Die Geschichte der Kasseler Grundschulwerkstatt beginnt, als Ariane Garlichs im Jahr 1972 die Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik an der Gesamthochschule Kassel antritt. Reisen mit Studierenden nach England, Schweden, Dänemark, Frankreich und Holland waren Anlass und Motivation zur Planung eines grundschulpädagogischen Labors. Ariane Garlichs wollte mit ihren Studierenden zeigen, wie Open Education und wie Hochschule als Lernumwelt gestaltet sein müssen. Ab 1975 bestand dann der sogenannte Grundschulraum, der Raum 1415 im AVZ im Kasseler Stadtteil Oberzwehren. Dieser Raum war 48 Quadratmeter groß. Wesentlich für seine Ausstattung waren Anregungen aus der Raum- und Unterrichtsgestaltung an Schulen in England, Holland und Dänemark.
In dem damaligen Grundschulraum am AVZ waren – obwohl in erster Linie als Lern- und Bildungsort für Studierende angelegt – immer wieder auch Kinder zu Gast. Mit den Kindern wurden Lernsituationen gestaltet und erprobt und den Studierenden wurden an der Hochschule Gelegenheiten zur aktiven Begleitung von Kindern gegeben.
Ariane Garlichs setzte sich in den folgenden Jahren für den Aufbau eines grundschulpädagogischen Labors (mit Raum-, Personal- und Sachmitteln) ein. Bereits 1980 wurden die ersten Planungsskizzen vorgelegt. Im Jahr 1981 fand ein Seminar von Kasseler Lehramtsstudentinnen und -studenten und Studierenden vom Stuttgarter Schulbauinstitut statt. Die Studierenden beschäftigten sich mit der Raumplanung und erarbeiteten Entwürfe für die Raumgestaltung des geplanten pädagogischen Labors.
Die räumliche Realisierung des grundschulpädagogischen Labors zog sich dann allerdings 12 Jahre hin, bis zum Umzug vom AVZ an den Holländischen Platz. Dann aber standen geeignete, straßenseitig einsehbare und zugängliche Räume zur Verfügung, und mit Dr. Herbert Hagstedt, der im Januar 1983 seine Arbeit als Geschäftsführer der Grundschulwerkstatt aufnahm, war ein hervorragender Gestalter gefunden. Parallel zu seinem Antritt wurde die IAG (Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Grundschulpädagogik) gegründet, wodurch die Arbeit im Rahmen der Grundschulwerkstatt fortan mit Forschungs- und Entwicklungsaufgaben gekoppelt wurde.
Nach der Pensionierung von Ariane Garlichs übernahm im Jahr 2003 Friederike Heinzel die Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik, die Leitung der Grundschulwerkstatt und die Aufgabe, im Rahmen der Grundschulwerkstatt Forschungs- und Entwicklungsaufgaben durchzuführen, wobei sie einen inhaltlichen Schwerpunkt auf die Verbindung von Kindheits- und Grundschulforschung legt. Es wurden Konzepte entwickelt, die möglichst viele Studierende des Grundschullehramts der Universität Kassel regelmäßig in die Grundschulwerkstatt locken und sie an fallbezogenes und forschendes Lernen heranführen. Im Rahmen eines Einführungsmoduls lernen z. B. alle Studierenden des Grundschullehramts an der Universität Kassel die Grundschulwerkstatt kennen. Die Grundschulwerkstatt wurde zudem als kultureller Lernort für bildungsbenachteiligte Kinder weiterentwickelt, indem Patenschaftsprojekte und Service Learning ausgebaut wurden.
In der Geschichte der Grundschulwerkstatt wurden drei Bezeichnungen benutzt. Zum besseren Verständnis:
Grundschulraum wurde der Ort im AVZ genannt.
Grundschulwerkstatt hat sich als Bezeichnung des Ortes am Holländischen Platz durchgesetzt.
Und der Begriff grundschulpädagogisches Labor bezieht sich auf das inhaltliche Konzept, das die Initiatoren realisieren wollten. Ihre Absicht war es, einen experimentellen Erfahrungs- und Forschungsraum für die Lehrerbildung im Grundschulbereich zu schaffen. Dazu gehörte für sie auch, Kinder mit ihren Lehrerinnen in die Grundschulwerkstatt einzuladen, um didaktische Konzepte mit Kindern versuchsweise umzusetzen.
Das grundschulpädagogische Labor wollte und will keine technologische Lernwerkstatt sein, in der Lehrpersonen Unterrichtskonzepte trainieren. Vielmehr geht es von Beginn an darum, das Phantasiepotenzial auf Lehrerseite zu erhöhen. Dazu wurden Lehrerinnen und Lehrer auch selbst in suchende Lernprozesse verwickelt. Sowohl das Raumkonzept als auch die gezielte Auswahl der hochschuldidaktischen Arrangements und des Lehr- und Lernmaterials stehen in diesem Zusammenhang.
Für viele Lernwerkstätten an Universitäten, an Schulen und in der Lehrerbildung war die Grundschulwerkstatt in Kassel Vorbild und man reiste nach Kassel, um Anregungen für die eigene Werkstatt zu bekommen. Das grundschulpädagogische Labor verstand sich als Stütze für die Schulentwicklung in der Region.
Herbert Hagstedt hat immer wieder betont, dass Lernwerkstätten nicht standardisierbar seien, sondern Lernlandschaften, die erfunden werden müssen. Er hat 10 wesentliche Punkte des „Leistungsprofils“ von Lernwerkstätten genannt (Hagstedt 1998). Sie sollen Ideenbörse sein, Raumimpulse geben, Material-Alternativen aufzeigen, zum Finden persönlicher Fragen beitragen, Probehandeln ermöglichen, Lernbegleitung anbieten, Mehrperspektivität eröffnen, Angebote für unterschiedliche Lerntypen zur Verfügung stellen, biografische Identifikation mit Reformarbeit eröffnen und „Zweifel-Kultur“ im Sinne einer reflexiven Distanz zum Schulalltag fördern.
Seit März 2012 verantwortet Dr. Ralf Schneider als Geschäftsführer die Grundschulwerkstatt. Unter seiner Obhut wurde die Grundschulwerkstatt umgebaut und modernisiert. Diese Umgestaltung wurde durch Mittel ermöglicht, die im Zuge von Bleibeverhandlungen von der Professur eingeworben werden konnten. Die Räume sind noch heller, wärmer und zugänglicher geworden. Ralf Schneider hat mit verschiedenen Grundschulen in der Region regen Kontakt entwickelt und unterstützt mit Studierenden Schulentwicklungsprojekte in der Region.
Die heutige Arbeit der Grundschulwerkstatt umfasst drei Säulen: Sie versteht sich als Forschungswerkstatt, Lernwerkstatt und Entwicklungswerkstatt. Der Beitrag und Impuls der Lernwerkstatt für Studierende und die Lehre wird in der Kombination von Lernpraxis, Lerntheorie und Lernbiografie gesehen.