Susann Wegner
Zur Person
Susann Wegner ist ehemalige rhythmische Sportgymnastin und gelernte Krankenschwester. Mit 14 wurde sie Teil des DDR-Nationalteams und beendete 1989 beim SC Leipzig im Alter von nur 17 Jahren ihre Karriere. Sie sah sich mit extremen physischen und psychischen Druck als auch sexualisierter Gewalt konfrontiert. Heute, im Jahre 2023, ist Susann Wegner ein anerkanntes Dopingopfer des DDR-Dopingsystems. Sie ist eine wichtige Akteurin in der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im Sport und u.a. Teil der Aufarbeitungskommission um den Fall Jan Hempel im Deutschen Schwimmverband. Außerdem ist sie Protagonistin in dem Dokumentarfilm von André Keil „Kraftakt“.
Ein Podiumsgespräch über sexualisierte Gewalt im Sport
Die Veranstaltung am 13.12.
Im Rahmen dieses Podiumsgesprächs werden Personen des Sports über bisherige Fälle sexualisierter Gewalt im Sport sprechen: Warum konnte und warum kann das im Sport passieren? Welche Konsequenzen müssten daraus gezogen werden? Was können wir besser machen, damit der Sport sicherer wird?
Am Beispiel der Geschichte von Susann Wegner wollen wir uns dem Thema nähern und ...daraus lernen...
„Es braucht eine transparente Verantwortungsübernahme von oben. Die Verantwortung für sexualisierte Gewalt darf nicht bei den Betroffenen liegen“
Als Abschluss unseres Dialogforums fand am Mittwoch ein Podiumsgespräch zum Thema „Sexualisierte Gewalt im Sport“ statt. Am Gespräch nahmen verschiedene Akteur*innen aus dem Sport mit unterschiedlichen Perspektiven teil. So begrüßten wir Klaus Müller als Sportlehrkraft. Er arbeitet aktuell für die Zentralstelle für Schulsport und Bewegungsförderung (ZFS), ein Dezernat der Hessischen Lehrkräfteakademie. Hier verantwortet er das Aufgabengebiet „Nachwuchsleistungssport“: im Kern geht es um die Vereinbarkeit von Leistungssport und Schule. Neben Klaus Müller nahm Emma Kopp, Oberstufenschülerin und aktive Sportlerin, am Podium teil. Sie hat über mehrere Jahre in der SV ihrer Schule gearbeitet und vertritt die Perspektive einer heutigen Schülerin zum Thema. Außerdem konnten wir Naomi van Dijk für das Podium gewinnen. Sie ist ehemalige Leistungssportlerin im Gerätturnen, arbeitet aktuell hauptberuflich als Physiotherapeutin und ist in der Vermittlung von Turnen tätig. Seit drei Jahren ist sie im DTB in diversen Arbeitsgruppen und Beiräten tätig, um das Thema (psychische und physische) Gewalt im Leistungssport aufzuarbeiten.
Für die Perspektive von Betroffenen sexualisierter Gewalt konnten wir Susann Wegner gewinnen. Sie ist ehemalige rhythmische Sportgymnastin des DDR-Nationalteams. Als anerkannte Betroffene des DDR-Dopingsystems berichtete sie von ihren Erfahrungen mit diversen Gewaltformen im Leistungssport. Seit Jahren ist sie eine wichtige Akteurin in der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im Sport und so u.a. auch Teil verschiedener Aufarbeitungskommissionen.
Nach einleitenden Worten von Lisa Claußen sprach Dr. Sylke Ernst, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte sowie Leiterin der Stabsstelle Gleichstellung der Universität Kassel, zu Beginn über das aktuell bekannte Ausmaß sexualisierter Gewalt. Obwohl die Zahlen erschreckend hoch seien, werde die Dunkelziffer weiterhin stark unterschätzt. Viele Betroffene würden erlebte Gewalt nicht anzeigen oder zur Sprache bringen.
Nach einem kurzen Ausschnitt der Dokumentation „Kraftakt“ begann anschließend das Podium, moderiert von Dr. Julia Limmeroth. Zunächst wurde das DDR-Leistungssportsystem thematisiert. Laut Susann Wegner sei das damalige System in sich geschlossen gewesen und gerade dadurch habe es das Ausüben von Gewalt ermöglicht. Innerhalb des Systems herrschte unglaublich viel Kontrolle, aber „es gab keine Kontrolle“ von außen… Durch eine frühe Integration in den Leistungsbereich des Jugendsports wurde sehr viel als „normal“ angesehen: Der enorme Druck und die hohen Erwartungen gehörten zum Alltag vieler Kinder. Das Erfahren und Auseinandersetzen mit den eigenen Grenzen wurde im System unterdrückt. Für Susann Wegner steht das im direkten Zusammenhang zur DDR selbst: „Im Gebilde der Diktatur gibt es kein rein und kein raus und damit kann alles passieren.“
Die schleppende Aufarbeitung von damals finde sich bis heute in den Strukturen wieder. So gebe es weiterhin viele Täter*innen oder Mitwissende von damals, die sich der Aufarbeitung der Gewalt verweigern. Zudem sei auch heute im System Sport sexualisierte Gewalt keine Seltenheit und oftmals laufe die Aufarbeitung schleppend. Susann Wegner fand dafür eindeutige Worte: „Die aktuellen Strukturen und der Ablauf von Aufarbeitungsfällen im Sport sind eine Katastrophe.“
Umso wichtiger sei daher die Sensibilisierung aller Beteiligten, angefangen bei einer altersgerechten Thematisierung von Gewaltformen bei Kindern. Es brauche Strukturen, die auf allen Ebenen Vertrauen schaffen. Gerade für Kinder und Jugendliche seien dabei niedrigschwellige Beratungsstellen und Hilfsangebote, auch in der Schule, essentiell. Schüler*innen gehen zu Gleichaltrigen und vertrauen sich ihnen als erstes an. Daher könnten auch Schüler*innen als Ombudspersonen gestärkt werden, so z.B. Emma Kopp. Denn nur durch solche Strukturen wird Kindern der Spaß am Sport ermöglicht: „Sport sollte so viel Spaß machen wie Eisessen gehen.“, so Susann Wegner.
Mit diesem Podiumsgespräch endet das Dialogforum „Sexualisierte Gewalt im Sport“. Wir danken allen für die regelmäßige Teilnahme und Beteiligung.
Weitere Informationen zu Beratungsangeboten finden Sie auf unserer Website.