Gebäude durch einen quer verlaufenden Flur organisiert, der links von der Mittelachse liegt und vom Vordereingang zum Hintereingang mit dem außen an das Gebäude angelegten Treppenhaus führt. Die Küche mit dem großen Herd rückt dadurch auf die rechte Seite des Hauses.

Der rückseitig von anderer Hand hinzugefügte Titel "Wie der Rendthoiff zu Lichtenaw sol erbawet werden / Anno 1614 von Illi. selbst Inventirt" suggeriert einen Zusammenhang mit den beiden in dieses Jahr datierten Zeichnungen (2° Ms. Hass. 107 [227] und [228]), das Wasserzeichen verbindet das Blatt aber mit anderen Objekten des Bestandes (2° Ms. Hass. 107 [80]+[299]), die in die späten Lebensjahre des Landgrafen datiert sind. Es muss deshalb offen bleiben, ob diese Zeichnung tatsächlich bereits 1614 oder erst 1625-30 entstanden ist.

 

2° Ms. Hass. 107 [224]

Renthof am Obertor, Lageplan

In den Situationsplan des Renthofs neben dem Obertor an der Stadtmauer integriert Landgraf Moritz einen Grundriss des Erdgeschosses, der eine weitere Variante der Raumdisposition darlegt. Ähnlich wie in 2° Ms. Hass. 107 [226] liegen Eingang und "haußehrn" links von der Mitte, die Küche erscheint aber, wie in den 1614 datierten Zeichnungen von unbekannter Hand, direkt dahinter an der Rückseite des Hauses. Daran schließt sich an der rechten Seite die "gesinde stube" an, während die Treppe rechts von der Mittelachse neben dem Flur situiert ist. Die zahlreichen Maßangaben suggerieren eine konkrete Planung, differieren aber von denen in den anderen Darstellungen des Bestandes.

 

2° Ms. Hass. 107 [223]

Renthof am Obertor, 1630

Die Vogelschauansicht zeigt den Renthof im Bebauungszusammenhang von der Rückseite her, eingefasst auf der linken Seite und im Vordergrund von der Stadtmauer, sowie von der „haubt gasse“ (hinten) und der „Rendthofs gasse“ (rechts).

Das Hauptaugenmerk liegt auf den Hofgebäuden, dem Marstall und der Scheuer auf der rechten und den beiden Viehställen auf der linken Seite. Mittig im Hof ist die Zeichnung signiert und datiert: "der Rendthof zur Lichtenau / den 13. Novemb: 1630 M.H.L.". Dieses Datum trägt auch eine weitere Darstellung des Renthofs (2° Ms. Hass. 107 [225]), ein Grundriss, der den Hinterhof in gleicher Anordnung wiedergibt. Möglicherweise handelt es sich bei diesen Blättern um Bestandsaufnahmen.

 

2° Ms. Hass. 107 [225]

Renthof, Grundriss, 1630

Der auf dasselbe Datum wie 2° Ms. Hass. 107 [223] datierte Grundriss zeigt ebenso wie diese Vogelschauansicht die Gebäudesituation des Renthofes am Obertor mit den zugehörigen Wirtschaftsgebäuden. Der Grundriss des Erdgeschosses gibt eine Raumdisposition, die keiner der anderen Varianten entspricht. Einzig die Position der Küche an der linken Rückseite und der danebenliegenden Gesindestube entspricht der Anordnung in 2° Ms. Hass. 107 [224]. Der „Ehrn“ verläuft hier in Längsrichtung an der Vorderseite des Hauses und enthält auf der rechten Seite die Treppe. Genaue Angaben der Details von Türen und Kaminen sowie die Maßangaben suggerieren auch hier einen gewissen Wahrheitsgehalt – aufgrund der offensichtlichen Diskrepanzen lässt sich aber nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob hier eine Bestandsaufnahme oder ein Umbauentwurf vorliegt.

 

2° Ms. Hass. 107 [237]

Renthof am Obertor und Umgebung

Wie in 2° Ms. Hass. 107 [223] und 2° Ms. Hass. 107 [225] ist hier die bauliche Situation des Renthofs am Obertor geschildert, wobei der Renthof im Vordergrund im Grundriss gezeigt wird, während die Bebauung dahinter (Obertor, Meisenbuger Hof) in Vogelperspektive erscheint. Die rechte Seite der Zeichnung erscheint unvollendet.

Die Wiedergabe des Renthofsgebäudes wirkt allerdings in diesem Fall in den Proportionen deutlich verändert, weshalb es sich möglicherweise um eine Skizze aus der Erinnerung handeln könnte.

 

2° Ms. Hass. 107 [222]

Renthof am Obertor und Umgebung

Das Blatt enthält eine ausführliche Darstellung der Bebauungssituation am Ober­tor, gesehen vom Meisenbuger Hof im Westen, dessen großer Baumgarten den Vordergrund bestimmt. Die Stadthäuser auf der linken Seite sind sehr sorgfältig mit Angabe des Fachwerks wiedergegeben, das jedoch mehrheitlich schematisiert erscheint. Ebenso detailliert ist das Stadttor auf der rechten Seite geschildert, wobei allerdings der Turm mit seinem spitzen Helm deutlich überhöht dargestellt ist.

Der Renthof wird hier im Horizontalschnitt des Erdgeschosses präsentiert, die Raumorganisation entspricht aber wiederum keiner der anderen Zeichnungen. Wie auch in 2° Ms. Hass. 107 [225] liegt die Küche an der Rückseite, die Speisekammer links davon, Kammer und Schreibstube an der rechten Seite. Hinter der zentralen Haustür befindet sich ein „Vorgemach“, von dem aus die neben der Küche liegende Treppe erreichbar ist. Der weitgehende Verzicht auf Innentüren und Fenster lässt diese Wiedergabe trotz der Maßangaben als weitere Studie zur Umgestaltung der Räume erscheinen.

 


[202] vgl. Hessischer Städteatlas 2006, S. 16